Vor der ersten Vertragskonferenz des Nagoya-Protokolls: Die Schweiz und die EU weichen das Abkommen auf
27. März 2014
Das Nagoya-Protokoll über den Zugang zu genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich füllt wichtige Lücken im Schutz der globalen Biodiversität und der gerechten Nutzung natürlicher Ressourcen. Auf der Grundlage gegenseitiger Zustimmung soll ein Ausgleich zwischen den Interessen der Geber- und Ursprungsländer genetischer Ressourcen und derjenigen Länder erfolgen, in denen die genetischen Ressourcen genutzt werden. Damit soll insbesondere auch die von den Ländern des Südens angeprangerte Biopiraterie angegangen werden. Bei der Biopiraterie werden genetische Ressourcen kommerziell verwertet, ohne dass die Länder entschädigt werden, in welchen die Ressourcen ursprünglich entdeckt wurden.
Vorverhandlung in Pyeongchang
Die meisten BeobachterInnen rechnen damit, dass das Nagoya-Protokoll bis im Sommer 2014 von 50 Staaten ratifiziert wird und somit im Herbst – ebenfalls in Pyeongchang – die erste Konferenz der Vertragsparteien stattfinden kann. An den Vorverhandlungen im Februar wurden nun Einzelheiten des Protokolls wie Umsetzung, Kontrolle und Berichterstattung diskutiert, sowie über einen globalen multilateralen Mechanismus für den Vorteilsausgleich („Benefit Sharing“) und die Ausgestaltung einer internationalen Informationsplattform verhandelt. Viele Fragen konnten jedoch bei der Vorverhandlung nicht geklärt werden, insbesondere in Bezug auf Verpflichtungen und Konsequenzen bei Nichteinhaltung. Diese werden nun bei der ersten Konferenz der Vertragsparteien im Mittelpunkt der Diskussion stehen.
Der Elefant im Raum: Die EU
Die Implementierung des Nagoya Protokolls durch die EU, einer der wichtigsten Nutzerinnen von genetischen Ressourcen überhaupt, ist für den Gesamterfolg des Protokolls entscheidend. Am Treffen in Pyeongchang hat die EU, wie auch die Schweiz, über den Prozess ihrer Implementierung berichtet, eine formelle Diskussion über den Vorschlag fand jedoch nicht statt. Dafür war in den Gängen des Kongresszentrums der kontroverse EU-Verordnungsentwurf das Gesprächsthema Nummer eins. Losgetreten wurde die Debatte durch einen Brief der „Like Minded Mega-Diverse Countries (LMMC) “ der am 20. Februar 2014 an EU-Parlament und EU–Ministerrat ging. In diesem Brief werden eine Reihe von Bedenken gegenüber dem Verordnungsentwurf geäussert. Im Zentrum der Kritik steht, dass genetische Ressourcen und damit verknüpftes traditionelles Wissen aus dem Geltungsbereich ausgeschlossen werden, wenn die EU bereits vor dem Inkrafttreten der Nagoya-Protokolls darauf zugegriffen hat.
Auf diese Weise werden die ausserordentlich grossen Mengen genetischer Ressourcen, die schon in Genbanken, botanischen Gärten, Bioarchiven und sonstigen Sammlungen eingelagert sind, bei deren späteren Nutzung der Pflicht des Vorteilsausgleichs entzogen – unabhängig davon, ob sie legal erworben wurden oder ob beim Zugang Gesetze des Herkunftslandes verletzt wurden. Die Geberländer dieser Ressourcen sollen danach in der EU keine darauf bezogenen Ansprüche mehr durchsetzen können. In ihrem Brief betonen die LMMC, dass dies eine sehr ungenügende Umsetzung des Protokolls sei. Ihrer Meinung nach hat jede neue Nutzung den gerechten Vorteilsausgleich zur Pflicht.
Das sind riesige Unterschiede bezüglich des Anwendungsbereichs des Protokolls. Die meisten Nutzer von genetischen Ressourcen beziehen ihr Material aus den grossen, schon existierenden Sammlungen. Sie reisen nicht selbst vor Ort und verhandeln nicht mit den dortigen UrsprungseignerInnen. Die EU-Verordnung verengt den Vorteilsausgleich auf einen kleinen Bereich, der gerechte und ausgewogene Vorteilsausgleich wird damit verfehlt. Die LMMC bitten in ihrem Brief die EU, bei der Finalisierung der Verordnung diesen Bedenken Rechnung zu tragen. Dazu bräuchte es jedoch wohl ein kleines Wunder: Es fehlt der politische Wille, insbesondere im EU-Ministerrat, und zudem gibt es, so kurz vor der nur noch formalen Schlussabstimmung im Rat, keinen Raum für Änderungen. Auch die Schweiz hat in ihrer Gesetzgebung die gleichen Lücken eingebaut und setzt somit das Protokoll ebenfalls nur lückenhaft um.
Grosse Unterschiede in der Umsetzung
Die Konsequenz? Die Implementierung des Nagoya-Protokolls in der EU, der Schweiz und in den biodiversitätsreichen Ländern des Südens klafft auseinander. Auch in Zukunft wird bei uns vieles legal sein, was in den Ländern des Südens illegal ist. Rechtssicherheit sieht anders aus. Selbst wenn Schweizer BiopiratInnen im Süden verurteilt sind, können sie in der Schweiz und der EU auf Biopiraterie basierende Produkte weiterhin frei verkaufen. Gut möglich, dass sich die LMMC mit einer solchen Lösung nicht zufrieden geben und den Zugang zu genetischen Ressourcen so lange einschränken, bis die Gesetzgebung in Europa korrigiert wurde. In Pyeongchang wurde ein Kommentar zur EU-Verordnung durch die Erklärung von Bern, Natural Justice und die United Nations University veröffentlicht. Auch darin wird, zusätzlich zu weiteren Mängeln und Unklarheiten, der eingeschränkte Geltungsbereich der EU-Verordnung kritisiert.
Weitere Aushöhlung durch Pharmaindustrie in der Schweiz abgeblockt
Wenigstens konnten im Schweizer Parlament Anträge der Pharma- und Saatgutindustrie für eine weitere Aushöhlung des Protokolls abgeblockt werden. Die Pharma-Branche wollte in der Schweiz pathogene Organismen und Schädlinge von der Sorgfaltspflicht ausnehmen, die Saatgutindustrie wünschte sich dasselbe für kommerzielles Saatgut. So hätten die Ansprüche der Geberländer bezüglich dieser Ressourcen bei uns nicht mehr durchgesetzt werden können. Der Bundesrat und der Ständerat haben die Anträge der Industrie abgelehnt, doch der Nationalrat ist ihnen zuerst noch gefolgt. Erst im Differenzbereinigungsverfahren kamen sie vom Tisch. Zum Glück, den sie standen im klaren Widerspruch zum Text des Nagoya-Protokolls. Einen weiteren Schwachpunkt weist das Gesetz aber dennoch auf: Durch einen Schwenker der Grünliberalen, die in diesem Fall mit der SVP und der FDP ins Boot stiegen, werden die Rechte der indigenen Bevölkerung im Schweizer Gesetz um einiges schlechter geschützt, als im Nagoya-Protokoll vorgesehen. Bei traditionellem Wissen, welches frei zugänglich ist, können indigene Gemeinschaften ihre Rechte auf Vorteilsausgleich nicht mehr geltend machen, egal ob das Wissen legal oder illegal in die Öffentlichkeit kam.