Nein zu "No Billag": Auch NGOs brauchen kritischen Journalismus
16. Januar 2018
«Blocher-Presse übernimmt Gratisblätter», «Redaktionsfusion bei Tamedia-Titeln» oder zuletzt «AZ und NZZ verschmelzen Zeitungsgeschäft»: Meldungen über Kooperationen und Kürzungen im Schweizer Journalismus erreichen uns inzwischen fast im Wochentakt. Und Ringier-CEO Marc Walder meinte jüngst: «Es wird noch blutiger werden.» Aus der brachialen Branchenkonsolidierung der letzten Jahre sind ein halbes Dutzend Medienkonzerne hervorgegangen, die Journalismus entweder nur mehr als Nebengeschäft oder mit parteipolitischer Agenda betreiben. Und da das alte, auf Werbung basierende Geschäftsmodell implodiert und kein Ersatz in Sicht ist, wird in den Verlagen drastisch gespart – häufig zuerst in für investigative Menschenrechtsorganisationen wie Public Eye besonders relevanten Bereichen wie Recherche und profunder Dossierkenntnis.
Argumente von rechts aussen
Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass die am 4. März zur Abstimmung kommende «No Billag»-Initiative nichts anderes als ein gut getimter Anschlag auf einen Grundpfeiler unserer direkten (und damit besonders informationsintensiven) Demokratie ist. Denn ohne vernünftige Informationen gibt es keine vernünftigen Volksentscheide, auch nicht zu den politischen Anliegen der Schweizer Zivilgesellschaft. Doch wer soll die dafür notwendige Grundversorgung in allen vier Landesteilen garantieren, wenn nicht ein gebührenfinanzierter medialer «Service public» à la SRG? Der von den Initiantinnen und Initianten kritisierte Linksdrall der – unserer Erfahrung nach – ausgewogen berichtenden SRG-Sender zeigt primär, wie weit rechts «No Billag» argumentiert. Fest steht, dass auch NGOs auf unabhängige und sachkundige Medienschaffende angewiesen sind. Und zwar nicht nur zur Verbreitung ihrer Botschaften, sondern auch als kritisches Korrektiv.
Fest steht, dass auch NGOs auf unabhängige und sachkundige Medienschaffende angewiesen sind.
Minderheitenschutz fiele weg
Abgesehen von diesen zivilgesellschaftlichen Notwendigkeiten gehört die SRG-Zerschlagungsinitiative aber auch aus staatspolitischen Gründen gebodigt. So verlangt «No Billag» die ersatzlose Streichung jenes Verfassungsartikels, wonach Radio und Fernsehen heute «zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und Unterhaltung» beitragen müssen. Diese Ansprüche könnten an eine vollprivatisierte Medienlandschaft nicht mehr gestellt werden. Wegfallen würde neben dem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag auch der für unsere Willensnation existenzielle Minderheitenschutz. Die SRG fördert mit ihren Subventionen nämlich auch den Ausgleich zwischen den Sprachregionen: Von den rund 70 Prozent der Gebühren, die in der Deutschschweiz eingenommen werden, bleiben nur 45 Prozent hier, der Rest fliesst in die Romandie und ins Tessin.
Es braucht ein breites, dezidiertes Nein
Für die von der Medienkrise heute schon besonders stark betroffene französische und italienische Schweiz wäre ein weiterer medialer Vielfalts- und Qualitätsverlust eine gesellschaftspolitische Katastrophe. Aber auch im Dreieck Bern-Basel-Zürich hätte die Annahme eine Schockwirkung – auch weil eine vorgabenfreie Versteigerung von Konzessionen an die Meistbietenden, wie sie «No Billag» vorsieht, fast zwangsläufig zu audiovisuellen Milliardärsmedien wie in den USA führen würde. Diese Aussicht müsste eigentlich auch populistische SRG-Verächterinnen und -Verächter davon überzeugen, dass es am 4. März ein möglichst breites und dezidiertes Nein braucht.
Autor: Oliver Classen
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 9 des Public Eye Magazins mit dem Titel "Glencore: Ein Fall für die Justiz". Als Mitglied erhalten Sie 5x jährlich unser Magazin mit unseren neusten Recherchen, exklusiven Reportagen und Artikeln zu aktuellen Themen. Jedes Heft kann ausserdem kostenlos in unserem Shop bestellt werden.