Neue Fakten im Fall Yavatmal: Syngenta-Pestizid spielt weit grössere Rolle bei Vergiftungs­welle als bislang bekannt

Mehr Betroffene, schwerere Gesundheitsschäden: Das Ausmass der Vergiftungsfälle mit dem Pestizid «Polo» von Syngenta in der indischen Region Yavatmal ist weit grösser als bislang bekannt. Dies belegen exklusive Dokumente. Der Basler Agrochemiekonzern verkauft sein hoch gefährliches Produkt trotzdem weiter in Indien. 51 betroffene Familien reichen deshalb heute beim Schweizer OECD-Kontaktpunkt eine Beschwerde ein.

Im Herbst 2017 erlitten im zentralindischen Yavatmal Hunderte Baumwollbauern teils schwere Vergiftungen. Die Hintergründe dazu dokumentieren Berichte von PAN India und Public Eye. Syngenta bestreitet kategorisch ihre Mitverantwortung für die gesundheitlichen und finanziellen Folgen der Vergiftungsfälle und behauptet, es gebe keinerlei Beweise, dass Polo dabei eine Rolle spielte. Der weltgrösste Pestizidproduzent beanstandete sogar eine SRF-Reportage aus Yavatmal – erfolglos.

Behördliche Dokumente, die unseren Partnerorganisationen in Indien zugespielt wurden, zeigen nun die wichtige Rolle von Polo* in dieser Tragödie und ihren andauernden Folgen. Demnach protokollierte die Polizei im Zusammenhang mit dem Syngenta-Pestizid 96 Vergiftungen, darunter zwei mit Todesfolge. In 36 Fällen wurde gemäss Protokoll ausschliesslich Polo benutzt. Auf Basis dieser Fakten und weiterer Recherchen dokumentierte die lokale Maharashtra Association of Pesticide Poisened Persons (MAPPP) zusammen mit den Pesticide Action Networks in Indien (PAN India) und Asia Pacific (PAN AP), dem European Center for Constitutional und Human Rights (ECCHR) in Berlin und Public Eye die Schicksale von 51 Bauernfamilien.

Die Betroffenen berichteten, dass sie nach dem Sprühen von Polo unter akuten Vergiftungssymptomen litten. 44 der 51 zumeist hospitalisierten Vergiftungsopfer berichteten über temporären Sehverlust, 16 Personen waren bis zu mehreren Tagen bewusstlos. Andere Symptome reichten von Übelkeit über Atemnot bis zu neurologischen und muskulären Beschwerden, die zum Teil bis heute andauern. Die häufig resultierende zeitweise Arbeitsunfähigkeit liess die sowieso niedrigen Einkommen drastisch sinken.

Der Fall Yavatmal zeigt einmal mehr, welch gravierenden Menschenrechtsverletzungen Schweizer Konzerne verursachen können. Deutlich wird auch, wie stark es bisher dem einzelnen Konzern selbst überlassen ist, dafür Verantwortung zu übernehmen oder auch nicht. Die Konzernverantwortungsinitiative ist ein entscheidender Schritt, um Unternehmen künftig in die Verantwortung zu nehmen und solchen Missständen vorzubeugen. Syngenta müsste dann die mit vielen seiner Produkte verbundenen Risiken endlich ernst nehmen und sicherstellen, dass es zu keinem zweiten Yavatmal kommt.

Zur Unterstützung der Opferfamilien haben MAPPP, PAN India, PAN AP, ECCHR und Public Eye beim Nationalen Kontaktpunkt für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen (NKP) eine Beschwerde eingereicht. Sie fordern gemeinsam, dass Syngenta in Indien an Kleinbauern keine gefährlichen Pestizide verkauft, wenn diese eine Schutzausrüstung voraussetzen bzw. wenn – wie bei bei Polo – im Vergiftungsfall kein Gegenmittel zur Verfügung steht. Zudem soll der Konzern die 51 Opferfamilien für ihre Behandlungskosten und Lohnausfälle entschädigen.

Die amtlichen Dokumente aus Indien liefern auch Hinweise auf zwei Todesfälle im Zusammenhang mit Polo. Die Fachkanzlei «schadenanwaelte» hat deshalb parallel zur OECD-Beschwerde mit den Hinterbliebenen sowie mit einem Vergiftungs-Überlebenden in Basel eine auf der Produktehaftung basierende Schadensersatzklage eingereicht, da einer der Wirkstoffe im Pestizid Polo, «Diafenthiuron», direkt aus der Schweiz stammte. Wegen der in diesen Fällen Mitte September ablaufenden Verjährungsfrist erfolgt dieser rechtliche Schritt parallel zur davon unabhängigen NKP-Beschwerde, an der die drei klagenden Parteien nicht beteiligt sind.

Die Konzernverantwortungsinitiative würde dafür sorgen, dass eine Schadenersatzpflicht des Schweizer Hauptsitzes auch für jene Menschenrechtsverletzungen selbstverständlich wird, welche Tochterunternehmen im Ausland verursachen und die der Hauptsitz mit entsprechender Sorgfalt verhindern könnte.

Mehr Infos bei:

Oliver Classen, Mediensprecher Public Eye, +41 44 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch
Anabel Bermejo, Leiterin Kommunikation ECCHR, +49 30 698 197 97, presse@ecchr.eu

* Polo ist ein Insektizid mit dem Wirkstoff «Diafenthiuron», der in der Schweiz 2009 vom Markt genommen wurde. Er steht auf der PIC-Liste, was bedeutet, dass der Wirkstoff aus Gründen des Umwelt- oder Gesundheitsschutzes verboten wurde. Die Europäische Chemikalienagentur ECHA hat Diafenthiuron als «giftig beim Einatmen» eingestuft und konstatiert, dass der Wirkstoff bei «längerer oder wiederholter Exposition organschädigend» sein kann.

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