Interview im Tagesanzeiger mit EvB-Handelspolitik-Experten Thomas Braunschweig zum FHA mit China
9. Juli 2013
Mit freundlicher Genehmigung des Journalisten Martin Wilhelm veröffentlichen wir dieses Interview.
Herr Braunschweig, was wäre zu gewinnen, wenn die Menschenrechte im Freihandelsabkommen mit China erwähnt würden?
Die Schweiz würde damit zumindest nicht hinter ihre eigenen Ansprüche und Standards zurückgehen. Wir haben alle Freihandelsabkommen der vergangenen Jahre angeschaut, darin wird immer zumindest in der Präambel explizit auf die Menschenrechte und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hingewiesen. Das vorliegende Abkommen mit China verweist einzig auf die Charta der Vereinten Nationen, welche kein konkretes Instrument zur Wahrung der Menschenrechte ist. Damit ist dieses Abkommen klar ein Rückschritt. Wir dürfen den moralischen Kompass hier nicht verlieren.
Verwiesen wird auf den sogenannten Menschenrechtsdialog, welchen die Schweiz schon seit längerem mit China führt – genügt dies nicht?
Nein, das genügt aus zwei Gründen nicht: Erstens wird im Abkommen selber gar nicht direkt auf den Menschenrechtsdialog hingewiesen. Das Wort Menschenrechte kommt im ganzen Vertragswerk nicht vor, ebensowenig das Wort Minderheiten. Verwiesen wird nur auf das sogenannte Memorandum of Understanding, in dem die Schweiz und China 2007 auch den Menschenrechtsdialog bestätigten. Zweitens haben diese Menschenrechtsdialoge – jener zwischen China und der Schweiz läuft schon seit zwanzig Jahren – kaum konkrete Resultate produziert. Hinzu kommt, dass die chinesische Regierung die Menschenrechtsdialoge als Druckmittel zu verwenden versucht, so im Falle der Nobelpreisvergabe an Liu Xiaobo, worauf China den Menschenrechtsdialog – wie auch die laufenden Freihandelsverhandlungen – mit Norwegen unterbrach. Auch der Schweiz passierte dies schon: 2009 setzte China den Menschenrechtsdialog mit der Schweiz aus, als sie drei Chinesen uigurischen Ursprungs aufnahm.
Erwähnt wird die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte beispielsweise im Freihandelsabkommen mit der Ukraine, das die Schweiz via Efta abgeschlossen hat. Glauben Sie wirklich, dass dies zur besseren Wahrung der Menschenrechte in der Ukraine beigetragen hat?
Nein, ich glaube nicht, dass sich die Menschenrechtslage in der Ukraine so kurzfristig und konkret wegen dieser Formulierung geändert hat. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich aber auf minimale Standards geeinigt, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder auch in den Normen der Internationalen Arbeitsorganisation festgelegt sind. Als Mitglieder der Staatengemeinschaft hat die Schweiz die Pflicht, diese Mindeststandards immer wieder einzufordern. Es ist zentral, dass die Einhaltung der grundlegendsten Arbeitsnormen als Vorbedingung formuliert wird, wenn mit einem Land verstärkt wirtschaftlich zusammengearbeitet werden soll.
Haben die chinesischen Arbeitnehmer einen konkreten Nutzen davon, wenn solche Standards in einem Abkommen mit der Schweiz festgeschrieben werden?
Auf jeden Fall. Wenn die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation im Abkommen als Vorbedingung festgeschrieben würden, wäre China gezwungen oder stünde zumindest unter starkem Druck, mehr zu tun, um diese einzuhalten. China ratifiziert bisher vier dieser acht Kernarbeitsnormen nicht und verletzt diese auch massiv, darunter insbesondere die gewerkschaftliche Vereinigungsfreiheit und das Verbot der Zwangsarbeit, welche in China immer noch im grossen Stil stattfindet. Ein solches Abkommen wäre die geeignete Gelegenheit, um China auf seine Versäumnisse hinzuweisen.
Sie sprechen nun von den Arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation – der Verweis auf die Menschenrechte alleine reicht also Ihrer Ansicht nach nicht?
Das würde sicher nicht reichen. Wir sind auch etwas besorgt, dass die Diskussion über die Berücksichtigung der Menschenrechte auf diesem tiefen Niveau geführt wird. Ein Verweis auf die Menschenrechte in der Präambel des Freihandelsabkommens reicht nicht, weil diese nicht bindend ist. Es braucht verbindliche Klauseln mit Sanktionsmechanismen.
Economiesuisse-Chef Rudolf Minsch hat gestern gesagt, das Abkommen könne indirekt über die Verbesserung des Wohlstandes zur besseren Wahrung der Menschenrechte beitragen. Hat er da nicht recht?
Da wird erstens sehr verkürzt argumentiert und zweitens zeigt das ein doch einigermassen beschränktes Verständnis der politischen Ökonomie und der wirtschaftlichen Zusammenhänge. Ein Freihandelsabkommen kann zweifellos das Wirtschaftswachstum verstärken. Ob diese Gewinne allerdings auch bei den Bedürftigsten, die im Fokus jeder menschenrechtlichen Betrachtung stehen, ankommen, ist eine ganz andere Frage. Wir haben grösste Befürchtungen, dass das Wirtschaftswachstum nicht jenen zugute kommt, die heute am meisten unter den Menschenrechtsverletzungen zu leiden haben.
Falls das Parlament nun dem Freihandelsabkommen zustimmt und dieses nicht vors Volk bringen will: Wird Ihre Allianz aus Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen ein Referendum unterstützen?
Ein Entscheid dazu müsste zuerst innerhalb der einzelnen Organisation und dann im Rahmen der Allianz geprüft werden. Unser grundsätzliches Ziel ist aber klar: Das Abkommen darf in dieser Form nicht umgesetzt werden.
Sie nehmen also ein Scheitern des Abkommens in Kauf.
Wir müssen darauf beharren, dass Mindeststandards bei den Menschenrechten eingehalten werden. Man muss auch immer wieder darauf hinweisen, welchen Unterschied das Abkommen machen würde: Es ist mitnichten so, dass der ganze Handel mit China nun sofort zusammenbrechen würde, wenn das Abkommen nicht umgesetzt würde. Der Handel mit China hat sich in den letzten Jahren sehr erfreulich entwickelt, und das wird er vermutlich auch weiterhin, mit oder ohne Abkommen. Der effektive Unterschied, den das Abkommen machen würde, wird wahrscheinlich massiv überschätzt. Die Wettbewerbsvorteile, die die Schweiz mit dem Abkommen erlangt, werden zudem zeitlich begrenzt sein – nämlich bis die anderen Staaten ebenfalls ein Freihandelsabkommen mit China abgeschlossen haben.
Wenn die Schweiz selber kein Freihandelsabkommen mit China abschliesst, geriete sie dann aber in Rückstand.
Ein Freihandelsabkommen mit China ist gerade bei der EU, der wichtigsten Konkurrentin der Schweizer Wirtschaft, nicht absehbar. Das Seco formuliert es denn auch immer entsprechend vorsichtig und sagt, man wolle künftige oder potentielle Diskriminierungen verhindern. Heute gibt es diese aber nicht. Etwas stört uns am Abkommen zudem besonders: Aus unserer Sicht ist ein Schweizer Alleingang in der Menschenrechtsfrage gefährlich. Wir befürchten, dass China in Verhandlungen mit anderen Ländern auf das Fehlen von Menschenrechtsbestimmungen im Abkommen mit der Schweiz verweisen wird. Das Schweizer Abkommen würde so zum Präjudiz. Dass das Abkommen aus chinesischer Sicht Modellcharakter haben soll, wird auch von Experten aus China einhellig so eingeschätzt.
Glauben Sie, die EU hätte in den Verhandlungen mit China mehr Gewicht und könnte Klauseln zu den Menschenrechten durchsetzen?
Dass es zwischen der EU und China keine Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen gibt, wird häufig auf die Streitereien unter anderem um die Solarpanels zurückgeführt. Ich glaube aber auch, dass die EU überzeugt ist, dass China noch nicht zu einem Entgegenkommen in Menschenrechtsfragen bereit ist. In der EU-Politik werden diese standardmässig berücksichtigt – und ich glaube nicht, dass es sich die EU leisten könnte, davon abzuweichen. So wie ich die politische Situation in der EU einschätze, wird die EU erst in Verhandlungen eintreten, wenn sie davon ausgehen kann, dass sie mit ihren diesbezüglichen Forderungen durchkommt.
Hat die Schweizer Verhandlungsdelegation folglich das Maximum herausgeholt?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe vor den Verhandlungen und auch nach deren Abschluss mit Botschafter Christian Etter gesprochen, der die Verhandlungen leitete. Meiner Einschätzung nach war die Delegation sehr bemüht, die Menschenrechte einzubringen. Die Frage ist natürlich, unter welchen politischen Bedingungen die Delegationen verhandeln mussten. Am Ende ist es immer ein politischer Entscheid, wie viele Kompromisse man eingeht.