Offshore auch im Inland: Die Schweiz ist ein Paradies für Briefkastenfirmen
Zürich, Lausanne, 6. Oktober 2021
Genf, Lugano, Zug und Freiburg sind die Schweizer Städte mit den meisten Sitz- oder Domizilgesellschaften, also rechtlichen Firmenhüllen ohne wirtschaftliche Tätigkeit. Kantonaler Spitzenreiter ist Genf mit 13’638 solcher Konstrukte, was einem Drittel aller dort registrierten Unternehmen entspricht. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Public Eye, welche die vier grossen Domizilzentren der Schweiz detailliert kartografiert. Die Briefkastenfirmen sind zu Dutzenden und zumeist rein virtuell in «Geistergebäuden» unterbracht, wo ihr Tagesgeschäft von Anwaltskanzleien und Treuhandbüros für monatlich 99 Franken erledigt wird – zur Wahrung des Scheins inklusive Concierge- und Telefonservice. Eine Vielzahl davon sind im Finanz-, Immobilien- oder Rohstoffhandel tätig. Eine aktuelle Studie des Bundesamts für Statistik bestätigt, dass jedes vierte im Rohstoffhandel tätige Schweizer Unternehmen keine Mitarbeitenden hat.
Briefkastenfirmen sind jedoch nicht unbedingt in illegale Aktivitäten verwickelt. Solche Konstruktionen werden in der Schweiz aber am häufigsten benutzt, um dubiose Transaktionen oder die wirtschaftlichen Nutzniesser zu verschleiern. Dies zeigte erst jüngst wieder der Fall der Zuger «Zeromax», über die das Luxusleben der Tochter des ehemaligen usbekischen Diktators, Gulnara Karimova, finanziert wurde. Laut der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) betreffen fast die Hälfte aller Verdachtsmeldungen solche Domizilgesellschaften. Und in fast 12 Prozent der Fälle sind diese in der Schweiz registriert. Einer der Hauptverdachtsmomente dabei ist Korruption.
Der Skandal um die Panama Papers genügte dem Schweizer Parlament nicht, um die Schlupflöcher für Anwaltskanzleien und Treuhänder im Geldwäschereigesetz bei dessen Revision im Frühjahr endlich zu schliessen. Und der Bundesrat ist weiter gegen ein öffentliches Register der wirtschaftlich Berechtigten von Schweizer Unternehmen, obwohl sich inzwischen mehr als hundert Länder verpflichtet haben, dieses zentrale Instrument zur Bekämpfung finanzieller Intransparenz einzuführen. Um eine Wiederholung des Bankgeheimnis-Debakels zu vermeiden, muss die Schweiz schnell die Konsequenzen aus den «Pandora Papers» ziehen und alle rechtlichen Schlupflöcher schliessen, die Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität auf dem Schweizer Finanzplatz erleichtern.
Mehr Infos (und die Fallstudien nach Kantonen) gibt’s hier oder bei
Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, oliver.classen@publiceye.ch
Adrià Budry Carbó, Finanz- und Rohstoffrechercheur, +41 78 738 64 48, adria.budrycarbo@publiceye.ch