Kritik an der Reaktion des seco
22. März 2002
Nach einer ersten unbefriedigenden Antwort auf unsere Kampagne «Kein Ausverkauf des Service public» an die WTO haben wir Herrn Bundesrat Couchepin nochmals gebeten, auf unsere Forderungen und Fragen einzugehen. Daraufhin antwortete das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft seco ein zweites Mal.
Das zweite Schreiben des seco ist zwar etwas differenzierter ausgefallen als das erste, aber nach wie vor wird nicht auf unsere Forderungen eingegangen. Ebensowenig wird unsere Befürchtung ernst genommen, dass das GATS zukünftig das Recht auf eigenständige nationale Regulierungen gefährden kann.
Wir stellten Bundesrat Couchepin folgende Fragen:
1) Warum setzen Sie sich nicht dafür ein, dass öffentliche Dienstleistungen (Service public) von den Regeln des GATS (General Agreement on Trade in Services) ausgeschlossen sind?
Antwort des seco:
- Die WTO-Mitgliedländer sind frei, den Service public in einer Art und Weise zu definieren und zur Verfügung zu stellen, wie sie dies für gut befinden.
- Jedes WTO-Mitglied kann die Grenzen in denjenigen Bereichen öffnen, wo es will.
- Die nationalen Regulierungen sind nicht in Gefahr und können von anderen Ländern nicht herausgefordert werden, wenn die Regeln vernünftig, objektiv und unparteiisch sind.
Kritik der NGOs
Das seco geht mit keinem Wort auf unsere Forderung ein, den Service public auch in Zukunft nicht den WTO-Regeln zu unterstellen. Damit wird klar, dass das seco nicht bereit ist, die grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen von den WTO-Regeln auszunehmen. Gemäss dem seco lässt das GATS genügend Spielraum zu, um die öffentlichen Dienstleistungen zu regeln. Das seco widerspricht sich jedoch in diesem Punkt: einerseits argumentiert es, die einzelnen Länder können selbst bestimmen, auf welche Weise sie der Bevölkerung die grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen garantieren wollen, jedoch: muss dies in Übereinstimmung mit den WTO-Regeln geschehen.
Es stimmt, dass die einzelnen Regierungen aktive Entscheidungen treffen müssen, um einen Dienstleistungsbereich dem Markt auszusetzen. Viele ärmere Länder haben aber kaum eine Wahl. Sie müssen Deals mit reicheren Ländern eingehen und sind dabei oftmals Erpressungsversuchen ausgesetzt. Wenn sie in an sie gestellte Forderungen nicht einwilligen, werden unter Umständen die Entwicklungshilfegelder gekürzt. Übrigens: Das seco verrät bisher (noch) nichts über seine Pläne, welche Sektoren die Schweiz zu öffnen bereit ist.
Bis anhin konnten in Liberalisierungsverpflichtungen Ausnahmen eingebaut werden. Die Schweiz nimmt zum Beispiel Ausnahmen in Anspruch, um die Schweizer Kultur, insbesondere auch Schweizer Filme schützen zu können (die sonst gegen die US-Konkurrenz keine Chance hätten). Solche Ausnahmen sollen jedoch innerhalb von 10 Jahren abgeschafft werden. Dann müssen ausländische Investoren gleich behandelt werden, so dass diese etwa bezüglich Subventionen Gleichbehandlung fordern können.
Es sind in Zukunft nicht die Regierungen, die ihrem Land gemässe Regeln aufstellen können, denn die Handelsorganisation WTO verlangt, dass diese Regeln vernünftig, objektiv und unparteiisch sein müssen. Aus der WTO-Sicht heisst dies: Regeln dürfen den Welthandel nicht mehr als notwendig beeinträchtigen.
2) Welches ist ihre Haltung gegenüber der Liberalisierung von Investitionen, speziell auch bezüglich den Bedürfnissen ärmerer Länder?
Antwort des seco:
Die Schweiz setzt sich für Investitionsregeln im Rahmen der WTO ein, die den Investoren einen abschätzbaren Rahmen verleihen. Insbesonders mit der Meistbegünstigung (wird einem Land einen Vorteil eingeräumt, so muss dieser Vorteil auch allen anderen Ländern eingeräumt werden) sowie der Inländerbehandlung (Gleichbehandlung ausländischer und inländischer Investoren) sollen ausländische Investoren die gleichen Rechte erhalten wie inländische Anbieter.
Kritik der NGOs
Ärmere Länder haben viel schwächere Dienstleistungsindustrien. Folglich können sie niemals mit grossen Konzernen der Industrieländer in Konkurrenz treten. Und sie haben gerade durch diese von der WTO verlangten Prinzipien (Meistbegünstigung und Inländerbehandlung) nicht mehr die Möglichkeit, ihre Industrien entsprechend zu schützen.
3) Warum begibt sich die Schweiz in eine neue Liberalisierungsrunde, ohne dass eine wirtschaftliche, ökologische und soziale Bilanz der einzelnen Abkommen gemacht wird, die öffentlich diskutiert wird?
Antwort des Seco:
Diskussionen über Evaluierungen finden im Generalrat in Genf bei der WTO regelmässig statt. Aber es fehlen aussagekräftige Daten und Statistiken.
Kritik der NGOs
Die Auswirkungen von Handelsliberalisierungen zu untersuchen ist tatsächlich ein komplexes Unterfangen, das Zeit braucht. Beispielsweise ist die Universität Manchester seit Jahren daran, einen Raster zu entwickeln, wie solche Auswirkungen gemessen werden könnten. Die Schweiz hat sich noch nie speziell darum bemüht, sich mit dem bereits vorhandenen Wissen zu befassen.
Die NGOs fordern darum ein Moratorium der Dienstleistungsverhandlungen, bis solche Untersuchungen vorgenommen wurden.