Dann schreibt künftig einfach, was euch die Konzerne sagen

Der Ständerat verzichtet auf die Revision von Artikel 47 des Bankengesetzes, dank dem man Journalist*innen, die Informationen aus einem Bankdatenleck veröffentlichen, ins Gefängnis stecken kann. Deshalb dürfen hierzulande keine «Swiss Leaks» oder «Suisse Secrets» veröffentlicht werden. Ein Teil der Kantonsvertreter*innen will nun sogar den investigativen Schweizer Journalismus noch weiter kriminalisieren. Höchste Zeit für eine historische Einordnung und entschiedene Verteidigung unserer akut gefährdeten Pressefreiheit.

Ich muss zugeben, dass ich mich fast schäme, mit einer Erinnerung aus der Journalistenschule zu beginnen. Doch angesichts der jüngsten Ereignisse im Ständerat ist es an der Zeit, nochmals George Orwell zu hören: «Journalismus ist, wenn das gedruckt wird, was jemand anderes nicht gedruckt sehen will. Alles andere ist Public Relations.»

Eine Selbstverständlichkeit, finden Sie? Schön wär’s. Von der Schweiz aus gesehen und im Auge der Finanzplatz-Lobbyisten scheint das Zitat des Autors von «1984» (dem ersten Buch dieses Namens) von einer absoluten Radikalität. Hätte der britische Journalist und Schriftsteller über die Geheimnisse der Schweizer Banken statt über den Spanischen Bürgerkrieg geschrieben, wäre er wohl vom Nachrichtendienst des Bundes beobachtet worden. Und im Falle einer Veröffentlichung von Informationen aus einem Finanzdatenleck hätte er bis zu drei Jahre Gefängnis riskiert. Das bestätigte der Ständerat am 14. Dezember mit 32 gegen 10 Stimmen. 

Doch beginnen wir am Anfang. 1934 wurde das Schweizer Bankgeheimnis in Artikel 47 des Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen in Stein gemeisselt. Der spanische König Alfonso XIII. hatte damals bereits einen Schweizer Bankier (wie auch sein Sohn und sein Enkel Juan Carlos nach ihm) und das Geld der iberischen Adelsfamilien, die vor der Republik flohen (hallo George Orwell!), war damals die zweitgrösste Geldquelle, die in die Schweiz sprudelte. Nigeria, Philippinen, Russland, Tunesien, Venezuela: Die Herkunft der Kund*innen wurde im Laufe der Zeit vielfältiger. Heute beherbergen die Schweizer Banken bis zur Hälfte des weltweiten Offshore-Vermögens. Ein Teil dieser Geschäftsbeziehungen ist legitim. Der andere Teil besteht aus korrupten französischen Politikern, lateinamerikanischen Potentaten, afrikanischen Kleptokraten und russischen Oligarchen.

Mehr Fälle, mehr «Strafbarkeit»

Im Nachgang der Finanzkrise wurde 2017 der automatische Informationsaustausch eingeführt, wodurch die Bürger*innen der OECD-Länder «ihr» Schweizer Bankgeheimnis verlieren. Schlimmer noch: Zu einem Konsortium vereint, beginnen internationale Leitmedien brisante Datenlecks zu analysieren und die Namen und Vermögenswerte der Premium-Kund*innen der übelsten Geldhäuser zu enthüllen. Die «Panama Papers», «Lux Leaks», «Congo Hold-Up» oder «Suisse Secrets» machen global Schlagzeilen und betreffen fast alle Länder. In der Schweiz sieht man darin einen medialen Angriff auf den Finanzplatz. Das ist zu viel! Die Credit Suisse beauftragte die Schweizer Justiz, die Quelle von Suisse Secrets ausfindig zu machen und beschuldigte sie des «wirtschaftlichen Nachrichtendienstes, der Verletzung des Geschäftsgeheimnisses und der Verletzung des Bankgeheimnisses».

Nach dem Fall Falciani, wo ein Ex-Informatiker der HSBC Genf den französischen und spanischen Behörden Bankauszüge ihrer Steuerflüchtlinge zugespielt hatte, war die parlamentarische Initiative «Den Verkauf von Bankdaten hart bestrafen» im Dezember 2014 aalglatt durchs Parlament gegangen. Artikel 47 wurde verschärft, um die «Strafbarkeit» bei Verletzung des Berufsgeheimnisses zu erweitern. Seitdem werden nicht mehr nur der Daten an Dritte weitergebende Bankangestellte kriminalisiert, sondern auch Medienschaffende, die diese Informationen publik machen.

