Verbotene Pestizide: Schweizer Exporte ausser Kontrolle

Die 2020 verabschiedeten Exportverschärfungen für in der Schweiz verbotene Pestizide weisen gravierende Lücken auf: Mindestens 80 Substanzen, die in den letzten fünf Jahren aus der Schweizer Landwirtschaft verbannt wurden, sind davon nicht betroffen. Ihre Ausfuhr entgeht damit jeder behördlichen Kontrolle. Doch exklusive Daten der EU zeigen, dass die Schweiz weiterhin am Handel mit umweltschädlichen und gesundheitsgefährdenden Pestiziden beteiligt ist.
© José Díaz / Public Eye

2020 verschärfte der Bundesrat die Exportvorschriften für 100 in der Schweiz verbotene Pestizide und verhängte ein Ausfuhrverbot für fünf «besonders problematische» Substanzen, die in den Jahren zuvor ausgeführt worden waren. Die Regulierung folgte auf Enthüllungen von Public Eye über diese Exporte und die gravierenden Folgen im Globalen Süden: So waren vom Agrochemiekonzern Syngenta in der Schweiz hergestellte Pestizide etwa mitverantwortlich für gravierende Vergiftungen unter indischen Baumwollbäuerinnen und -bauern oder für die Verschmutzung des Trinkwassers in Brasilien. Mit der Verschärfung der Exportbestimmungen war die Schweiz eines der ersten Länder in Europa, das gegen die Doppelstandards im globalen Pestizidhandel vorging: Der Bundesrat wollte, dass die Schweiz mit den Exportbeschränkungen ihre Verantwortung als Standort multinationaler Pestizidkonzerne wahrnimmt und zum Gesundheits- und Umweltschutz in Einfuhrstaaten beiträgt.

Eine Regulierung so löchrig wie Emmentaler

Nun zeigt sich jedoch, dass die Regulierung heute derart grosse Lücken aufweist, dass sie ihre beabsichtigte Wirkung weitgehend verfehlt. Denn 80 (!) gefährliche Pestizide, die in den letzten fünf Jahren in der Schweiz vom Markt genommen wurden, sind von den geltenden Exportbeschränkungen nicht betroffen, darunter das für Bestäuber hochgiftige Neonicotinoid Thiamethoxam oder das vermutlich krebserregende Fungizid Chlorothalonil, dessen Abbauprodukte sich im Trinkwasser anreichern. 

Der Grund dafür: Die Liste der exportbeschränkten Pestizide wurde in der Schweiz seit 2019 nicht aktualisiert. Anders in der EU. Dort wird die analoge Liste jährlich überarbeitet, in den letzten fünf Jahren kamen rund 100 verbotene Pestizide neu dazu. Warum sich die Aktualisierung derart verzögert, ist unklar: Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) hatte Public Eye gegenüber bereits 2022 eine baldige Anpassung der Liste angekündigt, doch bisher ist nichts geschehen. Stattdessen teilte das Bundesamt Public Eye auf Anfrage mit, dass eine Anpassung «frühstens» 2025 in die Vernehmlassung gegeben werde. In Kraft treten würde die aktualisierte Liste damit voraussichtlich nicht vor 2027. 

Die Folge dieser Verschleppung ist, dass der Handel mit Dutzenden verbotenen Pestiziden in der Schweiz jeder behördlichen Kontrolle entgeht: Die Hersteller müssen die Einfuhrstaaten weder über die Gefährlichkeit der Stoffe informieren noch ihre vorgängige Zustimmung über die Ausfuhr einholen. Und es gibt nicht einmal eine Meldepflicht, wodurch der Export der Gefahrenstoffe das Geschäftsgeheimnis der Hersteller bleibt. 

Damit verfehlt der Bundesrat ein zentrales Ziel, das er mit den 2020 eingeführten Ausfuhrbestimmungen erreichen wollte: die Exporte problematischer Pflanzenschutzmittel in einkommensärmere Länder besser zu kontrollieren. Stattdessen ist die Schweiz bei der Regulierung des Handels mit gefährlichen Chemikalien gegenüber der EU, wo alle aus Umwelt- oder Gesundheitsgründen verbotenen Pestizide strengen Ausfuhrkontrollen unterliegen, ins Hintertreffen geraten.

Schweiz exportiert Hunderte Tonnen verbotene Pestizide

Trotz der fehlenden behördlichen Transparenz liegen Public Eye neue Hinweise vor, wonach die Schweiz weiterhin gefährliche Pestizide exportiert – und dies in steigendem Ausmass. 

So zeigen exklusive Daten von EU-Behörden, dass 2022 mehr als 380 Tonnen hochgefährliche Pestizidwirkstoffe, deren Verwendung hierzulande verboten ist, aus der Schweiz in EU-Länder ausgeführt wurden. 

Konkret ging es um 223 Tonnen Propiconazol und 8 Tonnen Thiamethoxam, die beide von Syngenta hergestellt werden, sowie 153 Tonnen des vom deutschen Pestizidhersteller Bayer vertriebenen Herbizids Ethoxysulfuron. Da diese Stoffe in der gesamten EU verboten sind, müssen diese Exporte für die Wiederausfuhr in Drittstaaten bestimmt gewesen sein. 

