Öl-Embargo gegen Russland: Schweiz foutiert sich um Umsetzung und vertraut stattdessen den Händlern
Zürich, Lausanne, 20. März 2023
Ein Jahr Krieg in der Ukraine hat die Karten auf dem Ölmarkt neu gemischt. Zur Austrocknung dieser Hauptfinanzierungsquelle des Kremls hat die westliche Welt, darunter die Schweiz, ein historisches Embargo gegen das schwarze Gold aus Russland verhängt. Seit Dezember 2022 ist die Einfuhr dieses Rohöls auf dem Seeweg verboten und der Handel damit unterliegt in rund 40 Ländern einem Preisdeckel. Diese Massnahmen gelten seit Februar auch für Erdölprodukte. Vor Putins Einmarsch in die Ukraine war Europa der Hauptmarkt für russisches Öl, das laut unseren Schätzungen zu 50-60% über die Schweiz gehandelt wurde.
Basierend auf exklusiven Insider-Daten und -Aussagen zeigen neue Recherchen von Public Eye, dass dieser Markt neu aufgeteilt und noch undurchsichtiger wurde. Jahrzehntelang waren Trafigura, Vitol, Glencore und Gunvor die Haupthändler von Putins Öl und direkt an vielen russischen Projekten und Unternehmen beteiligt. Seit der Invasion in die Ukraine wurden die Schweizer Rohstoffkonzerne durch russische oder chinesische Staatsunternehmen sowie kleine Trader mit unbekannten Eigentümern ersetzt. Diese neuen "Pop-up"-Firmen operieren meist von Dubai oder Hongkong aus, die keine Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Viele Indizien weisen darauf hin, dass sie dies im Auftrag oder mit Unterstützung von Grossunternehmen tun, die unbemerkt weiter mit russischem Öl handeln wollen.
Public Eye hatte Zugang zu Daten, welche die Entwicklung im ostrussischen Hafen Kozmino zeigen, von wo die Rohölsorte "ESPO" nach Asien exportiert wird. Seit Sommer 2022 sind die grossen Handelshäuser aus der Käufer-Liste verschwunden. Dafür besetzt ein anderes Schweizer Unternehmen nun einen Spitzenplatz: Paramount Energy & Commodities. Zwischen März 2022 und Februar 2023 exportierte das Genfer Unternehmen 10 Millionen Tonnen (72 Millionen Barrel) russisches Rohöl, was etwa 8 Tanker pro Monat entspricht. Kurz nach Kriegsbeginn hatten wir erstmals über die primär in Russland und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion aktive Paramount berichtet. Im Juni 2022 soll die Firma den Handel mit diesen Fässern gemäss Global Witness und der Financial Times jedoch der in Dubai registrierten Paramount Energy and Commodities DMCC übertragen haben. Dieses Unternehmen agiert demnach zwar unabhängig von der fast gleichnamigen Genfer Firma, sein Geschäftsführer ist aber Schweizer Staatsbürger.
Der Mechanismus der Preisobergrenze ermöglicht es westlichen Marktteilnehmern (Händlern, Spediteuren, Versicherern), weiter mit russischem Erdöl zu handeln, sofern sie dafür weniger als 60 USD pro Barrel zahlen ("price cap") und es an Länder ohne Russland-Sanktionen verkaufen. Mit den EU-Sanktionen hat der Bundesrat auch diesen Mechanismus übernommen. Anders als die EU, USA und Grossbritannien kontrolliert das in der Schweiz dafür zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) jedoch nicht, ob sich die Unternehmen auch daranhalten. Das Seco bestätigte Public Eye vielmehr, dass es weder Audits durchführt noch eine Melde- oder Dokumentationspflicht für solche Transaktionen auferlegt, sondern sich ganz auf den guten Willen der Branche verlässt, sich selbst zu kontrollieren.
Zudem gilt das Schweizer Embargogesetz – im Gegensatz zu den EU- und US-Bestimmungen – nicht für Schweizer Bürger*innen mit Wohnsitz im Ausland. Für global agierende Händler ist diese rechtliche Lücke faktisch eine Einladung, die Sanktionen gegen russisches Öl mit nur kleinen organisatorischen Änderungen ganz legal zu umgehen.
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