Der Elefant im Raum
Adrià Budry Carbó, 20. September 2021
Was verbindet den Tod eines Elefanten in Botswana mit der internationalen Korruption und dem Schweizer Finanzplatz? Alles, wäre wohl die Antwort von Romain Gary gewesen, dem humorvollen Autor von «Les Racines du Ciel» (1956), der vor über vierzig Jahren verstarb. In seinem avantgardistischen Umweltroman plädierte der zweifache Gewinner des Prix Goncourt für die Verteidigung eines «menschlichen Freiraums, der so gross und grosszügig ist, dass selbst die riesigen Dickhäuter darin Platz finden». Vor dem Hintergrund der immer beliebteren Hobbyjagd im französischen Kolonialgebiet Westafrikas zeichnete Romain Gary die Linien des nächsten grossen Kampfes der Menschheit, der einzigen «Aufgabe, die einer Zivilisation würdig ist». Der Elefant als Metapher für die grossen Kämpfe also, die uns zu etwas mehr als einer egozentrischen Masse aus Fleisch und Knochen machen.
Romain Garys Elefanten sind auch die unseren.
Am 13. April 2012 bricht sich Juan Carlos, der seit Ende der Franco-Diktatur regierende spanische König, bei einer Elefantenjagd in Botswana die rechte Hüfte. Sein Land steckt zu diesem Zeitpunkt in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit, viele Spanier*innen verlieren ihre Arbeit und ihr Zuhause. Das Königshaus schaltet auf Krisenkommunikation um: «Es tut mir sehr leid. Ich habe einen Fehler gemacht. Das wird nicht wieder vorkommen», so der kleinlaute König.
Die Monarchie gerät ins Wanken
Zu spät, die Büchse der Pandora ist geöffnet. Juan Carlos’ Beliebtheit ist im Sturzflug. Um die Monarchie zu retten, übergibt er sein Amt seinem Sohn. Dann endlich wagen es die spanischen Medien, das Tabu zu brechen und berichten über die mysteriöse Baronin, die ihn in letzter Zeit auf seinen Reisen begleitet hat, auch auf der afrikanischen Safari.
Auf Druck seiner Schweizer Bank, die um ihr Image fürchtet, hatte Juan Carlos der Baronin kurz zuvor 65 Millionen Euro auf ein Konto in einem «anderen Steuerparadies, den Bahamas» überwiesen, schreibt «El País». Ein Geschenk, sagt sie. Der spanische Monarch betont, es handle sich um einen Teil eine Schenkung «zwischen Monarchen» – läppische 100 Millionen Euro, die er vom inzwischen verstorbenen König Saudi-Arabiens, Abdullah bin Abdelaziz Al Saud, erhalten hatte.
Hinter einem Elefanten kann sich ein anderer verbergen.
Die Angelsachsen haben ein Talent, Dinge beim Namen zu nennen, besonders, wenn es um peinliche gesellschaftliche Situationen geht. Wenn beispielsweise niemand ein umstrittenes und delikates Thema anspricht, um unangenehme Gespräche zu vermeiden, sagen sie: «Da ist ein Elefant im Raum». Die aus einem Roman von Fjodor Dostojewski oder Mark Twain stammende Metapher ist heute universell gültig.
Der Dickhäuter auf dem Platz
Sie wissen inzwischen bestimmt, worauf ich hinaus will. Wie hält die Schweiz ihre führende Position als Offshore-Zentrum? Warum landet immer noch ein Viertel des weltweiten Vermögens in unserem Land mit seinen 8,5 Millionen Seelen und rund 100’000 Bankangestellten?
Natürlich kann niemand das Talent der Schweizer Banker*innen und die hervorragende Qualität ihrer Finanzprodukte leugnen. Doch muss auch gesagt sein, dass der Schweizer Finanzplatz regelmässig in Zusammenhang mit grossen internationalen Korruptionsfällen (1MDB, Petrobras, PDVSA, Petroecuador) gebracht wird. Trotz des automatischen Informationsaustauschs wird er auch von Bürger*innen aus Ländern mit, sagen wir, schwacher Regierungsführung genutzt, um hierzulande hohe Geldsummen zu horten.
