Paraquat-Verbot in der Schweiz: Wie Syngenta versucht unangenehme Fakten zu verdrehen

Während Paraquat in den Entwicklungsländern nach wie vor einen Verkaufsschlager darstellt, ist es in der Schweiz bereits seit 1989 nicht mehr zugelassen. Die Gründe hierfür versuchte Syngenta lange zu verschleiern.

Der Basler Agrokonzern hat wiederholt erklärt, er habe Paraquat in der Schweiz vom Markt genommen, weil die Nachfrage gefehlt habe. Der Bundesrat hingegen widersprach dieser Darstellung bereits im Jahr 2002. Auf ein Postulat antwortete er: „In der Schweiz ist Paraquat aus toxikologischen Gründen seit einigen Jahren nicht mehr zugelassen. Diese Nichtzulassung kommt einem Verbot im Sinne der PIC-Konvention gleich.“.

Diese Fakten brachten Syngenta in einen Argumentationsnotstand. Wie kann man ein Produkt in Entwicklungsländern verkaufen, welches im Heimatland des Konzerns wegen seiner Giftigkeit seit langem verboten ist? Sollte man die Landarbeiter und Bäuerinnen in Afrika, Asien oder Lateinamerika nicht ebenso vor giftigen Pestiziden schützen, wie jene in Europa?

Syngenta bestreitet ein Paraquat-Verbot


Auf diese Sachlage reagiert Syngenta seit 10 Jahre mit der immer wieder gleichen Verleugnungstaktik. So schrieb der Agrotechkonzern als Replik auf eine Kampagne der Erklärung von Bern (EvB) im Jahr 2010 auf seiner Website: „Die Schweizer Registrierungsbehörden haben Paraquat zu keinem Zeitpunkt verboten. Syngenta strebt nur in denjenigen Märkten eine Produktzulassung an, wo eine Nachfrage besteht. Deshalb wurde in der Schweiz kein Antrag auf Erneuerung der vormals bestehenden Registrierung gestellt.“

Die Aussage von Syngenta widerspricht der Erklärung des Bundesrates fundamental. Welche der beiden Parteien die Fakten verdreht, erklärt Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick, der vor zwanzig Jahren über das Verbot von Paraquat in der Schweiz entscheiden musste.

EvB: Urs Niggli, wissen Sie was bei der Wiederzulassung von Paraquat in der Schweiz in der 80er-Jahren genau passierte?

Urs Niggli: Ja, das weiss ich genau. Als ich meine Stelle als Herbologe am 1. März 1985 in Wädenswil an der Eidgenössischen Forschungsanstalt antrat, erbte ich von meinem Vorgänger das Dossier. Damals war die FAW (heute Agroscope ACW) die Bewilligungsbehörde für Pestizide. Das Dossier für die Wiederzulassung war bewilligungsreif und mir wurde gesagt, dass es nur noch eine Formalität sei. Zusammen mit Frau Dr. Hulda Barben vom damaligen BUWAL (heute BAFU) vertrat ich die Position, die FAW sollte Paraquat nicht mehr zulassen, obwohl andere in der Fach-Kommission dafür waren. Das BUWAL hatte damals nur eine beratende Stimme und ich musste als junger Wissenschaftler viele Belehrungen hören.

"Landarbeiter verlieren bei ungeschützter Anwendung Zehen- und Fingernägel."


Was waren denn die Gründe für eure Ablehnung?

Urs Niggli: Die Gründe waren vielfältig:
1. Akute Toxizität: Paraquat war v.a. in Entwicklungsländern wegen Verwechslung und Lagerung in irgendwelchen Gebinden, teilweise auch Cola-Flaschen ein Problem. Paraquat war aber auch in der Schweiz eines der häufigsten Selbstmordgifte, obwohl der Tod langsam geht und von furchtbaren Schmerzen begleitet ist.
2. Chronische Humantoxizität: Landarbeiter verlieren bei ungeschützter Anwendung Zehen- und Fingernägel.
3: Ökotoxikologie: Die Halbwertszeiten für die Mineralisierung im Boden, welche wir damals in der Literatur fanden, reichten von mehreren Monaten bis 27 Jahren.

Syngenta gab es ja damals noch nicht. Wer kämpfte 1989 für das Produkt?

