Ein wichtiger erster Schritt zu mehr Transparenz bei Medikamenten
28. Mai 2019
Die von Italien vorgeschlagene Resolution wurde zunächst von 11 weiteren Ländern (darunter Spanien, Portugal, Griechenland, Türkei, Südafrika, Ägypten und Malaysia) unterstützt; am Ende der Versammlung von 19 Ländern (u.a. Brasilien, Indien, Russland und Luxemburg).
Die "Transparenzresolution" war wohl bis zum Schluss äusserst leidenschaftlich bekämpft worden – was die Angst der Pharmaindustrie belegt (falls es dafür noch eines Beleges bedurfte), ihre tatsächlichen Forschungs- und Entwicklungskosten (F&E) offen legen zu müssen. Die Sitzländer der grossen Pharmaunternehmen (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, die Vereinigten Staaten, Dänemark und die Schweiz) haben alle Anstrengungen unternommen, um eine Verpflichtung der Pharmaunternehmen zur Offenlegung ihrer F&E-Kosten in der Resolution abzuschwächen wenn nicht ganz zu streichen.
So werden die Staaten im angenommenen Text (Französisch, Englisch) nicht mehr "aufgefordert, die Offenlegung von Resultaten und Kosten klinischer Studien zu verlangen", sondern "gegebenenfalls geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Verbreitung und bessere Verfügbarkeit aggregierter Daten über die Resultate zu unterstützen und - falls sie bereits öffentlich zugänglich sind oder auf freiwilliger Basis zur Verfügung gestellt werden – auch über die Kosten klinischer Studien". Es ist zu wetten, dass freiwillige Maßnahmen wenig oder gar keine Wirkung haben werden – die Geschichte hat es genügend gezeigt. In diesem Punkt ist der Text sehr enttäuschend.
Das Vertrauen in freiwillige Massnahmen von Unternehmen ist umso unverständlicher, als sich alle Länder - angeführt von der Schweiz - über die steigenden Medikamentenpreise und die Informationsasymmetrie zwischen Gesundheitsbehörden und Industrie bei deren Festlegung beklagen. Als ob sich die Transparenz nur auf den Preisvergleich beschränken sollte, und die Grundlage nicht beträfe, auf welcher die Preise gesetzt wurden. Die Staaten hatten eindeutig nicht den Mut, gegen ihre allmächtige Pharmaindustrie vorzugehen.
Positiv ist dennoch, dass Transparenz über die tatsächlichen Preise (oder "Nettopreise") von Medikamenten, d.h. nach Abzug von Rabatten, geschaffen wurde. Neben den Bemühungen, den Bezug zu den F&E-Kosten zu beseitigen, hat sich die Schweiz in den Verhandlungen auf diesen Punkt fokussiert. Sie ist der Ansicht, dass sie die einzige Nation in Europa ist, die keine "geheimen Abmachungen" trifft. Dies stimmt grundsätzlich, aber nicht formal: in der Tat sind die gewährten Rabatte auch in der Schweiz nicht so einfach (oder offensichtlich) zu finden.
Die Annahme dieser Resolution ist ein wichtiges politisches Signal in einer Zeit, in der sich vertrauliche Abmachungen zwischen der Pharmaindustrie und Staaten vervielfachen, so dass der tatsächlich bezahlte Preis nie bekannt wird. Die von den grossen Pharmaunternehmen im Bereich der Preise verfolgte Strategie "divide et impera" wird somit hoffentlich bald der Vergangenheit angehören.
Ein wichtiger und ungewöhnlicher Schritt: Nach der Annahme der Resolution im Plenum haben Deutschland, Grossbritannien und (was noch überraschender ist) Ungarn beschlossen, sich von ihr zu distanzieren. Mit anderen Worten, diese Länder werden diese Transparenzregeln nicht umsetzen und der WHO nicht darüber berichten. Die Vereinigten Staaten und die Schweiz hingegen unterstützten die Resolution, was eine gewisse Spaltung zwischen den Sitzstaaten der Pharmariesen zeigt.
Kein fairer Preis ohne volle Transparenz!
Die an der Weltgesundheitsversammlung vom 20. bis 28. Mai 2019 in Genf verabschiedete Resolution ist also ein wichtiger politischer Schritt zu mehr Transparenz. Der Kampf bezüglich fairer Medikamentenpreise ist jedoch noch lange nicht vorbei. Die Schweiz wäre gut beraten, den nächsten Zug nicht zu verpassen, wenn es darum geht, die Preisbildung zu beleuchten - denn ohne volle Transparenz wird es keinen "fairen Preis" geben.