Die Welt ernähren mit dem WEF
Carla Hoinkes, 5. Mai 2020
Letzten Sommer ist die UNO klammheimlich eine weitreichende Partnerschaft mit dem Weltwirtschaftsforum WEF eingegangen. Das ominöse «Strategic Partnership Framework» fand in den Medien bis heute erstaunlich wenig Beachtung, obwohl es dem WEF eine beispiellos umfassende strategische Mitsprache in der multilateralen Politik gewährt. Doch welche konkreten Konsequenzen wird das in der Praxis haben?
In den wolkig vagen Phrasen des Partnerschaftsabkommen finden sich darauf kaum Antworten. Aufschlussreicher ist es, sich ein bestimmtes Vorhaben näher anzuschauen. Etwa den vierten grossen Welternährungsgipfel in der Geschichte der UNO, der 2021 in New York stattfinden soll. Dieser «World Food Systems Summit» soll gemäss UNO nicht weniger als ein entscheidendes Momentum (a «catalytic moment») werden für eine «weltweite gesellschaftliche Mobilisierung» und für «messbare Verpflichtungen», um in vielfältiger Weise in «integrative, klimaangepasste und resiliente Ernährungssysteme zu investieren» und «nachhaltigen Frieden zu unterstützen».
Tönt imposant. Nur: Die Veranstaltung steht unter bedenklichen Vorzeichen. Denn die Handschrift des WEF, das den Gipfel gemeinsam mit der UNO beantragt hat, zeigt sich bereits jetzt deutlich.
Produzenten als «Investoren»
So werden in einer «Concept Note» von 2019 neben UNO-Gremien und dem WEF als relevante «Stakeholder»-Gruppen «politische Entscheidungsträger», «Investoren», «Medien», «Wissenschaftlerinnen» sowie «Städte und Gemeinden» genannt.
Indigene Völker? NGOs? Soziale Bewegungen? Sucht man vergeblich.
Und diejenigen, die unsere Lebensmittel erzeugen, verdienen nicht einmal eine eigene Gruppe. Stattdessen werden sie als «Produzenten» unter den «Investoren» aufgeführt – eine Klassifizierung, die sie im Vorhinein auf ihre Investitionen (etwa in Produktionsmittel) reduziert und die vielfältigen kulturellen, sozialen und ökologischen Funktionen der Landwirtschaft ignoriert. Nicht einmal der Welternährungsausschuss (also DIE integrative UNO-Plattform für Ernährungssicherheit) wurde erwähnt, geschweige denn von Anfang in die Planung der Veranstaltung involviert.
Diese sehr enge Wahl von und begrenzte Sichtweise auf «Stakeholder» ist insbesondere vor dem Hintergrund ein Rückschritt, dass sich die letzten Welternährungsgipfel, insbesondere derjenige von 1996, durch eine starke Beteiligung von Kleinbauern und Zivilgesellschaft ausgezeichnet hatten.
Grüne Revolution in Afrika?
Im Dezember 2019 hat das UNO-Generalsekretariat Dr. Agnes Kalibata zur Sondergesandten des Gipfels ernannt. Sie soll die Planung und Umsetzung leiten und die «strategische Richtung» vorgeben. Ihr Hintergrund liefert Hinweise, wohin die Reise gehen könnte. Kalibata ist amtierende Präsidentin von AGRA, der Alliance for a Green Revolution in Africa. Diese von der Rockefeller-Stiftung und der «Bill & Melinda Gates Foundation» gegründete Initiative hat von 2007 bis 2016 satte 430 Millionen US-Dollar investiert, um Kleinbäuerinnen und -bauern in elf afrikanischen Ländern «zu höheren Erträgen zu verhelfen». Und zwar in erster Linie durch die Förderung von kommerziellem Saatgut, synthetischen Düngemitteln und Pestiziden. Wenig erstaunlich also, dass AGRA eng mit Agrochemiekonzernen wie Syngenta zusammenarbeitet, und einer der mächtigsten Düngemittelkonzerne der Welt, Yara Fertilizers, zu den grössten Geldgebern gehört.
