Revision des Nachrichten­dienstgesetzes

Laut Gesetz soll der Schweizer Geheimdienst Gewaltextremismus, Terrorismus, Spionage, die Verbreitung von Atomwaffen und Angriffe auf kritische Infrastrukturen verhindern und so zur Sicherheit unseres Landes beitragen. Doch er tut viel mehr: Das zeigen Grösse und Inhalt der aktuellen Fiche von Public Eye. Eine Gesetzesrevision soll die Befugnisse des Nachrichtendienstes des Bundes, die er bereits heute verletzt, nochmals ausweiten – eine brandgefährliche Entwicklung für die Schweizer Zivilgesellschaft und unsere Demokratie.

Wer «Politische Polizei» hört, denkt vermutlich an einen Despoten-Staat. Zur Schweiz mit ihrem Stolz auf die direkte Demokratie mag dieser Begriff so gar nicht passen. Doch die 1935 gegründete Vorläuferorganisation des heutigen NDB trug bis in die 1990er Jahre genau diesen Namen. Dass er auch Programm war – allerdings nur im Hinblick auf ein gewisses politisches Spektrum – zeigt der Arbeitsfokus: In den 1950er-Jahren hatte die Politische Polizei, welche die «innere und äussere Sicherheit» gewähren sollte, vor allem Kommunist*innen und andere «Linksextremist*innen» im Visier. Ab den 1960er Jahren, an deren Ende die Erklärung von Bern (heute Public Eye) gegründet wurde, kam die intensive Überwachung der 68er-Bewegung dazu. Der Blick richtete sich nun auf neomarxistische Parteien, Friedens- und Frauenorganisationen. Dritte-Welt-Gruppen, die Antiatombewegung und Student*innenräte.

P wie «Politisch»? P wie «Prävention»! 

Richtig unpopulär wurde die Bezeichnung «Politische Polizei» aber erst 1989, als eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) rund um die Kopp-Affäre zufällig auf ein riesiges Lager an Karteikarten, die sogenannten Fichen, stiess: Rund 900‘000 Personen und Organisationen waren dort erfasst, der Fichenskandal erschütterte die Schweiz. Die Politische Polizei wurde in der Folge in «Präventive Polizei» umbenannt. Bis Ende 2009 hiess der Inlandnachrichtendienst «Dienst für Analyse und Prävention» (DAP), 2010 wurde der DAP mit dem Strategischen Nachrichtendienst SND zum heutigen NDB zusammengelegt.

Die Fiche von Public Eye enthält mehrere Einträge mit Bezug zu «Linksextremismus».

Globalisierungskritiker*innen als Staatsfeinde 

Bei der Premiere unserer WEF-Gegenveranstaltung im Jahr 2001 gab es noch eine äusserst aktive globalisierungskritische Bewegung. Es ist jenes Jahr, das mit dem G8-Gipfel in Genua und dem durch die Italienische Polizei verursachten Tod eines Demonstranten in die Geschichte einging. Der Verein grundrecht.ch zeigte später, dass der DAP damals Daten von über 400 angeblich gewaltbereiten Globalisierungsgegner*innen an seine italienischen Partner übermittelt hatte. Es war die erste grosse Datenweitergabe an ausländische Nachrichtendienste. Zudem legte grundrecht.ch offen, dass eine vom DAP geleitete Arbeitsgruppe im Juli 2001 empfahl, man solle die Antiglobalisierungsbewegung spalten, indem man den Dialog mit dem friedfertigen Teil suche und mit mehr Überwachung und Härte gegen die gewaltbereiten «Linksextremist*innen» vorgehe. Aus heutiger Sicht konnten DAP und später der NDB diese Strategie erfolgreich umsetzen: Proteste gegen das WEF wurden fortan mit massiver Polizeipräsenz und gezielter Repression beantwortet, woraufhin zuerst das «Oltner Bündnis» als Zusammenschluss globalisierungskritischer Schweizer Organisationen zerbrach und danach die gesellschaftlich einst breit abgestützten Anti-WEF-Kundgebungen in der öffentlichen Wahrnehmung politisch zunehmend in einem «linksextremen» Milieu verortet wurden.  

