Handel mit geplündertem Getreide: Risikogeschäft für Schweizer Rohstoffhandelsplatz
Zürich, Lausanne, 19. Februar 2024
Schon nach der russischen Krim-Annexion 2014, besonders aber seit der Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 berichteten internationale Medien wiederholt über den Diebstahl von Getreide durch die russische Besatzungsmacht. Mittlerweile ist die Systematik dieser teils gewaltsamen Plünderungen und des Exports des unrechtmässig angeeigneten Getreides hinlänglich belegt. Gemäss humanitärem Völkerrecht sind solche Plünderungen grundsätzlich ein Kriegsverbrechen und deshalb verboten.
Gemäss den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte müssen Unternehmen im Kontext von Kriegen oder in Ländern, die mit Sanktionen belegt sind, zwingend eine verstärkte Sorgfalt walten lassen. Dazu gehört sicherzustellen, dass sich in den eigenen Lieferketten keine geplünderten Rohstoffe befinden. Doch selbst die grössten Schweizer Agrarhändler, welche den Getreidehandel aus der Schwarzmeerregion massgeblich prägen, bleiben den Beweis schuldig, eine verstärkte Sorgfaltsprüfung bei ihrem Russlandgeschäft durchzuführen. Das zeigt eine umfassende Recherche von Public Eye. Auch auf Nachfrage erhielten wir von acht der neun kontaktierten Handelshäuser keine Auskunft über ihre diesbezüglichen Praktiken.
Dieser fehlende Nachweis ist ein erhebliches Risiko für den Schweizer Rohstoffhandelsplatz. Veranschaulicht hat dies ein Bericht der NZZ, gemäss dem der Zuger Rohstoffhändler Vivalon letzten Oktober von einer russischen Firma 11'500 Tonnen Weizen zweifelhaften Ursprungs gekauft haben soll. Den Export soll ein anderes russisches Unternehmen, das wegen seiner Verstrickung in Getreideplünderungen von den USA sanktioniert ist, in Auftrag gegeben haben. Auf Anfrage von Public Eye hat Vivalon die Möglichkeit eingeräumt, dass es sich bei der Fracht um gestohlene Güter gehandelt habe. Interne Abklärungen hätten zudem ergeben, dass die Compliance-Massnahmen in kritischen Bereichen ungenügend waren. Public Eye liegen weitere russische Zolldaten vor, die zeigen, dass es sich bei besagter Ladung wohl nicht um einen Einzelfall gehandelt hat.
Die Schweizer Sanktionsbestimmungen bieten aktuell keine Handhabe gegen den Handel mit geplünderten Rohstoffen aus der Ukraine. Die entsprechende Verordnung verbietet lediglich den physischen Import von Waren aus besetzten Gebieten, nicht aber den Handel ebendieser Produkte in Drittländer. Genau dieser Transithandel ist jedoch das Kerngeschäft der Schweizer Rohstoffunternehmen. Um der geopolitischen Bedeutung des Schweizer Handelsplatzes Rechnung zu tragen, muss die Ukraine-Verordnung in diesem Punkt auf den Transithandel ausgeweitet werden. Die Forderung nach einer eigenständigen, auf die Schweizer Besonderheiten abgestimmten Sanktionspolitik wurde bereits nach Kriegsbeginn im Parlament diskutiert, im September 2022 – nach Zustimmung des Nationalrats – vom Ständerat aber abgelehnt. Zudem muss auch die Schweiz, wie dies die EU jüngst angekündigt hat, griffige Sorgfaltspflichten für Unternehmen einführen sowie eine spezifisch auf die Risiken des Schweizer Rohstoffsektors ausgerichtete Aufsichtsbehörde zur Durchsetzung und Sanktionierung einrichten.
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