WTO: Schweiz hebelt «das Recht zu regulieren» aus
10. Juli 2006
Während Güter- und Landwirtschaftsmärkte durch Zölle geschützt werden, sind die Dienstleistungsmärkte durch differenzierte Massnahmen reguliert. Dazu gehören auch alle Sozialmassnahmen, Umweltgesetze sowie die Standards im Konsumbereich, Tourismus, Bauwesen, Landschaftsschutz usw. Im WTO-Dienstleistungsabkommen GATS werden diese Regulierungen als „technische Standards“ bezeichnet. Bis Ende 2006 soll nun ein Instrumentarium erarbeitet werden, das bestehende Massnahmen in den WTO-Ländern dahingehend prüft, ob sie „mehr als notwendig handelsverzerrend“ sind.
Die Schweiz schlägt dazu, zusammen mit Neuseeland, Hong Kong, Australien und Mexiko, einen so genannten «Notwendigkeitstest» vor. Danach müssten Regierungen auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene künftig vor der WTO-Streitschlichtung beweisen, dass ihre Verordnungen und Gesetze für den Welthandel kein «unnötiges Hindernis» darstellen. Andernfalls müssten diese Gesetze geändert werden. „Das Schweizer Stimmvolk würde damit von der WTO bevormundet. Demokratische Entscheidungen könnten durch ein Expertengremium ausgehebelt werden“, meint Daniel Lampart vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Auch die Entwicklungsländer stellen sich entschieden gegen einen solchen Test, weil es ihren wirtschafts- und umweltpolitischen Handlungsspielraum massiv einschränken würde.. «Es ist unhaltbar, dass das Staatssekretariat für Wirtschaft seco solch einschneidende Instrumente zu inländischen Regulierungen verhandelt, ohne andere Bundesämter, geschweige denn die politischen Gremien konsultiert zu haben», kritisiert Marianne Hochuli von der Erklärung von Bern.
Die Erklärung von Bern, Alliance Sud, der Schweizerische Gewerkschaftsbund und Pro Natura rufen den Vorsteher des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements, Joseph Deiss, auf, die Forderung nach einem «Notwendigkeitstest» unverzüglich fallen zu lassen. «Es darf nicht sein, dass die Schweizer Handelsdelegierten in der WTO eigenmächtig Forderungen vertreten, die den politischen Handlungsspielraum und die Souveränität sowohl für Entwicklungsländer als auch in der Schweiz auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene derart massiv einschränken», sagt Bastienne Joerchel von Alliance Sud.