Gefährliche Ausweitung der NDB-Befugnisse  

Das heute geltende Bundesgesetz über den Nachrichtendienst (NDG) trat erst 2017 in Kraft. Die Einführung wurde mit viel Kritik und von einem Referendum des «Bündnis gegen den Schnüffelstaat» begleitet. In der Volksabstimmung wurde das NDG deutlich angenommen – der Mythos, dass der Staatsschutz dem Schutz und nicht zur Überwachung der Bevölkerung dient, hat verfangen. 

Schon dieses neue Gesetz baute die Befugnisse des NDB massiv aus. So schuf es die gesetzliche Grundlage, um die private Kommunikation von Personen zu überwachen, ohne dass dafür der Verdacht auf eine strafbare Handlung vorliegen muss. Nur fünf Jahre nach diesem Ausbau soll das NDG weiter verschärft werden, namentlich bei der digitalen Überwachung im Bereich «gewalttätiger Extremismus». Welche Personen oder Organisationen in diese Kategorie fallen würden, soll der NDB offensichtlich selbst entscheiden dürfen. Im Bericht des Bundesrats «Griffige Instrumentarien gegen Gewaltextremismus» vom Januar 2021 heisst es, Extremismus sei als «Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Ordnung und des Rechtsstaats» zu verstehen. Aber es existiere «keine allgemein anerkannte Definition des Begriffs gewalttätiger Extremismus». Der NDB muss sich also bislang nicht öffentlich dafür rechtfertigen, wo genau er diese ebenso entscheidende wie heikle Grenze zieht und warum. Für eine verstärkte Überwachung könnte ein Eintrag mit dem Vermerk «Linksextremismus», wie im Fall von Public Eye, künftig also genügen. Auch das Abhören privater Mobiltelefone von Mitarbeitenden wäre dann wohl möglich. Die geplante Kompetenzausweitung im digitalen Bereich dürfte überdies dazu führen, dass öffentlich zugängliche Dokumente noch umfassender in den Datenbanken des NDB landen. Das ist deswegen höchst problematisch, weil nicht alle öffentlich verfügbaren Daten und Äusserungen vom Geheimdienst erfasst und verwendet werden dürfen. Im Gegenteil: Wenn sich der Geheimdienst nicht an seine gesetzliche Schranke hält und ohne sicherheitsrelevanten Grund wie Spionage, Terrorabwehr oder gewalttätigen Extremismus willkürlich Daten sammelt, betreibt er faktisch Gesinnungsüberwachung.  

Ausschnitt aus dem Video «Der Nachrichtendienst des Bundes NDB - Im Dienst für Freiheit und Sicherheit unseres Landes» auf www.vbs.admin.ch (Klick auf Bild)

Starke zivilgesellschaftliche und politische Antwort nötig  

Für politisch engagierte und exponierte Menschen wie Klima-Aktivist*innen, NGO-Mitarbeitende und progressive Parlamentarier*innen sind das schlechte Neuigkeiten. In der anstehenden Vernehmlassung zum neuen NDG 2022 braucht es deshalb eine starke zivilgesellschaftliche und politische Stellungnahme zugunsten von Grundrechten und politischer Meinungsfreiheit. Nur so lässt sich eine weitere Ausweitung der NDB-Befugnisse noch verhindern. Die anstehende Revision des NDG betrifft hochsensible Bereiche unseres gesellschaftlich-demokratischen Zusammenlebens. Nötig sind deshalb schnelle und verbindliche Massnahmen, die dem NDB klare Schranken bei der Überwachung setzen und deren Einhaltung kontrollieren. Denn wir wollen zwar Sicherheit im Land, aber keine Politische Polizei!  

Was Sie tun können:  

Stellen Sie als Privatperson für sich selbst oder als zeichnungsberechtige Person für ihre Organisation ein Akteneinsichtsgesuch beim NDB. Nur so erfahren Sie persönlich (und wir als Zivilgesellschaft) wie der NDB seinen Auftrag interpretiert und seine Arbeit verrichtet. Mustervorlagen gibt es unter www.grundrechte.ch   

Beteiligen Sie sich an der Vernehmlassung zur Revision des Nachrichtendienstgesetzes (NDG). Engagieren Sie sich so für eine starke politische Aufsicht über den Nachrichtendienst auf kantonaler und nationaler Ebene sowie für umfassende Auskunftsrechte.