Gastbeitrag im Tagesanzeiger: "Der verschenkte Rohstoffboom"
9. Oktober 2015
Nicht nur Korruption und Konflikte führen dazu, dass Entwicklungsländer unter ihrem Rohstoffreichtum eher leiden, als davon zu profitieren. Vor allem ist ihr Anteil an den Rohstoffeinnahmen zu gering. Mancherorts keimt Hoffnung, dass der Zerfall der Rohstoffpreise einen Rückgang dieses «Ressourcenfluchs» bringen könnte. Denkbar ist das aber nur in Bezug auf eine Dimension dieses Fluchs, nämlich die Veruntreuung von Einnahmen durch autoritäre Regimes. Geringere Einnahmen aus der Rohstoffförderung verringern auch die Möglichkeit der Machthaber, sich Loyalitäten zu kaufen, und könnten so Regimewechsel beschleunigen – so die Argumentation. Ob dies Demokratisierung und bessere Regierungsführung bringen würde, ist allerdings fraglich.
Dennoch: Die Verschwendung von Rohstoffeinnahmen ist ein wichtiger Aspekt des Ressourcenfluchs. Versteht man diesen aber breiter, nämlich als den Skandal, dass die Bevölkerung rohstoffreicher Entwicklungsländer kaum oder gar nicht von ihren Bodenschätzen profitiert, ist die Verschleuderung von Rohstoffeinnahmen nicht das einzige Problem. Denn der Anteil der Einnahmen, den die Förderländer für sich behalten können, war immer schon zu gering – auch in fetten Jahren. Ohne eine gerechtere Verteilung der Rohstofferträge zwischen den Förderländern und den fast immer ausländischen (und häufig Schweizer) Firmen gibt es keine Milderung des Ressourcenfluchs. Der Oxford-Professor Paul Collier betont die Verantwortung der Unternehmen: «Im Unterschied zu rein produktiven Aktivitäten schafft die Rohstoffförderung sowohl Renten als auch Profite, wenn in sich werthaltige Stoffe aus dem Boden geholt werden. (...) Spektakuläre Profite von Rohstoffunternehmen sind deshalb höchstwahrscheinlich Rentenabschöpfung: Unternehmen eignen sich die Ressourcen von armen Menschen an. Dieses Verhalten demonstriert nicht einen ausserordentlich hohen Geschäftssinn, sondern eine ausserordentlich geringe Unternehmensethik.»
Abgaben drastisch gesenkt
Gemäss der Afrikanischen Entwicklungsbank sollten Bergbauländer 40 bis 60 Prozent ihrer Rohstofferträge abschöpfen können. Für fast alle Staaten würde dies eine dramatische Steigerung ihres Anteils bedeuten. Sinkende Rohstoffpreise verheissen deshalb nichts Gutes. Während der letzten Baisse vor 30 Jahren änderten viele Entwicklungsländer unter dem Druck des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank ihre Bergbaugesetzgebung. Die entsprechenden Steuern und Abgaben wurden gesenkt oder sogar ganz aufgehoben (etwa in Chile und Peru). Heute sind sie mit 0 bis maximal 6 Prozent deutlich geringer als beim Erdöl. Dies ist ein entscheidender Grund, warum der vergangene Boom an den Förderländern spurlos vorbeiging. Sambia zum Beispiel erhob von Glencore die längste Zeit des «Super Cycle» Abgaben von lediglich 0,6 Prozent. Die zur Kompensation versprochenen Gewinnsteuereinnahmen blieben durch die aggressive Steuervermeidung des Zuger Giganten aus.Nur wenn die Rohstoffländer einen fairen Anteil erhalten und die dortigen Machthaber diese Einnahmen in die Entwicklung investieren, kann auch die arme Bevölkerungsmehrheit profitieren.
Das Potenzial dafür ist riesig: 69 Prozent der Menschen in extremer Armut leben in rohstoffreichen Entwicklungsländern. Zugleich befindet sich die Hälfte aller bekannten Erz-, Öl- und Gasreserven in diesen Staaten. Käme dieser Reichtum effektiv der Bevölkerung zugute, könnten gemäss McKinsey Global Institute bis 2030 gegen 540 Millionen Menschen den Weg aus der Armut finden. Es ist die einzige Chance, die diese Länder haben. Der Skandal, dass der vergangene Boom an ihnen vorbeigezogen ist, darf sich nicht wiederholen.