Recherche Zwischen Singapur und der Schweiz gingen Millionen von Dollar flöten
Adrià Budry Carbó und Agathe Duparc, 29. Mai 2020
«Erst bei Ebbe sieht man, wer nackt schwimmt»: In der Finanzwelt verstauben geistreiche Aussagen nie, selbst wenn Krise auf Krise folgt und keine wie die andere ist. Jetzt zeigt sich, dass Warren Buffetts Ausspruch auch während Pandemiezeiten zutrifft und dass die Financiers des Rohstoffhandels gut daran täten, schnell Lehren daraus zu ziehen.
Eine Folge von Konkursen singapurischer Handelshäuser führt dazu, dass in der Genferseeregion nun mehrere bedeutende Player der Branche in ernsthaften Schwierigkeiten sind. Dazu gehören der Genfer Trader Totsa, die Singapurer Filiale der Crédit Agricole (deren Handelsaktivitäten teilweise von Genf aus gesteuert werden) und die besonders diskrete Banque de Commerce et de Placements (BCP) in den Rues basses von Genf. Zu Obama-Zeiten war die BCP bekannt als eine der wenigen Institutionen, die vom US-amerikanischen Amt zur Kontrolle ausländischer Vermögenswerte (OFAC) ermächtigt wurde, mit dem Iran Geschäfte zu machen. Auch die Credit Suisse erscheint in der Liste der kreditgebenden Unternehmen, im Zusammenhang mit im März 2018 finanzierten Ladungen in unbekannter Höhe.
In der geheimnistuerischen Welt der Trader verfolgen alle besorgt diese Entwicklungen, aber niemand möchte öffentlich dazu Stellung nehmen.
Konkurs und Schulden
Bei diesen ersten vier Instituten geht es um einen von ZenRock orchestrierten Betrugsfall. ZenRock ist ein 2014 in Singapur gegründetes Handelsunternehmen mit Niederlassungen in China, den Arabischen Emiraten und Genf (vor einem Jahr eingeweiht). Seine Aktionäre sind in der Branche dafür bekannt, dass sie in Privatjets herumfliegen und im Armani-Hotel von Dubai die schönsten Suiten buchen. Inmitten der Gesundheits- und Wirtschaftskrise meldete die HSBC (Hongkong & Shanghai Banking Corporation) Ende April der Singapurer Regulierungsbehörde ACRA «Reihe höchst verdächtiger Geschäfte» von ZenRock. Die Bank forderte ausserdem die Ernennung einer unabhängigen Drittpartei zur Regelung einer offenbar notwendigen Umstrukturierung. Am 6. Mai beantragte der Händler dann offiziell Gläubigerschutz.
Neben der HSBC mit ihrem Engagement von 51 Millionen US-Dollar trifft der Konkurs von Singapur auch die BCP. Sie hatte ZenRock 19,2 Millionen US-Dollar geliehen. Der Betrag war am 27. April fällig, wurde jedoch nicht zurückgezahlt, wie aus der eidesstattlichen Erklärung (Affidavit) des ZenRock-Chefs vor dem Obersten Gerichtshof Singapurs vom 6. Mai hervorgeht, in die Public Eye Einsicht hatte. ZenRocks Schulden bei der Crédit Agricole könnten sich auf bis zu 23,7 Millionen US-Dollar belaufen, wenn das Unternehmen seinen Verpflichtungen nicht bis zum 5. Juni nachkommt.
Banken belügen als «Nationalsport»
ZenRock steht das Wasser bis zum Hals, weil seine Trader betrieben, was auf dem chinesischen Markt als «Nationalsport» gilt: der Erhalt mehrerer Finanzierungen für eine einzige Rohstoffladung. Das Vorgehen erinnert an Betrugsmethoden wie das Ponzi-Schema. «Mir ist schleierhaft, wie die Banken dies akzeptieren konnten», meint ein auf diesen Bereich spezialisierter Genfer Anwalt. «In der Regel werden die Bills of Lading (Dokumente, die die Waren, die einen Kredit absichern, bestätigen) auf den Namen einer einzigen Bank ausgestellt. Viele verstehen nicht, wie das funktioniert.»
