Schweizer Brief aus deutschen Landen
2. Februar 2010
D-Mülheim an Ruhr, 2. Februar 2010
Schweiz als Steueroase: Brief eines vorübergehend ausgewanderten Schweizers
Ich habe hier keinen TV-Apparat und informiere mich hauptsächlich per Radio. Heute hätte ein Heimatgefühl aufkommen können: In den Nachrichten ging es schwergewichtig um den Ankauf von gestohlenen Steuerdaten über deutsche Gelder in der Schweiz. Es wurden auch zahlreiche Schweizer Politikerinnen und Politiker zitiert und interviewt, an diesem Tag vielleicht so viele wie sonst während eines ganzen Jahres nicht.
Seit bald 50 Jahren zahle ich in der Schweiz brav, obwohl manchmal murrend, die geforderten Steuern. Ich arbeitete zumeist als Arbeitnehmer, teilweise auch im Auftragsverhältnis, und war und bin für die Steuerbehörde ein "gläserner Bürger". Ich musste den Lohnausweis einreichen (jetzt den Rentenausweis) und bei Auftragsverhältnissen war es ratsam, korrekte Zahlen anzugeben, weil die Steuerbehörde ja mit den Angaben des Auftraggebers vergleichen und Schummeleien entlarven könnte. Als braver Steuerzahler und ausgestattet mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, missbillige ich das Geschäftsmodell der Schweizer Banken schon seit Jahren.
Erstens ist die Schweizer Spezialität, zwischen zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zu unterscheiden, eine Schlaumeierei. Des Betrugs macht sich demnach schuldig, wer wissentlich und absichtlich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse fälscht. Hinterziehung ist ein (angeblich) versehentliches Weglassen oder nicht korrektes Angeben von Zahlen. In den Verhandlungen über Steuerabkommen mit andern Ländern wird diese Unterscheidung jetzt aufgegeben, weil man einsehen musste, dass sie vom Ausland nicht verstanden und auch nicht länger akzeptiert wird. Sie ist aber auch im Inland fragwürdig, weil sie Gewerbetreibende und Freischaffende, die mehr Spielraum haben für das "Kavalierdelikt" der Hinterziehung, gegenüber fixbesoldeten und -"berenteten" Arbeitnehmern und Rentnern bevorzugt.
Zweitens ist es richtig und gerecht, dass die Mensch dort ihre Steuern bezahlen, wo sie leben und gegebenenfalls zusammen mit ihrer Familie die oft beträchtlichen Leistungen der öffentlichen Hand beanspruchen. Das Argument, in Deutschland seien die Steuern unverschämt hoch und man werde ab einem gewissen Einkommen fast gezwungen auszuweichen, ist eine Ausflucht. Steuervergleiche sind gar nicht so einfach. Für einen korrekten Vergleich müsste man alle Steuern und Abgaben einbeziehen. Zudem sind allfällige Übertreibungen oder Ungerechtigkeiten im Steuergesetz auf politischem Weg und nicht mit der willfährigen Hilfe der Schweizer Banken zu korrigieren. Wenn dieser Weg überhand nimmt, was ja der Fall war, sonst wären nicht geschätzte 100 Mia Schwarzgelder in die Schweiz geflossen, sind diejenigen die Dummen, denen er verschlossen ist oder die ihn meiden. Für das entgangen Steueraufkommen müssen sie in Form höherer Steuern und Abgaben aufkommen.
Drittens kommt bei der Steuerkonkurrenz unter Staaten, aber auch unter den Bundesländern oder Kantonen, eine schädliche Spirale in Gang. Wem es gelingt, Reiche oder deren Geld anzulocken, verdient daran in der einen oder andern Weise, was das Steueraufkommen erhöht und eine Senkung der Steuersätze ermöglicht. Das erhöht die Vorteile im Steuerwettbewerb noch zusätzlich, während- dem für das Gemeinwesen auf der andern Seite eine Negativspirale das Gefälle noch vergrössert. Im Falle der Entwicklungsländer trägt der Geldabfluss dazu bei, dass Teile der Bevölkerung in Hunger und Elend vegetieren.
Es gibt also genug Gründe für die Schweizer Banken, ein fragwürdiges Geschäftsmodell aufzugeben. Wie konnte es so lange aufrecht erhalten werden? Steckten die politischen und wirtschaftlichen Eliten der beteiligten Länder insgeheim "unter einer Decke"? Funktioniert das jetzt nicht mehr, weil die Finanz- und Wirtschaftskrise und die Defizite der öffentlichen Haushalte den Handlungsdruck deutlich erhöhten? Dann hätte die Krise den Politikern doch noch, wenigstens auf diesem Gebiet, "Beine gemacht".
Ruedi Jörg-Fromm