Brasilien verbietet Paraquat – Lobby formiert sich
23. Oktober 2017
Der 19. September war definitiv kein Freudentag für Syngenta: An diesem Dienstag hat die brasilianische Gesundheitsbehörde Anvisa nach einer umfassenden Neubeurteilung entschieden, Paraquat zu verbieten. Brasilien ist für die Agrarchemie und für Syngenta nicht irgendein Markt: In keinem Land der Welt wird mehr Paraquat verspritzt als dort. Seit in den letzten Jahren insbesondere in Sojafeldern Unkräuter zu wuchern begannen, die resistent sind gegen das Herbizid Glyphosat, sind die Verkäufe zusätzlich nach oben geschnellt. Syngenta macht über die Hälfte seines Paraquat-Umsatzes in Brasilien und erwirtschaftet dort insgesamt mit jährlich rund zwei Milliarden Franken zwanzig Prozent ihres Gesamtumsatzes. Mit dem Verbot folgt Brasilien dem Beispiel von über 50 anderen Ländern (darunter die Schweiz und die EU-Staaten), die das hochgiftige Herbizid bereits untersagt haben.
Vier Gründe für ein Verbot
2008 hat die brasilianische Gesundheitsbehörde Anvisa eine Neubeurteilung von Paraquat lanciert – aufgrund von „Studien, welche die hohe akute und chronische Toxizität des Wirkstoffes aufzeigen“.
Nach umfassender Prüfung kam die Behörde 2015 zum Schluss, der Import, die Produktion, Vermarktung und Verwendung von Paraquat seien aus vier Gründen per sofort zu verbieten: wegen der Schwere mancher Vergiftungsfälle, weil das Tragen von Schutzausrüstung keinen vollständigen Schutz vor Vergiftungen biete, und weil es Beweise sowohl für den Zusammenhang von Paraquat und der Parkinson-Erkrankung als auch für das “erbgutverändernde Potential“ des Pestizids gebe.
Lobby „an allen Etappen beteiligt“
Doch unter dem Druck der mächtigen Agroindustrie-Lobby hat Anvisa die Nutzung des Herbizids schliesslich nicht ab sofort verboten, sondern erst ab 2020, nach einer dreijährigen Übergangsfrist. Falls bis in drei Jahren neue Studien präsentiert werden, welche die Unbedenklichkeit von Paraquat – insbesondere hinsichtlich Mutationen des Erbguts – belegen, könnte die Behörde das Verbot allerdings wieder rückgängig machen.
Gemäss eines Berichts der Behörde mobilisierten insbesondere das Landwirtschaftsministerium und die parlamentarische «Agrarfront» aktiv gegen das Verbot. Zudem formierten sich die Pestizidproduzenten und Agrarunternehmen in einer Arbeitsgruppe, die durch „regelmässige Treffen“ mit der Behörde „aktiv an allen Etappen des Prozesses der Paraquat-Neubewertung beteiligt“ war.
Die parlamentarische Gruppe der Agrarlobby lieferte Michel Temer nach dem Impeachment von Ex-Präsidentin Dilma Rousseff 2016 gut die Hälfte der zur Machtübernahme benötigten Stimmen. Gemeinsam mit dem Landwirtschaftsminister und „Soja-König“ Blairo Maggi kämpft die Agrarfront aktuell auch für eine Auflockerung des Zulassungsverfahrens für Pestizide in Brasilien. So soll eine Regelung aus dem Gesetz gestrichen werden, welche heute die Bewilligung von nachweislich kanzerogenen und mutagenen Wirkstoffen verunmöglicht. Und: die Entscheidungskompetenzen des Landwirtschaftsministeriums sollen – zulasten der Anvisa – stark ausgebaut werden.
Syngenta optimistisch
Der Kommentar von Syngenta Brasilien zum Entscheid der Behörde liest sich optimistisch: Anvisa habe „beschlossen, die Zulassung Paraquat-haltiger Pflanzenschutzmittel für die kommenden drei Jahre aufrechtzuerhalten, bis transitorische Massnahmen zur Risikoverminderung sowie neue wissenschaftliche Studien umgesetzt seien, welche die Sicherheit des Produktes für die landwirtschaftlichen Arbeiterinnen und Arbeiter belegen“, schreibt das Unternehmen.
Es ist also damit zu rechnen, dass die Lobby in den nächsten drei Jahren einige Anstrengungen unternehmen wird, um den Entscheid der Anvisa wieder umzukehren.
Ein schwieriges Jahr für Paraquat
Die Ankündigung Brasiliens ist für Syngenta jedenfalls kein leicht verdaulicher Schlag – zumal sie sich in eine ganze Reihe weiterer Entscheide gegen Paraquat in diesem Jahr einreiht: China, Vietnam und Thailand wollen Paraquat ebenfalls verbieten. Syngenta dominiert das rund eine Milliarde Dollar schwere globale Geschäft mit Paraquat, mit geschätzten 40 Prozent Marktanteil, also etwa 400 Millionen Franken. Aber die Verkäufe sinken seit einigen Jahren stark. 2014 machte das Unternehmen mit nicht-selektiven Herbiziden – vor allem mit Paraquat und Glyphosat – noch fast 1,5 Milliarden Dollar Umsatz. 2015 war es noch eine Milliarde, 2016 noch 770. Ein Rückgang auf die Hälfte – innert gerade mal drei Jahren.
Weitere Infos zum Paraquatgeschäft in unserem Dossier
O Brasil proíbe o paraquat – o lobby prepara-se (News in Portugiesisch)