Breaking: Syngenta übertrifft eigene Nachhaltigkeitsziele. Obs an den Zielen liegt?
Carla Hoinkes, 27. August 2020
Immer weniger und immer grössere Konzerne kontrollieren das globale Geschäft mit Pestiziden und Saatgut. Zuvorderst mit dabei: Syngenta, neu als Teil der «Syngenta Group». Der neue Riese mit Sitz in Basel ist im Juni durch den Zusammenschluss von Syngenta mit dem israelischen Pestizidhersteller Adama und der Landwirtschaftssparte der chinesischen Sinochem entstanden. Als Holding hat Syngenta seinen Jahresumsatz beinahe verdoppelt; auf rund 23 Milliarden Dollar im Jahr 2019, womit sie die bisherige Nummer Eins Bayer vom Podest stösst. Heute kommunizierte der Konzern ein «solides» Resultat im ersten Halbjahr 2020; das grösste Wachstum verzeichnete mit 6% die Pflanzenschutzsparte in Basel. Damit konsolidert Syngenta seine führende Stellung auf dem Pestizidmarkt.
Für «Growth» ist also gesorgt. Nun muss der Konzern der Welt nur noch klar machen, dass dieses Wachstum auch «good» ist.
Schliesslich bringt sich der (hochverschuldete) Konzern gerade für einen erfolgreichen Börsengang in Stellung. Da gilt es, das Image zu pflegen. Kaum war die «Syngenta Group geboren», präsentierte sie denn auch sogleich voller «Stolz» die Neuauflage ihres «Good Growth Plan», kurz GGP.
Den ersten solchen «Plan für verantwortungsvolles Wachstum» hatte Syngenta 2013 lanciert. Public Eye hatte den GGP bereits kurz nach dessen Erscheinen eingehend analysiert – und insbesondere dessen einseitigen Fokus auf Produktivitätssteigerungen kritisiert. Auf seiner Webseite feiert der Konzern ihn nun aber als Erfolg: Die sechs «harten» und «ehrgeizigen» Ziele für eine nachhaltigere Landwirtschaft habe man fast alle erreicht und teils gar übertroffen.
Gut für Millionen Kleinbauern – oder fürs eigene Portemonnaie?
Da sind etwa die «26,5 Millionen erreichten Kleinbäuerinnen und -bauern». Unter dem Titel «Kleinbauern stärken» hatte sich Syngenta vorgenommen, deren 20 Millionen zu erreichen und ihnen zu einer Produktivitätssteigerung von 50% zu verhelfen. Es wurden nun sogar 26,5 Millionen. Nur: Ein Blick in die Reporting-Daten zeigt: Die allermeisten Kleinbauern, nämlich 20,3 Millionen, hat Syngenta ganz einfach über den Verkauf von Saatgut und Pestiziden «erreicht» – und das in der Regel «indirekt», also über lokale Händler.
Konkrete Hinweise auf Produktivitätssteigerungen bei diesen neu mit Syngenta-Produkten beglückten Kleinbäuerinnen sucht man im Reporting vergeblich – bis auf eine Ausnahme: Auf «kleinbäuerlichen Referenzbetrieben» habe sich der Ertrag pro Hektar seit 2014 um 28,5% erhöht, rapportiert Syngenta. Allerdings betreffen diese Ertragssteigerungen allerhöchstens wenige hundert Vorzeigebetriebe. Wie viele genau, geht aus den Excel-Tabellen, die Syngenta als Teil seines «Open Data»-Ansatzes rühmt, leider nicht hervor.
So macht Schule Spass
Doch Syngenta will nicht nur, dass die Kleinbauernfamilien höhere Erträge erzielen – sie sollen das auch tun, ohne sich selbst zu schaden. Deshalb hat sich der Konzern ebenfalls vorgenommen, mindestens 20 Millionen Bäuerinnen und Bauern in der sicheren Anwendung von Pestiziden zu schulen. Die Erkenntnis nach sieben Jahren: Nicht 20, nein, 42,4 Millionen Schulungen habe man seit 2014 durchgeführt.
Nur: Was bedeutet das, eine «Schulung»? Gemäss der Definition von Syngenta gilt jeder Event als Schulung, solange dort während mindestens 15 Minuten Syngentas fünf goldene Regeln für einen sicheren Pestizideinsatz thematisiert werden. Angesichts der unzähligen Kommerz- und Promo-Veranstaltungen Syngentas mit teils Tausenden Teilnehmenden lässt sich leicht vorstellen, wie vielen Menschen Syngenta so ihre Produkte unterjubel… äh, eine sichere Anwendung von Pestiziden nahelegt.
