Gegen Warnhinweise auf Junkfood in Mexiko: Wie sich das SECO von Nestlé einspannen liess

Schwarze Stoppschilder warnen in Mexiko seit 2020 vor ungesunden Lebensmitteln – eine Massnahme gegen die dort stark grassierende Fettleibigkeit. Doch das Vorhaben stiess auf erbitterten Widerstand, besonders aus der Schweiz. Interne Mails und Dokumente belegen, wie willfährig das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) dabei als verlängerter Arm von Nestlé agiert und Mexikos Gesundheitspolitik torpediert hat. Für den Nahrungsmittelkonzern aus Vevey ging es um einen Milliarden-Markt. Unsere Recherche zeigt auch, dass dieses Lobbying der Schweiz für die Geschäftsinteressen von Nestlé kein Einzelfall ist.

Vor sechs Jahren hat Mexikos Regierung einen «nationalen epidemiologischen Notstand» ausgerufen. Der Grund: die grassierende Fettleibigkeit. 38% der fünf- bis elfjährigen Kinder sind übergewichtig oder fettleibig, bei den Erwachsenen sind gar 74% zu dick. Da brauchte es dringend gesundheitspolitisches Gegensteuer. Und das gab die mexikanische Regierung ab 2019 mit obligatorischen, einfach verständlichen und gut sichtbaren Hinweisen auf der Vorderseite der Verpackung von gesundheitsschädlichen Nahrungsmitteln: Achtecke, die vor einem Übermass an Kalorien, Zucker, Salz, gesättigten Fetten und Transfetten in verarbeiteten Lebensmitteln warnen. Dazu Einschränkungen, wie diese Waren für Kinder beworben werden dürfen. Gemäss Public Eye exklusiv vorliegenden Marktdaten belief sich der Einzelhandelsumsatz von Nestlé-Produkten, denen ein oder mehrere der schwarzen Warnhinweise drohten, 2019 in Mexiko auf über eine Milliarde Franken. Und so rief der Konzern aus Vevey das Staatssekretariat für Wirtschaft auf den Plan.

Am 19. November 2019 geht aus der Firmenzentrale ein Mail ans SECO, mit einem «Memorandum» als Anhang, in dem die aus Konzernsicht problematischen Aspekte des mexikanischen Vorhabens aufgelistet sind. «Wir würden uns sehr über Ihre Hilfe und Ihre Empfehlungen für unsere Lobbyarbeit freuen», heisst es darin. Die Nachricht findet sich in einer Reihe von Dokumenten, die das Westschweizer Fernsehen RTS letztes Jahr gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz vom SECO erhalten hat. Sie zeigen, wie willfährig sich das Bundesamt von Nestlé instrumentalisieren liess (was selbst das Aussendepartement EDA irritierte) und Schweizer Junkfood über den Gesundheitsschutz in einem Schwellenland stellte. Das SECO platzierte gegenüber Mexiko sowie auf WTO-Ebene jene Bedenken gegen die Regulierung, die ihm Nestlé diktiert hatte. Zudem propagierte das Amt die (von Nestlé unterstützte) Einführung des Nutri-Scores gemäss Schweizer Vorbild: eine Kennzeichnungsmethode, die freiwillig ist und bei der Junkfood deutlich besser wegkommt als beim mexikanischen Ansatz.

Unsere Recherche zeigt auch, dass Mexiko kein Einzelfall ist. Das Seco hat auch in Ecuador, Chile und Peru interveniert, die in den letzten Jahren ähnliche Warnhinweise eingeführt haben. Die politische Haltung hinter solch fragwürdigen Praktiken fasste die abtretende Amtschefin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch im Mai treffend zusammen: «Eine Hauptaufgabe meiner letzten elf Jahre als SECO-Direktorin war es, mehr Regulierung abzuwehren.» Der für «NOM 051» zuständige Staatssekretär des mexikanischen Gesundheitsministeriums, Hugo López-Gatell, macht dazu ein klare Ansage: «Wir werden nie zulassen, dass uns ein anderes Land oder ein ausländischer Konzern unsere Gesundheitspolitik diktiert.» Höchste Zeit also für die «Vorzeigedemokratie» Schweiz zu verhindern, dass das SECO die Interessen von Nestlé oder anderen Schweizer Unternehmen gegenüber ausländischen Regierungen und in Institutionen wie der WTO zur offiziellen Schweizer Position macht – notabene ohne Einbezug anderer Bundesämter.

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Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch