Keine geheimen Rabatte auf Medikamente
2. Dezember 2020
Die Kymriah-Krebsbehandlung, die 370'000 CHF pro Injektion kostet, war einer der Vorläufer für die Einführung von Geheimrabatten in der Schweiz. Von dieser Intransparenz bei der Preissetzung profitiert in erster Linie Novartis.
Im Sommer kündigte der Bundesrat sein zweites Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen an. Dazu gehört die Stärkung von «Preismodellen» mit vertraulichen Rabatten, die eine schnellere und günstigere Aufnahme neuer, immer teurerer Arzneimittel in die Spezialitätenliste bewirken sollen. Letztere ermöglicht eine Kostenerstattung durch die Krankenversicherung.
Die im Vorentwurf (VE-KVG) vorgeschlagenen neuen Artikel 52b und 52c zielen darauf ab, die Praxis der zwischen dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Pharmaindustrie heimlich ausgehandelten Rabatte zu stärken und diese aus dem Geltungsbereich des Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ) auszuschliessen. Werden diese Artikel angenommen, so werden entgegen der derzeitigen allgemeinen Praxis weder die Höhe noch die Berechnung der ausgehandelten Rückerstattungen bekannt sein, und auch nicht deren Modalitäten. Es wird also nicht mehr möglich sein, den Nettopreis einer Behandlung, d.h. den von der Krankenversicherung tatsächlich übernommenen Preis, zu eruieren – der breiten Öffentlichkeit wird einzig der auch als «Schaufensterpreis» bezeichnete, Publikumspreis bekannt sein.
Im Rahmen der Vernehmlassung zum Revisionsentwurf sprach sich Public Eye entschieden gegen die Aufnahme von geheimen Medikamentenrabatten ins KVG aus.
Langfristig negative Folgen für das Gesundheitssystem
Mit den Preismodellen lässt sich die «Preisspirale nach oben» (Zitat Bundesrat) bei patentierten Medikamenten nicht aufhalten. Im Gegenteil, sie werden die Macht- und Informationsasymmetrie zwischen den Pharmaunternehmen und dem BAG bei der Medikamentenpreisverhandlung weiter verschärfen. Die Aussicht auf kurzfristige Einsparungen täuscht über die langfristigen negativen Auswirkungen auf Transparenz, gesellschaftliche Mitbestimmung und Erhöhung der Publikumspreise hinweg, wie Studien aus EU-Ländern mit mehrjähriger Erfahrung mit solchen Preismodellen (allgemein bekannt als «managed entry agreements») zeigen.
Inkohärente Politik
Die gesetzliche Verankerung einer solchen Praxis steht im Widerspruch zur nationalen und internationalen Politik des Bundesrats. Sie verstösst ausserdem gegen seine internationalen Verpflichtungen, und dies obwohl die Schweiz sich nachdrücklich für die Resolution WHA72.8 der Weltgesundheitsversammlung (verabschiedet am 28.5.2019) eingesetzt hatte, die alle Mitgliedsstaaten zum öffentlichen Austausch von Informationen über die Nettopreise von Gesundheitsprodukten – nach Abzug aller Rabatte, Preisnachlässe und anderer Anreize – auffordert. Sie steht auch im Widerspruch zu einer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme der nationalen Ethikkommission zu Medikamentenpreisen und einem fairen Zugang zu denselben. Die Kommission empfiehlt mehr «faktenbasierte öffentliche Debatten», die jedoch mit vertraulichen Preismodellen gar nicht geführt werden könnten.
Der Bundesrat muss seinen Entwurf überarbeiten
Public Eye wird sich allen Preismodellen widersetzen, solange diese nicht auf komplett transparenten und unabhängigen Kriterien beruhen und solange die von der Pharmaindustrie vorgeschlagenen – beziehungsweise mittels ihrer Monopolstellung faktisch durchgesetzten – Preise auf einem hypothetischen Wert statt auf den tatsächlichen Investitionen und Risiken (F+E-Kosten) basieren.
Es besteht dringender Handlungsbedarf, um gegen die stetig steigenden Preise patentierter Medikamente vorzugehen, die 2018 fast einen Fünftel der Ausgaben der obligatorischen Krankenversicherung ausmachten. Die Lösung besteht jedoch nicht darin, die ohnehin schon viel zu unausgeglichenen Verhandlungen in einen zusätzlichen Mantel des Schweigens zu hüllen und den Pharmakonzernen noch mehr Verhandlungsmacht zu verschaffen.
Der Bundesrat muss nochmals über die Bücher: Will er die durch neue Medikamente verursachten Kosten effizient dämpfen, muss er in seinem Vorschlag zur Reform des Preisgestaltungssystems mehr Transparenz und eine ausführlichere Rechtfertigung der geforderten Preise in den Mittelpunkt stellen.
Mehr dazu
Details dazu in der Vernehmlassungsantwort von Public Eye (18.11.2020).