Bilanz vom 17.5.2014: "NGOs: Duft der Freiheit"
17. Mai 2014
Immer mehr Menschen suchen den Exit aus der Karrieremühle und finden bei Organisationen wie dem WWF das, was sich mit Geld nicht kaufen lässt: Sinn.
Beim Abgang kam Mitleid auf: «Als ich 2001 von McKinsey zum WWF wechselte, trösteten mich Kollegen, dass der Arbeitsmarkt bald besser aussehe und ich dann eine Chance auf einen richtigen Job hätte», sagt Thomas Vellacott, CEO von WWF Schweiz. Was für eine Fehleinschätzung: Nichtregierungsorganisationen (NGOs) – vom WWF über Greenpeace, Pro Natura bis zur Erklärung von Bern – funktionieren längst wie hochprofessionelle Firmen. Sie setzen ihre knappen Mittel zielgerichteter ein als viele Konzerne, führen Mitarbeiter und Projekte über Zielvorgaben und evaluieren knallhart ihre Prozesse und Arbeit. «Ich bin überzeugt, dass wir gewinnorientierten Unternehmen bezüglich Professionalität in nichts nachstehen», sagt Vellacott. Einen besseren Job kann er sich nicht vorstellen. Hier stimmen für ihn die tägliche Herausforderung und die Ziele, für die er sich einsetzt.
Als Arbeitgeber sind NGOs für Spezialisten aus anderen Branchen attraktiv. Wer etwas bewegen will, hat hier oft bessere Möglichkeiten als in den starren Strukturen eines Grosskonzerns, und wer eine Arbeit sucht, die mehr Sinn stiftet, als nur Geld anzuhäufen, findet sie hier. «Der Kick, etwas zu bewegen und Erfolge für die Umwelt zu erzielen, ist unbeschreiblich», sagt Vellacott, der seit 13 Jahren beim WWF arbeitet und seit 2012 Frontmann der Schweizer Organisation ist. Was die Bezahlung betrifft, halten die NGOs zwar nicht mit der Privatwirtschaft oder der Verwaltung mit, aber die Begeisterung und der Spass an der Arbeit sorgen dafür, dass die persönliche Bilanz wesentlich besser aussieht. Keinen Tag hat er den Wechsel bereut. «Sich für ein Ziel einzusetzen, das Sinn gibt, ist wichtiger für die persönliche Motivation als die Höhe des Salärs», sagt Vellacott.
Im Dienst einer Aufgabe
Diesen speziellen Weg wollen sich heute Hochqualifizierte leisten, die in der Privatindustrie bereits Karriere gemacht haben und nun etwas Besseres wollen: etwas, bei dem sie ihre Fähigkeiten in den Dienst einer Aufgabe stellen können.
Katharina Serafimova etwa war bei der Bank Sarasin Nachhaltigkeitsbeauftragte und hat jetzt beim WWF als Projektleiterin Finanzwirtschaft die Aufgabe, Banken grüner zu machen. «Wenn man nachhaltige Investitionen etablieren will, muss man die gleiche Sprache wie die Banken sprechen und die Rahmenbedingungen verstehen, in denen sie sich bewegen», sagt sie. In Zusammenarbeit mit KPMG hat der WWF eine Bewertung der Nachhaltigkeit von Schweizer Banken erarbeitet, in Kooperation mit Credit Suisse und McKinsey eine Studie über Investitionsmöglichkeiten im Naturschutz gemacht. Das WWF-Team hat Workshops mit Investmentbanken wie Goldman Sachs durchgeführt. Derzeit reden die grünen Finanzexperten mit Finanzmarktregulatoren über Methoden, damit Umweltrisiken bei der Kreditvergabe durch Banken berücksichtigt werden. «Wir merken, dass die Finanzindustrie zu erkennen beginnt, dass Umweltaspekte für das Risikoprofil eines Portfolios sehr relevant sind», sagt Serafimova.
Der Umweltnaturwissenschaftlerin war Nachhaltigkeit schon immer wichtig. Beim WWF hat sie die Chance, mit einem Team vor Ort und im internationalen Netzwerk dieses Thema effizient voranzubringen. «Hier habe ich mehr Freiraum, das Ziel hartnäckig zu verfolgen und auch unkonventionelle Weg zu gehen, um meine Aufgabe zu erfüllen.»
Berufung statt Beruf
Spektakulär, rebellisch, fanatisch: So sind NGOs bis heute in den Köpfen der meisten verankert. Bilder wie etwa jene des Greenpeace-Aktivisten Marco Weber auf der Ölplattform Priraslomnaja in der Barentssee vom letzten September bestätigen diese Klischees. Die Realität in den Büros dieser Organisationen sieht komplett anders aus: NGOs haben sich längst dem System angepasst, wollen auf Augenhöhe mit Politik und Wirtschaft reden. Sie haben erkannt, dass sich ihre Ziele so am wirkungsvollsten durchsetzen lassen. Nur gegen etwas zu sein, ohne Lösungen anzubieten oder Alternativen aufzuzeigen, geht heute nicht mehr.