Diese Verschärfung blieb bis Februar 2022 unbemerkt, als der Recherche-Desk von Tamedia auf die Teilnahme am Projekt «Suisse Secrets» verzichten musste, weil es Daten über zweifelhafte Kundschaft der Credit Suisse auswertete. Entrüstung. Dem Rechtsdienst des Zürcher Medienhauses war das Risiko zu gross, weil nach Artikel 47 verklagten Journalist*innen bis zu drei Jahre Gefängnis sowie eine Geldstrafe von bis zu 250’000 Franken drohen. Die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf freie Meinungsäusserung sieht darin eine «Kriminalisierung des Journalismus». Kein Wunder, fiel die Schweiz in der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit zurück.

Ein russischer Oligarch ist kein Herr Müller

Die Verfasser dieses Gesetzesartikels behaupteten daraufhin, dessen Tragweite habe ihre Absicht übertroffen. Sie versprachen Wiedergutmachung und der Nationalrat forderte den Bundesrat auf, die Gesetzgebung so zu ändern, dass die Pressefreiheit auch in Bezug auf den Finanzplatz gewährleistet bleibt. Konkret ging es dabei um den Begriff der Interessenabwägung. Noch konkreter: Ob ein russischer Oligarch, gegen den Sanktionen verhängt wurden, oder ein französischer Minister, der offiziell gegen die Steuerhinterziehung kämpft, Privatkonten bei einem Schweizer Kreditinstitut unterhalten, ist von öffentlichem Interesse. Keine Sorge, die Ersparnisse von Herrn und Frau Müller (oder von Ihnen, liebe*r Leser*in) fallen natürlich nicht unter diese Kategorie.

Aber jedes gute Drama hat eine Wendung. Letzten Donnerstag verzichteten die Ständerät*innen – gegen den Willen von Bundesrat und Nationalrat – auf die Revision des berüchtigten Artikel 47. Zuvor hatte dieselbe Kammer schon abgelehnt, die Bankarchive für Historiker*innen zu öffnen und es den Geldinstituten zu überlassen, ob sie ihre Geschichte(n) teilen wollen oder nicht. Das erinnert an die Vorbehalte der gleichen Kreise, die Jahrzehnte später noch bezüglich der nachrichtenlosen jüdischen Vermögen oder der südafrikanischen Apartheid geäussert wurden. Der Bund blockiert auch weiter den Grossteil des Archivs über den vor zehn Jahren gestorbenen Marc Rich, dem Gründer jener kleinen Handelsfirma, die später zu Glencore wurde. 

Gegen den Strom und volle Kraft voraus

Da die Ständerät*innen den Herrn Orwell entweder nicht gelesen oder nicht verstanden haben, behandeln sie am 20. Dezember ein Postulat, das sich mit der «weiteren Verwendung, insbesondere der Veröffentlichung, von illegal erworbenen Daten» befasst, was viel mehr als nur Bankkonten umfasst. Angesichts der «Zunahme der Cyberkriminalität» will die kleine Kammer die Diskussion auf alle «unrechtmässig erworbenen Daten» ausweiten und deren Veröffentlichung unter Strafe stellen. Damit verkehrt die kleine Kammer die Absicht der grossen Kammer ins glatte Gegenteil. 

Für die vom «Tages-Anzeiger» zitierten Medienrechtler, die den Braten schon vor zwei Wochen gerochen haben, würde die Annahme einer solchen Regelung das «Ende des investigativen Journalismus» in der Schweiz bedeuten. Denn alle Redaktionen müssten sicherstellen, dass keine von ihnen verwendeten Daten illegal erworben wurden, was ihre Angestellten heikle Themen vermeiden liesse, auch weil sie sonst persönlich belangt werden könnten. Das wäre der Tod des öffentlichen Interesses. Und jener journalistischen Recherche, die häufig die Arbeit der Justiz unterstützt.

Für Public Eye bedeutet dies konkret die Kriminalisierung der Arbeit mit Whistleblower*innen; das Ende der Analyse von Bestechungsgeldern, die Rohstoffhändler gezahlt haben, oder der massiven Veruntreuung von Geldern durch den Kabila-Clan im Kongo. Von nun an sind wir aufgefordert, nur das zu veröffentlichen, was die Konzerne uns zeigen wollen. Was das genaue Gegenteil dessen ist, was George Orwell forderte. Bleibt die Frage: Wer hat warum Angst vor der freien Presse?

 

«Als ich im Junior-Team spielte, sagte mein Trainer immer: 'Wenn Du das Spiel gewinnen willst, musst Du Deinen Kopf dahin stecken, wohin andere nicht einmal den Fuss setzen würden.' Vielleicht hatte er Recht.»

Adrià Budry Carbó ist Mitglied des Rechercheteams von Public Eye, spezialisiert auf den Rohstoffhandel und dessen Finanzierung. Davor war er Journalist bei der Tageszeitung Le Temps sowie der Tamedia-Gruppe. In einem anderen Leben arbeitete er ebenfalls am Nuevo Diario in Nicaragua.

Kontakt: adria.budrycarbo@publiceye.ch
Twitter: @AdriaBudry

Dieser Text ist eine Übersetzung des französischen Originaltextes.

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