Wenn sich einige in dieser sehr verschwiegenen Welt noch immer am Kopf kratzen, dann weil dieser Betrug zeigt, dass es möglich ist, selbst jenes Finanzinstrument zu missbrauchen, das als das sicherste im Handel gilt: den durch die physische Ware garantierten Kredit. Dies sagt viel über die angebliche Fähigkeit der Banken aus, die Geschäfte der Händler mit der notwendigen Sorgfalt zu prüfen. Der Bundesrat hält dennoch an einer indirekten Beaufsichtigung des Sektors durch Finanzinstitute fest. Im Bericht, mit dem er Ende Februar das Postulat von Seydoux-Christe beantwortet hat, versäumt er eine Gelegenheit mehr, endlich gezielte und verbindliche regulatorische Massnahmen für Händler zu erlassen. Die kaskadenartigen Konkurse in Singapur machen die Grenzen dieser Strategie deutlich.
Ende April ging Hin Leong, einer der bekanntesten Händler Singapurs, nach demselben Muster vor wie ZenRock und ging bankrott. Der Fall machte Schlagzeilen. Um Verluste in Höhe von 800 Millionen Dollar zu vertuschen, wurde derselbe physische Bestand mehrmals verkauft, um neue Bankfinanzierungen zu erhalten. Hin Leong hinterlässt ein Loch von 4 Milliarden US-Dollar bei 23 Banken, darunter 600 Millionen US-Dollar bei der HSBC, 240 Millionen bei der Société Générale und 100 Millionen bei der Crédit Agricole – Institute, welche die Finanzierung des Rohstoffhandels von Genf aus betreiben. «Betrug ist der Albtraum jedes Bankers», so ein Kenner des Genfer Finanzplatzes, der von einer «katastrophalen Lage» spricht.
Er erklärt, dass die Konkurrenz in Singapur, wo alle grossen Handelsbanken von der Schweiz aus gesteuerte Niederlassungen unterhalten, hart ist – und die Verfahren erleichtert. «Offensichtlich gelang es ZenRock, eine Finanzierung von mehreren Banken zu erhalten, indem das Unternehmen einfach mündlich bestätigte, eine Lieferung würde an diesen oder jenen Händler verkauft. Dann reproduzierte ZenRock dieselbe Bill of Lading, jede von verschiedenen Banken bei der Börse hinterlegt», erläutert er. «Die Unternehmen haben dieses Spiel vermutlich schon seit einiger Zeit getrieben. Ohne Krise hat es funktioniert», fügt er hinzu.
Sowohl die BCP als auch die Credit Suisse lehnten es ab, Stellung zu nehmen. Die Crédit Agricole reagierte gar nicht erst auf unsere Anfragen.
Teapot auf dem Genfer Platz
ZenRock, das sich auf seiner Webseite als «eines der am schnellsten wachsenden unabhängigen Handelshäuser der Welt» präsentiert, gehört zu den als «Teapots» bezeichneten Neuankömmlingen. Vor weniger als zehn Jahren wurde der chinesische Markt noch von einer Handvoll staatlicher Ölunternehmen mit eigenen Raffinerien und Terminals beherrscht. Die Liberalisierung des Importsektors hat eine unüberschaubare Anzahl an Unternehmen generiert, die kleine Raffinerien betreiben. Diesen schlossen sich kleine Handelsfirmen an, die sich darauf spezialisiert haben, Banken zur Finanzierung ihrer Rohölkäufe und -verkäufe zu suchen.