Eine NGO ist die ideale Arbeitgeberin für ungeduldige, professionelle Überzeugungstäter, von denen es heute immer mehr gibt. Gemäss einer Studie der Employer-Branding-Agentur Universum suchen immer mehr Menschen keinen Beruf, sondern eine Berufung. Sie wollen kein tolles Salär und Karrieremöglichkeiten, sondern sich für Ziele einsetzen, die ihren eigenen Werten entsprechen.
Gewinn an Lebensqualität
Im Vergleich zum Salär, das die Engländerin Lyssandra Sears bei einer Anwaltskanzlei in London und später in Zürich bezog, ist die Summe auf ihrem NGO-«Paycheck» nur halb so hoch. «Der Gewinn an Lebensqualität, Sinn und Zufriedenheit wiegt das mehr als auf», sagt sie. Seit knapp einem Jahr ist sie bei der Erklärung von Bern und dort als Juristin gefragt, wenn die Truppe wieder einmal Konzerne aus der Finanzindustrie, dem Handel oder der Rohstoffbranche wie Glencore unter Feuer nimmt.
Obwohl Sears aus einer Anwaltsfamilie kommt, war es ihr unwohl in der Welt der Kanzleien mit ihren getäferten Sitzungszimmern und dem Bestreben, das letztlich immer kommerzielle Interesse des Kunden durchzusetzen. Sie merkte, dass die Ziele, die ihre Kollegen mit den Mitteln der Gesetze durchbringen wollten, nicht ihre waren. «Es ging darum, Recht durchzusetzen, und nicht darum, das Recht in den Dienst der Gerechtigkeit zu stellen», sagt sie.
Das steht im Widerspruch zu ihrer Grundüberzeugung, die Spannung zwischen ihren Idealen und der täglichen Arbeit in der Kanzlei machte sie unzufrieden. Deshalb fanden ihre Familie und viele Freunde die Entscheidung gut, zur Erklärung von Bern zu gehen. «Ich habe mich immer wieder darüber beklagt, dass ich mir einen sinnstiftenderen Job in einem anderen Milieu wünschte.» Jetzt hat sie mehr Spass im selben Beruf, mehr Motivation und mindestens das gleiche Niveau an Professionalität sowie einen grösseren Gestaltungsspielraum.
Profis vs. Profis
Der Anspruch, den Sears an ihre Arbeit stellt, ist hoch, denn nur wenn die juristische Waffe scharf ist und geschickt geführt wird, haben die Aktivisten eine Chance, Regierungen, Behörden und Firmen so unter Druck zu setzen, dass sie ihr Verhalten ändern. «Dafür braucht es zunehmend auch juristische Expertise», sagt Sears. Während gewissen Managern Boykottdrohungen oder Sitzblockaden vor der Firmenzentrale wenig Eindruck machen, verstehen sie die Sprache der Juristen ziemlich schnell. «Wir benutzen eine Terminologie, die ihrer Welt entspricht und mit der sie schnell einordnen können, mit welchen Konsequenzen ihr Unternehmen rechnen muss», sagt Sears.
Weil die Erklärung von Bern hohe Wirksamkeit erzielen und nicht vor Top-Kanzleien auf der anderen Seite kapitulieren will, muss die NGO-Seite fachlich auf ähnlichem Niveau wie die hochbezahlten Anwälte agieren. «Wir sind schliesslich Profis», sagt Sears, die sich oft mit der Brainpower ganzer Anwaltsteams konfrontiert sieht und motiviert ist, sich voll und ganz für etwas einzusetzen, was ihr wichtig ist. «In unserem Hauptquartier würde mir eine 24-Stunden-Schicht nichts ausmachen, wenn es die Sache erfordert», sagt Sears. In der Londoner City fand sie das eine Zumutung.
Professionelle Strukturen
Ein missionarisches Ziel und ein beschränkter Geldbeutel: Das ist in der Regel die wirtschaftliche Ausgangslage von Nonprofitorganisationen. «Dafür reichen die früheren NGO-Generalistenprofile heute nicht mehr aus», sagt Alfred Fritschi, Managing Director der Erklärung von Bern. Zunächst wurden Experten für Marketing und Kommunikation engagiert, später holte man sich das Know-how anderer Disziplinen ins Haus. Auch Erfahrungen im Management sind gefragt: Fritschi hatte in den achtziger Jahren bereits für die Organisation gearbeitet, bevor er später während zwölf Jahren in der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) des Bundes tätig war. «Ich gehöre einer politisch stark bewegten Generation an, die sich für die Menschenrechte und gegen soziale Ungerechtigkeiten einsetzt – und zwar durch die Bekämpfung von deren Ursachen hier in der Schweiz», sagt er. Spannend sei es, eine bereits erfolgreiche NGO noch schlagkräftiger zu machen. In den letzten Jahren hat die Erklärung von Bern ihre Strukturen so verändert, dass jetzt die Weichen gestellt sind, um noch professioneller zu arbeiten.