Bemerkenswert ist auch, dass die Unternehmen in der EU den Behörden 2022 den Export von 140 Tonnen und 2023 sogar 500 Tonnen verbotener Pestizide in die Schweiz meldeten, wie uns auch das Bafu bestätigte. Die betroffenen, von Syngenta vermarkteten Pestizide, deren Verwendung sowohl in der EU wie auch in der Schweiz verboten ist, waren ausdrücklich zur Wiederausfuhr in Drittstaaten bestimmt. Aufgrund der fehlenden Schweizer Exportkontrollen bleibt unklar, welche Länder die Endempfänger waren. Sicher ist aber, dass es sich auch hier um Stoffe handelte, die für die Umwelt oder die Gesundheit hochgefährlich sind: 2023 wurden demnach 160 Tonnen Insektizide auf Basis von Thiamethoxam, 15 Tonnen Herbizide mit dem für Anwender*innen hochgefährlichen Diquat, 10 Tonnen Chlorothalonil-haltige Fungizide, 15 Tonnen Propiconazol-haltige Fungizide sowie 300 Tonnen des reinen Wirkstoffs Cyproconazol in die Schweiz importiert. Propiconazol und Cyproconazol sind fortpflanzungsgefährdend und können das Kind im Mutterleib schädigen. Vier dieser fünf Pestizide sind auch schon 2022 zur Wiederausfuhr importiert worden.

Was Rösti nicht weiss, macht ihn nicht heiss

Public Eye liegen Handelsdaten zu Propiconazol und Thiamethoxam vor, die belegen, dass die Schweiz diese Pestizide zwischen 2020 und 2024 mehrfach in Länder wie Chile, Kolumbien, Indien, Indonesien, Pakistan oder Vietnam exportierte.

Diese Daten verdeutlichen, dass die Schweiz nach wie vor am globalen Handel mit gefährlichen Pestiziden beteiligt ist. 

Da die Hersteller diese Exporte den Schweizer Behörden nicht einmal melden müssen, bleiben das tatsächliche Ausmass sowie die Empfängerländer im Dunkeln. 

Fest steht jedoch, dass dieser Handel sowie die fehlende Transparenz diametral den Zielen, die der Bundesrat mit der Verschärfung der Exportvorschriften verfolgte, sowie den Aussagen von Umweltminister Albert Rösti widersprechen. Dieser erklärte im Frühjahr 2023 vor dem Ständerat, dass die Schweiz auch den Export von kürzlich vom Markt genommenen Pflanzenschutzmitteln «grundsätzlich untersagen» wolle, falls «die Gesundheit von Menschen gefährdet wird oder wenn Umweltrisiken bestehen». Auch das Bafu bekräftigte auf Anfrage, dass der Bundesrat sich «für eine Exportregulierung» ausspreche, «welche eine Gefährdung von Gesundheit oder Umwelt in anderen Ländern durch Schweizer PSM-Exporte verhindert».

Doch diese Absichtserklärungen stehen heute in starkem Kontrast zur Realität: Die Schweiz exportiert offensichtlich weiterhin hochgefährliche Pestizide, aber diese Exporte werden nicht einmal erfasst, geschweige denn wirksam reguliert.

Es braucht Taten statt Worte 

Es ist daher dringend nötig, dass der Bundesrat die Liste der von Exportbestimmungen betroffenen Pestizide endlich aktualisiert und die administrativen Abläufe vereinfacht, damit sie künftig regelmässig angepasst werden kann. Gemäss Bafu fehlen für eine jährliche Aktualisierung die Ressourcen. Doch es bleibt unklar, weshalb die Aktualisierung derart lange auf sich warten lässt. 

Damit die Versprechen von Umweltminister Rösti im Ständerat nicht folgenlos bleiben, sollte zudem die Ausfuhr aller Stoffe verboten werden, welche die Umwelt oder die menschliche Gesundheit in Drittstaaten gefährden, wie es mittlerweile mehrere europäische Länder tun: Frankreich und Belgien haben umfassende Exportverbote eingeführt, Deutschland plant eine entsprechende Regulierung. Und die Europäische Kommission will den Export von EU-weit verbotenen Pestiziden europaweit stoppen.

Laut Bafu laufen zurzeit auch Untersuchungen darüber, ob das Exportverbot in Zukunft auf weitere Substanzen erweitert werden könnte.

Ein wichtiger erster Schritt wäre es, umgehend den Export derjenigen hochgefährlichen Pestizide zu stoppen, von denen bekannt ist, dass sie tatsächlich aus der Schweiz ausgeführt werden, wie Thiamethoxam, Diquat, Chlorothalonil, Propiconazol und Cyproconazol. Aber auch der Handel mit allen anderen Pestiziden, die in Einfuhrstaaten die Umwelt oder Gesundheit gefährden, muss gestoppt werden. Und dies könnten einige sein: Der grösste Produktionsstandort des weltweit tätigen Pestizidriesen Syngenta befindet sich bis heute in Monthey im Kanton Wallis.