Aktion vor dem Novartis-Hauptsitz: Patentpolitik im Süden kostet Menschenleben
23. November 2006
Gemäss der Weltgesundheitsorganisation haben 30% der Weltbevölkerung noch immer keinen Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten. 74% der Medikamente gegen HIV/Aids sind nach wie vor patentiert (und damit monopolisiert) und 77 % der Bevölkerung Afrikas haben heute keinen Zugang zu einer Aidsbehandlung. „Die Produktion preisgünstiger Generika in Entwicklungsländern ermöglicht den Zugang zu Medikamenten für alle. Mit seinem gerichtlichen Vorgehen gefährdet Novartis diesen Zugang“, erklärt Julien Reinhard, Leiter des Fachbereichs Gesundheit bei der Erklärung von Bern.
Das indische Gesetz, welches durch Novartis in Frage gestellt wird, ermöglicht es indischen Firmen, das Krebsmedikament Glivec zehnmal günstiger zu verkaufen als Novartis. Das gerichtliche Vorgehen von Novartis geht jedoch über Indien und Glivec hinaus. Es könnte auch Auswirkungen auf andere lebenswichtige Medikamente haben, insbesondere Aidsmedikamente, sowie auf andere Entwicklungsländer, die Generika aus Indien importieren. Indien ist mit 67% seiner Exporte der weltweit wichtigste Lieferant für günstige Generika für Entwicklungsländer. "Unser Ziel ist es, dass alle Betroffenen Zugang zu den wirkungsvollsten Krebsmedikamenten haben, und zwar zu erschwinglichen, sozialverträglichen Preisen. Das Vorgehen von Novartis im Fall von Glivec in Indien zielt in die entgegengesetzte Richtung", sagt Dr. Rolf Marti, Leiter wissenschaftliches Sekretariat, Krebsliga Schweiz.
Im Mai 2006 strengte Novartis in Indien zwei Prozesse an, um die Ablehnung seines Patentantrags für Glivec und die Übereinstimmung des indischen Patentgesetzes mit den WTO-Abkommen anzufechten. In einem offenen Brief bitten 52 Organisationen und verschiedene Persönlichkeiten aus allen Kontinenten Daniel Vasella, den Präsidenten und CEO von Novartis, zugunsten der öffentlichen Gesundheit auf das gerichtliche Vorgehen zu verzichten. Bis jetzt hat Novartis nicht darauf geantwortet. „Mit seinen Klagen stellt Novartis die Souveränität Indiens in Frage, jene Flexibilität der WTO-Abkommen zu nutzen, die einen besseren Zugang zu Medikamenten für alle erlauben“, bestätigt Céline Charvériat, Direktorin der Oxfam-Handelskampagne.
Konkret stellt Novartis mit seinen Klagen den Artikel 3 (d) des indischen Patentgesetzes in Frage, der einen Ausschluss von Patenten für neue Formen oder neue Verwendungen bekannter Substanzen vorsieht. Dieses Gesetz nutzt aber bloss eine der Flexibilitäten des TRIPS-Abkommens, welche die Staaten in ihre Gesetzgebung aufnehmen können. Bis heute hat noch kein Staat diese Möglichkeit in Frage gestellt. Eine von Ruth Dreifuss präsidierte Kommission der WHO hat diesen Freiraum gar lobend erwähnt. „Falls Novartis gewinnt, geht ein essentieller Freiraum für die Produktion kostengünstiger Medikamente verloren.“ sagt Ellen `t Hoen, Direktorin der MSF Kampagne für den Zugang zu unentbehrlichen Medikamenten. „Personen auf der ganzen Welt, welche auf Medikamente aus indischer Produktion angewiesen sind, werden betroffen sein.“