In seinem Anspruch unterscheidet sich NGO-Boss Fritschi nicht gross von einem KMU-Geschäftsführer, wohl aber in Sachen Führungskultur. Alle zwei Wochen ist er ein paar Tage in Lausanne bei der Dependance der Organisation in der Romandie. Erst seit kurzem spannen die Deutschschweizer und die Welschen in der nationalen Erklärung von Bern mit einer Geschäftsleitung zusammen. Die Organisationen zusammenzuführen und dabei die eigenständigen Kulturen zu erhalten, ist für Fritschi eine wichtige Managementaufgabe. Trotz einer finanziellen Einbusse beim Salär hat er den Schritt in die NGO-Branche nicht bereut und macht einen Mehrwert seines Wechsels aus. Bei der Deza war er als Abteilungsleiter ein Rädchen im System: «Als Managing Director der Erklärung von Bern habe ich einen viel direkteren Einfluss. Ich werde in politischen Kreisen und Teilen der Wirtschaft zwar nicht unbedingt geliebt, aber ernst genommen.»
Intellektuelle Herausforderung
Marketingmann Stefan Meier suchte nach etwas, womit er sich «voll und ganz identifizieren kann». Er arbeitet in der Abteilung Corporate Relations beim WWF. Sein Team ist für Kontakte und Zusammenarbeit mit Unternehmen zuständig. Nach fünf Jahren als Head of Trade Marketing bei Procter & Gamble und fünf Jahren als Gründer und Mitinhaber einer Sportmarketingfirma, die auch den Fussballer Alex Frei vermarktete, merkte er, dass ihm im Job etwas fehlte. «Ich habe eine intellektuelle Herausforderung gesucht und sie beim WWF gefunden», sagt er. Da der WWF Schweiz innerhalb des internationalen WWF-Netzwerks als «Ländergesellschaft» für den Kontakt zu allen Unternehmen verantwortlich ist, die ihren Sitz hierzulande haben, ist die Arbeit spannend: «Ich kann mit den Chief Marketing Officers der grossen Firmen sprechen und Kooperationen vereinbaren, sofern die Unternehmen bereit sind, sich anspruchsvolle Umweltziele zu setzen.» Bei Freunden erntete er Zustimmung zum Wechsel in die NGO-Branche, und seine beruflichen Kontakte von früher pflegt er heute immer noch. «Mein Netzwerk ist auch ein Einstellungskriterium gewesen», sagt er.
Profis, die Wert auf Arbeit legen, die sinnvoll ist, finden nicht nur bei NGOs neue Herausforderungen, sondern auch in den kleinen Beratungsfirmen der Nachhaltigkeitsbranche. Obwohl gewinnorientiert, steht bei ihnen das Ziel ganz oben, einen Beitrag zur Erhaltung des Planeten zu leisten. Inrate ist eine Rating-Agentur mit Büros in Zürich und Freiburg, die Firmen nach Kriterien der Nachhaltigkeit bewertet. Bevor Natalie Ernst als Verantwortliche für Kommunikation zu Inrate stiess, war sie sieben Jahre für die Credit Suisse in der Kommunikation tätig. «Gott sei Dank», sagt sie. «Ohne das Know-how, das ich dort bekommen habe, hätte ich die Aufgaben am neuen Ort kaum stemmen können.»
Andere Gesprächskultur
Statt in einem Konzern mit über 40 000 Beschäftigten arbeitet sie jetzt in einer Organisation mit etwas mehr als 30 Leuten. Obwohl Inrate gewinnorientiert ist, prägt der Nachhaltigkeitsgroove die Firmenkultur, die stark auf den Dialog ausgerichtet ist. Dinge werden lange besprochen, denn man fühlt sich einem gemeinsamen Ziel verpflichtet, das allen wirklich am Herzen liegt – nämlich einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Wirtschaft zu leisten. «Das hat einen Einfluss auf die Motivation und auf die Gesprächs- und Führungskultur», sagt Ernst.
Der fachliche Rucksack, den Natalie Ernst bei der Grossbank geschnürt hat – plus ihre persönliche Weiterbildung zur Kommunikationstrainerin – haben Inrate neues Know-how zugeführt. Von ihrem angelernten strukturierten Denken aus den Bürotürmen eines Big Players kann das Nachhaltigkeitsunternehmen profitieren. Für Ernst war es eine Herausforderung: «In einem Grossunternehmen gibt es strengere Vorgaben, die zwar oft einengen, aber auch Sicherheit geben. Hier hat man Freiraum, den man erst einmal aushalten und schliesslich auch gestalten muss», sagt sie.
Autor: Oliver Klaffke
Quelle: Bilanz, erschienen am 17.5.2014