Konkrete Ergebnisse der WTO-Ministerkonferenz
22. Dezember 2005
Folgende Punkte sind von Bedeutung:
1) Abschaffung aller Agrarexportsubventionen der Industrieländer bis ins Jahr 2013. Ausserdem sollen die Exportsubventionen für Baumwolle, die sich für die westafrikanischen Länder verheerend auswirken, bereits früher, wenn möglich bis 2006, abgeschafft werden.
Kommentar EvB:
Dieser Punkt ist zu begrüssen, denn die Exportsubventionen nördlicher Länder sind ein wichtiger Grund für die tiefen Weltmarktpreise von Agrargütern. Die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Entwicklungsländern können mit den billigen Produkten aus dem Norden nicht konkurrenzieren und verlieren ihr Auskommen und ihre Existenzgrundlage.
Kritikpunkte:
- Die Abschaffung der Exportsubventionen ist dringlich. Das Datum müsste viel früher als 2013 angesetzt werden.
- Die Baumwollfrage wird an die laufenden Landwirtschaftsverhandlungen gekoppelt. Falls diese nicht vorankommen werden, wird auch das Baumwollproblem nicht angegangen.
- Die USA wollen lediglich die Exportsubventionen auf Baumwolle abbauen, diese machen ca. 240 Mio $ aus. Viel wichtiger wäre aber, dass die USA ihre internen Beihilfen an die US-Baumwollpflanzer, die insgesamt 4 Mrd. $ betragen, abbauen. Die westafrikanischen Staaten verlieren durch diese US-Stützungen pro Jahr ca. 450 Mio. $ Umsatz pro Jahr. Dies ist mehr als die gesamte Entwicklungshilfe ausmacht.
2) Reduktion aller anderen Formen von Exportsubventionen
Die USA und weitere Länder haben zugesagt, auch andere Formen von Agrarsubventionen abzuschaffen. Dazu zählen die Subventionen durch Exportkredite (USA) und insbesondere die Nahrungsmittelhilfe der USA, Kanadas, Australiens und Neuseelands, die oft dazu missbraucht wird, die überschüssige Produkte dieser Länder loszuwerden.
Kommentar EvB:
Dieser Punkt ist begrüssenswert, allerdings sollen bis April 2006 erst die dazu notwendigen Vorgehensweise definiert werden. Dabei dürfte es nochmals zu harten Auseinandersetzungen insbesondere mit den USA kommen.
3) Die ärmsten 32 WTO-Mitgliedländer sollen für ihre Produkte den zoll- und quotenfreien Zugang zu den Märkten der Industrie- und Schwellenländer erhalten.
Kommentar EvB:
Wenn auch der Ansatz zu begrüssen ist, liegt der Haken darin, dass es sich lediglich um eine Absichtserklärung und nicht um eine rechtlich gültige Zusage handelt. Darum kann im Falle einer Nichtbefolgung das WTO-Schiedsgericht nicht angegangen werden. Ausserdem muss der Marktzugang nur für 97 Prozent aller Exportprodukte gewährt werden. Das tönt zwar nach viel, es heisst jedoch in der Realität, dass sich die Industrieländer weiterhin gegen den Import derjenigen – für die ärmsten Länder interessanten – Produkte schützen können, durch die sie sich bedroht fühlen. So wollen sich zum Beispiel die USA vor weiteren Textilimporten aus Bangladesh schützen, Japan möchte seinen Reis und das Leder schützen. Im schlimmsten Fall könnte dies also heissen, dass die ärmsten Länder ihre wenigen wichtigen Produkte auch weiterhin nur beschränkt exportieren können.
Im Gegenzug zu einigem Entgegenkommen in der Landwirtschaft verlangen die Industrieländer:
4) den weitgehenden Zollabbau bei den Industriegütern. Dabei soll eine so genannte Swiss-Formula angewendet werden, mit der die höheren Zölle von Entwicklungsländern ungleich stärker gesenkt werden müssen. Diese Swiss-Formula wurde trotz des heftigen Widerstands der Mehrheit der Länder wie Brasilien, der Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks sowie der afrikanischen Union (zusammen sind dies gegen hundert Länder) durchgesetzt. Auch sollen sektorielle Verhandlungen geführt werden, das heisst, dass der Zollabbau nicht nur für einzelne Produkte, sondern für einen ganzen Sektor (zum Beispiel den Textilsektor) gelten soll. Dadurch können Entwicklungsländer sich noch weniger gegen billige Importe vieler Produkte schützen.
5) die weitere Liberalisierung des Dienstleistungssektors: In Hongkong wurde der so genannte Annex C, ein Anhang zur Ministererklärung, verabschiedet, der die Liberalisierung des Dienstleistungssektors behandelt. Dieser Annex wurde kurz vor Hongkong vom Vorsitzenden des Komitees für Dienstleistungsverhandlungen, Ambassador Fernando de Mateo, eigenmächtig verfasst, obwohl unter den WTO-Mitgliederländern keinerlei Konsens über das weitere Vorgehen dieser Verhandlungen bestand. Dieser Annex fordert zukünftige eine Herangehensweise, die die bisherige Flexibilität des WTO-Dienstleistungsabkommens GATS in Frage stellt. So soll nun auch ein so genanntes plurilaterales Vorgehen erlaubt sein. Das heisst konkret, dass alle an einem speziell liberalisierten Dienstleistungssektor interessierten WTO-Mitgliedländer Verhandlungen mit demjenigen Land aufnehmen können, zu dem sie sich für ihre Unternehmen den Marktzutritt wünschen. Es dürfte für ein Entwicklungsland schwieriger werden, nein zu Liberalisierungsforderungen zu sagen, wenn es nicht nur von einem, sondern von zwanzig Ländern mit gemeinsamen Forderungen konfrontiert wird.
Weiter soll neu bei den Dienstleistungsverhandlungen auch ein sektorielles Vorgehen möglich sein: Die Länder müssten sich verpflichten, ganze Sektoren (und nicht nur wie bisher einzelne Subsektoren) zu liberalisieren, beispielsweise den ganzen Tourismus.
In den Bereichen Dienstleistungen und bei den Industriegütern wird folglich den Entwicklungsländern zukünftig eine Zwangsliberalisierung verordnet. Dadurch verlieren diese den dringend notwendigen Handlungsspielraum, um angepasste Lösungen zwischen Schutz und Marktöffnung zu finden.