Bericht von der vierten WTO-Ministerkonferenz in Katar
22. November 2001
Im kleinen Wüstenstaat Katar, wo keine Demonstrationen erlaubt sind, gelang es den einflussreichen WTO-Mitgliedländern nach zähen Verhandlungen, eine neue Liberalisierungsagenda durchzuzwängen – gegen den Widerstand ärmerer Länder.
Nach einem sechstägigen Verhandlungsmarathon verabschiedeten die HandelsministerInnen um 19.00 Uhr abends die gemeinsame WTO-Ministererklärung, die die Ausrichtung des Welthandels in den nächsten Jahren bestimmt. Über den Abschluss äusserte sich WTO-Generaldirektor Mike Moore gegenüber den anwesenden Delegationen erleichtert: «Vielen Dank, Sie alle haben die WTO gerettet».
Schlechte Ausgangslage für ärmere Länder
Für ärmere Länder stand jedoch bereits der Beginn der Verhandlungen unter einem schlechten Stern, fanden sie doch ihre Anliegen im zuvor in Genf verfassten neunseitigen Entwurf für eine Ministererklärung kaum wieder. Insbesondere sprach sich eine grosse Anzahl südlicher Länder vehement dagegen aus, dass neue Bereiche wie Investitionen, Wettbewerbsregeln und öffentliches Beschaffungswesen den WTO-Regeln unterstellt würden, wie dies die nördlichen Länder forderten. Ein Investitionsabkommen in der WTO bedeutet nämlich, dass ausländische Investoren gleich behandelt werden müssen wie inländische. Dieser Grundsatz kann es wirtschaftlich schwächeren Ländern verunmöglichen, lokale Industrien und Dienstleistungsanbieter zu bevorzugen und vor der Konkurrenz multinationaler Konzerne schützen zu können. Botschafter Superamaniam von Malaysia äusserte sich im Vorfeld zu Katar zur Ausgangslage ärmerer Länder wie folgt: «Ein fein geschliffener Entwurf kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass fundamentale Differenzen zwischen den WTO-Mitgliedern bestehen. Wir betrachten die Ausgangslage als entmutigend, demoralisierend und sogar deprimierend.» Südliche Länder verlangten darum vom Vorsitzenden Stuart Harbinson, dass die abweichenden Ansichten ärmerer Länder in einem separaten Brief offengelegt und deutlich gemacht würden. Auf diese Forderung ging Harbinson nicht ein. In der Folge sahen sich afrikanische Länder, Indien, Pakistan, Kuba und einige andere von Anfang an in die Lage versetzt, zur ausgelegten Liberalisierungsagenda nur noch nein sagen zu können. Sie wurden darum von den einflussreichen WTO-Mitgliedländern – auch von der Schweiz – als Neinsager abgestempelt.
Scheinheiliges Entgegenkommen
Damit es aber nicht gleich zu Beginn zu einem Seattle ähnlichen Eclat kam, wurde fast reibungslos eine separate Erklärung zum «TRIPS-Abkommen und öffentliche Gesundheit» verabschiedet. Damit erhielten ärmere Länder endlich die ausgesprochene Zusicherung, dass nichts in diesem WTO-Abkommen sie davon abhalten solle, Massnahmen ergreifen zu können, um die öffentliche Gesundheit zu schützen. Durch Parallelimporte und durch die Erteilung von Zwangslizenzen soll der Zugang zu preiswerten Medikamenten gefördert werden. Nach dieser «Konzession» gegenüber ärmeren Ländern – die in Wirklichkeit keine war – sollten diese in Katar kaum mehr erhalten als einige vage Formulierungen über technische und finanzielle Unterstützung. Die grossen Players Europa und die USA zeigten sich nicht bereit, der schrittweisen Abschaffung von Exportsubventionen im Landwirtschaftsbereich zuzustimmen oder vermehrt Textilien aus ärmeren Ländern zuzulassen, die USA wollte nicht über Antidumping Regeln verhandeln, und die neuen Bereiche mussten nach Wunsch der Industrieländer unbedingt auf dem Tisch bleiben. Von diesen Positionen mussten sie erst am Schluss leicht abrücken, jedoch ohne verbindliche Zusagen machen zu müssen. Noch zwei Stunden vor Abschluss der Verhandlungen schien es, als würden die Gespräche platzen. Indien, das im Namen vieler ärmerer Länder sprach, wurde insbesondere von der EU und den USA in die Zange genommen. Und stimmte schliesslich zu.
AktivistInnen nützten den engen Spielraum
Währenddessen wurden die etwa 100 Aktivistinnen und Aktivisten von Nichtregierungsorganisationen, die überhaupt den Weg nach Katar gefunden hatten, auf den verschiedensten Ebenen tätig. Bereits für die Eröffnung der Ministerkonferenz planten sie in Windeseile eine Störaktion: Sie stellten sich vor den Eingang und hielten, den Mund zugeklebt, den eintreffenden Delegierten Schilder entgegen, auf denen stand «No voice in WTO» («Wir haben in der WTO keine Stimme»). Lautere Aktionen wurden in den folgenden Tagen täglich auf der Terrasse des Sheraton Hotels, in dem die Verhandlungen stattfanden, durchgeführt, von den Medien dankbar aufgenommen und international verbreitet. Dadurch gelang es den anwesenden AktivistInnen, den engen Handlungsspielraum maximal auszunutzen. Sie standen dabei in Kontakt mit tausenden nicht in Katar anwesenden Kolleginnen und Kollegen. Zudem studierten sie gemeinsam die sich laufend verändernden Entwürfe. Vor allem südliche NGOs trafen sich mehrmals täglich mit südlichen Delegationen, die in sehr kleinen Formationen in Katar vertreten waren und versuchten, deren Rücken zu stärken und Mut zu machen, eine Ministererklärung abzulehnen, der ihnen in keiner Weise entsprach.
Die Schweiz nahm Verantwortung nicht wahr
Die Schweiz hielt sich mehr oder weniger an die europäische Position und machte sich für neue Bereiche in der WTO stark. Bundesrat Couchepin übernahm zudem die Aufgabe des Verantwortlichen für die Arbeitsgruppe «Implementation», die sich mit den Problemen ärmerer Länder befasste. Vergeblich appellierten die zwei Schweizer Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen an ihn, auf eine neue Liberalisierungsrunde zu verzichten. Zwei Wochen zuvor hatten in der Schweiz 30 Organisationen gefordert, vor jeder weiteren Liberalisierungsrunde müssten zuerst die Auswirkungen der bestehenden Abkommen untersucht werden. Solche Untersuchungen habe bis anhin keine stattgefunden.