ZenRock hatte grosse Ambitionen am Genfer Finanzplatz. Seine im Juni 2019 gegründete Tochtergesellschaft ZenRock Europe hat sich im Viertel der grossen Handelshäuser niedergelassen. Im vergangenen Februar erhielt sie zwei Lizenzen für den Gashandel in Osteuropa, um «zwischen 2 und 3 Millionen Megawatt Gas» von Polen nach Deutschland zu liefern.
Die Teapots sicherten sich rasch einen Platz in der Branche, häufig an der Seite grosser Handelskonzerne, die für Geschäfte mit ihnen sogar besondere Abteilungen einrichteten.
Gesalzene Rechnung für ungesicherte Geschäfte
Glaubt man dem Affidavit des Geschäftsführers von ZenRock, genoss sein Unternehmen das Vertrauen grosser Händler, die bereit waren, ihm ohne Bankgarantie (in Form eines Akkreditivs) Ladungen zu liefern. Die Zusicherung 30 Tage später zu bezahlen, reichte. Was in der Fachsprache «Open account» genannt wird, erwies sich hier als äusserst riskantes Unterfangen.
Die Genfer Totsa, eine Handelstochter des französischen Konzerns Total, soll ZenRock einen dieser «ungesicherten» Kredite in der Höhe von 62,7 Millionen US-Dollar gewährt haben. Neun weitere Unternehmen, darunter Sonangol Financed Limited (50,6 Millionen US-Dollar) und Shell international Eastern Trading Compagny (27,5 Millionen US-Dollar), sollen ZenRocks Charme ebenfalls erlegen sein. Die Chance, dass sie ihr Geld je wiedersehen, ist gering.
Die Rechnung ist dafür umso gesalzener: 449 Millionen US-Dollar.
«Handelsfirmen, die auch Erdöl produzieren, wollen vor allem verkaufen, und die Tatsache, dass ZenRock mit Banken wie HSBC oder Crédit Agricole zusammenarbeitete und Verbindungen zu chinesischen Staatsunternehmen unterhielt, genügte ihnen. Sie haben der Firma vertraut, die Ware geliefert, bevor sie bezahlt wurden und sind kläglich gescheitert», kommentiert ein ehemaliger Banker und Experte für Handelsgeschäfte.
Doch die Meinungen sind geteilt. So hält es ein Genfer Händler für «höchst unwahrscheinlich, dass diese grossen Konzerne einer kleinen Firma wie ZenRock vertraut haben sollen». Er sieht darin vielmehr ein Manöver, um die Richter in Singapur hinters Licht zu führen und durch Betrug entstandene Zahlungsausfälle als Handelsforderungen auszugeben.
Ohnehin kommen diese Forderungen gegenüber Händlern zu den mit den Banken vereinbarten hinzu. ZenRock präzisiert, dass «diese Rückzahlungsverpflichtungen durch eingehende Forderungen grösstenteils kompensiert» würden und keine Notwendigkeit bestehe, die Schulden umzustrukturieren. Im Klartext: ZenRock hofft darauf, Schulden einzutreiben, um die eigenen begleichen zu können!
Total, Totsas Mutterkonzern, sagte auf Anfrage, man wolle sich nicht zu «laufenden Gerichtsverfahren äussern und die Geheimhaltungspflicht respektieren.»
In seinem Antrag auf gesetzliche Vormundschaft gibt ZenRock lediglich zu, Schulden bei den Banken zu haben: insgesamt zwischen 240 und 300 Millionen US-Dollar, wobei das Coronavirus «ernsthafte Störungen» verursacht habe. Für den Fall, dass der Händler liquidiert werden sollte, warnt er seine Gläubiger, ihnen nur zwischen 12,4% und 9,9% der geschuldeten Beträge zurückerstatten könnte. Er räumt ausserdem ein, man überprüfe zurzeit «die Rentabilität des Genfer Büros».
Von Public Eye kontaktiert, wollten weder die ZenRock-Gruppe noch der Geschäftsführer in Genf Fragen zur Umstrukturierung oder zur Zukunft des Unternehmenseingehen.