Diesen schweigsamen Elefanten kennen Sie natürlich. Genauso wie ich.
Land der Widersprüche
Denn die Schweiz ist nicht dafür bekannt, dass sie ihre Banker*innen ins Gefängnis steckt. Ihre Schutzvorkehrungen sind für ein kleines Land angemessen, nicht aber für den weltgrössten Finanzplatz.
Und das gesamte System tut so, als glaube es an das durch und durch widersprüchliche Konzept der «Selbstregulierung» des Finanzsektors.
Sie werden Schwierigkeiten haben, dieses Paradox Nicht-Schweizer*innen zu erklären.
Um das Tabu der Wirtschaftskriminalität zu brechen, haben wir Anfang September eine grosse Kampagne gegen Korruption «Made in Switzerland» lanciert. Mit drei Themenschwerpunkten, die unseren Kampf gegen die Straflosigkeit aufgreifen: einer Übersicht über die bestehenden Gesetzeslücken, Porträts von Korruptionsvermittelnden und einer akribischen Recherche zu den Briefkastenfirmen in der Schweiz …
Kerviel vor seiner Zeit
Zurück zum spanischen Königshaus, genauer gesagt zu Juan Carlos’ Grossvater. Als Alfons XIII 1931 nach dem Sturz des Diktators Primo de Rivera aus seinem Königreich flieht, sucht er natürlich Zuflucht in der Schweiz: In Lausanne, wo ihn sein Banker der Schweizerischen Bankgesellschaft (heute UBS) in seinem privaten Wohnzimmer empfängt. Juan Carlos kann sich also auf eine lange Familientradition berufen.
In den 1930er Jahren wird die Schweiz zu einem sicheren Hafen für reiche spanische Familien, die nach Ausrufung der Zweiten Republik im Jahr 1931 fliehen. Spanien ist laut dem Genfer Historiker Sébastien Farré damals die zweitwichtigste Quelle von Finanzströmen in die Schweiz. Und weil das Rezept sich bewährt, wird das Bankgeheimnis drei Jahre später im Gesetz über die Banken und Sparkassen verankert.
Da Geld bekanntlich nicht stinkt und politisch neutral ist, nimmt die Plünderei auch im ausgebluteten Spanien der Diktatur ihren Lauf. 1958 muss der Bundesrat diskret intervenieren, um die Franco-Regierung zu beschwichtigen, die in Barcelona gerade einen Delegierten der Schweizerischen Bankgesellschaft mit einer Liste von rund 1000 reichen spanischen Kunden verhaftet hat. Kommt Ihnen das bekannt vor?
Mit dem Appell an die Freiheit in der grossen Wildnis und dem Wettbewerb zwischen den Arten rechtfertigen die Elefantenjäger seit jeher ihr Unwesen. Ihnen gegenüber bleibt uns wohl nichts anderes als das Heiligste und Irdischste des Menschen: das Streben nach Würde, nach ein bisschen mehr Gerechtigkeit. Wie Romain Gary schrieb, «lebendige Wurzeln, die eine allmächtige Kraft in die Erde gepflanzt hatte und von denen einige für immer in den Herzen der Menschen verankert waren». Die Wurzeln des Himmels, schön und notwendig wie eine Elefantenherde, die sich in der Weite der Savanne verliert.
«Als ich im Junior-Team spielte, sagte mein Trainer immer: 'Wenn Du das Spiel gewinnen willst, musst Du Deinen Kopf dahin stecken, wohin andere nicht einmal den Fuss setzen würden.' Vielleicht hatte er Recht.»
Adrià Budry Carbó ist Mitglied des Rechercheteams von Public Eye, spezialisiert auf den Rohstoffhandel und dessen Finanzierung. Davor war er Journalist bei der Tageszeitung Le Temps sowie der Tamedia-Gruppe. In einem anderen Leben arbeitete er ebenfalls am Nuevo Diario in Nicaragua.
Kontakt: adria.budrycarbo@publiceye.ch
Twitter: @AdriaBudry
Dieser Text ist eine Übersetzung des französischen Originaltextes.
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