Klar: Auch Syngenta kennt die Empfehlungen internationaler Organisationen, wonach die wichtigsten Sicherheitsmassnahmen nicht Schulungen wären, sondern darin bestehen würden, den Pestizideinsatz zu reduzieren und die gefährlichsten Pestizide vom Markt zu nehmen. Nur: Mit genau diesen Produkten erzielt Syngenta jährlich mehrere hundert Millionen Umsatz. Da sind fünf goldene, in einem Powerpoint vorgetragene Regeln natürlich schon etwas günstiger – auch wenn jeder Bauer noch eine Syngenta-Mütze erhält.
Ein Herz für randständige Bienen
Nächstes Ziel: Auf fünf Millionen Hektaren Ackerland wollte Syngenta die Artenvielfalt verbessern. Geschafft hat der Konzern offenbar 8,2 Millionen. Die mit Abstand am meisten praktizierte Massnahme waren sogenannte «multifunctional field margins». Bedeutet: Syngenta verzierte die Ränder rund um 6,3 Millionen Hektaren Ackerland mit Blumen und anderen Pflanzen, um «ein neues Zuhause» für Bienen und andere Bestäuberinsekten zu schaffen.
Dass sich die Bienen lieber in diesen Feldrändchen tummeln als auf den Feldern selbst, überrascht nicht. Dafür sorgt Syngenta mit dem Verkauf von bienenschädlichen Insektiziden, die zu ihren absoluten Topsellern gehören. Da ist ein biodivers geblümtes Feldrändchen auch für die dankbarste Biene ein mieser Deal. Aber Syngenta hat ja auch nie versprochen, keine Bienenkiller mehr zu verkaufen.
Es braucht also offenkundig nicht besonders viel, um die «grossen Ambitionen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit», wie Syngenta sie nennt, zu übertreffen.
Innovativer Breaktrough – oder so
Mittlerweile seien die «Prinzipien und Prioritäten des Good Growth Plan tief verankert in der Art und Weise, wie wir bei Syngenta unsere Geschäfte führen» sagt CEO Erik Fyrwald mit dem ihm eigenen Pathos im Video zur Fortsetzung des GGP.
Diese beinhalte «mutige neue Verpflichtungen». Konkret will Syngenta künftig die bewährten Mittel wie Produkteschulungen und Biodiversitätsförderung weiter vorantreiben, neu aber auch den Klimawandel bekämpfen und Landwirtinnen helfen, sich Klimaveränderungen anzupassen. Zudem will der Konzern stattliche zwei Milliarden Dollar in «technologische Durchbrüche für eine nachhaltigere Landwirtschaft» investieren. Noch bleibt schleierhaft, was Syngenta genau unter einem solchen «Breakthrough» versteht.
Die Schlagzeilen zu Syngentas neuem GGP lesen sich vielversprechend – «Neu organisierter Syngenta-Konzern will Pestizide reduzieren», heisst es etwa bei Bloomberg. Doch in Syngentas Beschreibung der vier neuen Ziele finden sich noch weniger konkrete und messbare Massnahmen als in der ersten Auflage. Insbesondere wenn es um ihr Kerngeschäft, den Pestizidverkauf, geht, bleibt Syngenta vage. Zwar sollen die technologischen Durchbrüche helfen, den Pestizidverbrauch zu senken. Doch ein Reduktionsziel suchen wir vergeblich. Um den «Erwartungen der Konsumentinnen» gerecht zu werden, will Syngenta zwar die «Pestizidrückstände in Lebensmitteln reduzieren», dies aber «ohne die Produktivität der Bauern zu beeinträchtigen».
Das «weltweit führende ‘Powerhouse’ für Landwirtschaft und Innovation», wie Erik Fyrwald die Syngenta Group kürzlich nannte, setzt lieber auf Lippenbekenntnisse und einen hippen Online-Auftritt (#Syngentaproud) – und verkauft derweil rund um die Welt für hunderte Millionen hochinnovative Produkte wie das Herbizid Paraquat, in der Schweiz seit 1989 verboten, in vielen weniger privilegierten Ländern der Welt aber trotz seiner hohen Toxizität nach wie vor äusserst beliebt.
«Augen auf und durch!» (Autor*in unbekannt)
Carla Hoinkes beschäftigt sich bei Public Eye mit Landwirtschaftsfragen und nimmt die globalen Geschäfte der Agrarindustrie unter die Lupe. Sie lernt immerzu gern Neues über Mensch, Kraut und Rüben (und hofft, dass ihr auch selbst mal noch ein grüner Daumen wächst).
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