Keine Spur von Agrarökologie
Im Hinblick auf den Gipfel wartet das WEF bereits mit neuen Allianzen, Konzepten und Berichten auf. In den hübsch gestalteten Broschüren tauchen zwar durchaus Lösungswege auf, etwa zur Verringerung von Food Waste oder Treibhausgasemissionen. Sehr auffällig ist aber erstens, wie wenig (bis gar keinen) Platz die mittlerweile von der Landwirtschaftsorganisation der UNO selbst als absolut zentral anerkannten agrarökologischen Lösungen einnehmen, und zweitens die auch in diesen Papieren fast durchgehende Abwesenheit von NGOs, Zivilgesellschaft, Indigenen und insbesondere der 800 Millionen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, welche de facto die Welt ernähren – sie produzieren gegen 80 Prozent aller Lebensmittel. Echte Lösungen können nur unter ihrer Beteiligung gefunden werden – etwa durch das Zusammenbringen von wissenschaftlichen Erkenntnissen und lokalem, traditionellen Wissen. Werden ihre Stimmen ignoriert, droht sich der Gipfel um uniforme Top-Down Lösungen zu drehen, die einseitig auf marktfähige Inputs und Technologien setzen.
Den Reset-Knopf drücken
Eine Sorge, die auch der ehemalige UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung Oliver De Schutter teilt: Es entstehe der Eindruck, dass das
«eigentliche Ziel des Gipfels» darin bestehe, einen «neuen Konsens zu fabrizieren, um unternehmerische Lösungen in den Vordergrund zu rücken»,
schrieb er kürzlich in einem Meinungsbeitrag.
Doch noch sei es nicht zu spät. Die UNO müsse den Reset-Knopf drücken, fordert De Schutter. Statt ominösen Hinterzimmer-Deals brauche es echte demokratische Debatten, die Ernährungssouveränität und agrarökologische Bottom-Up Lösungen ins Zentrum stellen. Auch die scheidende UNO-Sonderberichterstatterin Hilal Elver (sie war bis zum 1. Mai 2020 im Amt) rief in einem Kommentar zum anstehenden Gipfel dazu auf, «auf dem positiven Vermächtnis vergangener Gipfel aufzubauen» und plädierte für eine starke Rolle des Welternährungsausschusses. Durch Covid19 drohe eine weltweite Ernährungskrise, welche den Zugang zu erschwinglichen und nahrhaften Lebensmitteln vieler Menschen stark beeinträchtigt. Der Welternährungsausschuss, der während Nahrungsmittelkrise von 2008 gegründet wurde und auf das Recht auf angemessene Nahrung für alle fokussiere, sei besonders in Zeiten ausserordentlicher Herausforderungen und Unsicherheit eine wertvolle Plattform.
Rund 550 zivilgesellschaftliche Organisationen, Universitäten und soziale Bewegungen aus der ganzen Welt, darunter auch Public Eye, doppelten Ende März mit einem Brief an die UNO nach: Wir fordern, dass die strategisch zentrale Position der Sondergesandten neu besetzt wird, um Interessenskonflikte mit der Agrarindustrie zu vermeiden. Der Gipfel muss in einem transparenten, partizipativ-demokratischen Prozess neu aufgegleist werden.
«Augen auf und durch!» (Autor*in unbekannt)
Carla Hoinkes beschäftigt sich bei Public Eye mit Landwirtschaftsfragen und nimmt die globalen Geschäfte der Agrarindustrie unter die Lupe. Sie lernt immerzu gern Neues über Mensch, Kraut und Rüben (und hofft, dass ihr auch selbst mal noch ein grüner Daumen wächst).
Kontakt: carla.hoinkes@publiceye.ch
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