Urs Niggli: Das Präparat wurde damals von der Firma Maag AG in Dielstorf (einer der späteren Fusionspartner zu Syngenta) vertrieben. Der jährliche Umsatz betrug 1985 in der Schweiz etwa 1 Million Franken. Da die Produktionskosten bei der Herstellerfirma ICI (auch ein Fusionspartner zur späteren Syngenta) extrem günstig waren (alle Anlagen waren alt und schon seit Jahrzehnten amortisiert. Werbekosten gab es keine, da das Präparat ein Selbstläufer war) war es ökonomisch sehr interessant. Vom Umsatz war ein grosser Teil Reingewinn. Die Maag kämpfte sehr für die Wiederzulassung. Wir diskutierten mehrfach mit der Firma, zwei Ökotoxikologen wurden von ICI eingeflogen, welche umfangreiche Versuche mit dem Abbau im Boden machten und welche unsere Bedenken zerstreuen sollten. Frau Barben und ich blieben hart und der Entscheid, Paraquat nicht zu bewilligen, wurde von der übergeordneten Pflanzenschutzmittel-Konferenz bestätigt.

Und dann?

Urs Niggli: Syngenta wehrte sich gegen den Entscheid worauf zu einer Einberufung der damaligen Rekurskommission des Bundes kam. Wenige Tage vor der Sitzung kam es zum Chemieunfall in Schweizerhalle (Sandoz). An die Sitzung war der Direktor der Firma Maag, Herr Ernst Homberger eingeladen. Er sollte ‚es richten‘. Unter dem Eindruck von Schweizerhalle eröffnete Herr Homberger sein Statement mit „nach Schweizerhalle ist die Zeit für ‚solche‘ Altpestizide vorbei. Die Firma Maag zieht den Rekurs zurück und verzichtet auf eine Wiederzulassung“. Nachher folgte eine fünfjährige ‚grüne Phase‘ der Basler Chemie. Ciba Geigy kaufte in den USA Firmen mit Biocontrol-Präparaten, Sandoz baute die BT-Forschung aus. Nach 5 Jahren war alles wieder vorbei, da der biologische Pflanzenschutz für die Chemie ökonomisch nicht interessant war. Es folgte der grosse Einstieg in Saatgutfirmen und in die Gentechnik.

Anfangs 90er Jahre wurde die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft Gentechnologie (SAG) gegründet und der Wiederstand formierte sich. Das Friedrich-Miescher-Institut der Universität Basel, welches von der damaligen Ciba-Geigy Stiftung mitfinanziert wurde, investierte viel Engagement in die Gentechnik, mit der durchaus guten Absicht, die Chemiebelastung unserer Umwelt zu reduzieren. Schweizerhalle war ein Schlüsselerlebnis der Basler Bevölkerung. Auch heute noch sind die damaligen Professoren des FMI und der Uni Basel überzeugt, dass die Gentechnik eine Schlüsseltechnologie in Richtung einer umweltfreundlichen Landwirtschaft sein könnte.

"In diesem Wechsel wurden vermutlich grosse Teile des riesigen Archivs in Wädenswil geschreddert."


Es ist doch verwunderlich, dass Syngenta derart lange die Fakten zur Zulassung in der Schweiz leugnen konnte.

Urs Niggli: Die damaligen Exponenten des Bundes sind heute alle nicht mehr im Amt. Die Zulassungsbehörde wurde dann im Zuge der Umstellung auf EDV an das BLW verlagert und das Schweizer Pflanzenschutzgesetz geändert. In diesem Wechsel wurden vermutlich grosse Teile des riesigen Archivs in Wädenswil geschreddert. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass niemand mehr etwas weiss. Ernst Homberger wurde wenige Jahre später zum Regierungsrat des Kantons Zürich gewählt. Auch er ist heute schon lange pensioniert.

Dieser Fall musste ein prägendes Erlebnis für einen jungen Wissenschaftler gewesen sein.

Urs Niggli: Fünf Jahre nach dem Ereignis wechselte ich als Direktor ans FiBL. Die damalige Affäre beeinflusste diesen Entscheid stark, da ich mit der engen Verflechtung zwischen den Pflanzenschützern, welche die Präparate beim Bund prüften und gleichzeitig enge persönliche und fachliche Freundschaften mit den Fachleuten der Chemie hatten, gleichzeitig auch die Anträge an die Entscheidungskommission stellten und schlussendlich auch entschieden, Mühe hatte. Es kam ständig zu grossen Interessenskonflikten. Heute ist das alles ganz anderes, da die Gewaltentrennung sehr gut funktioniert.