Für Glencore gilt: 1+1 = Netto-Null
Adrià Budry Carbó, 15. Juni 2023
Damit eine Gesellschaft harmonisch funktioniert, haben sich die Menschen auf eine Reihe von gemeinsamen Werten und festen Prinzipien geeinigt. Zu diesen Grundlagen unserer Zivilisation gehört die Idee, dass eins und eins zwei ergibt. Die Erfindung des Dezimalsystems im 3. Jahrhundert v. Chr. und sein Vorläufer, das Unärsystem (mit senkrechten Strichen), dienten einem einzigen Zweck: der möglichst anschaulichen Darstellung einer bestimmten Menge von Dingen, die in unserem kollektiven Universum physisch vorhanden sind.
Dieses Modell ist nun überholt. Zumindest wenn man den jüngsten Stellungnahmen von Glencore und seinem neuen Konzernchef, Gary Nagle, Glauben schenkt. Nachdem der Rohstoffriese aus Baar ZG, der mit Kohle Milliarden verdient, mit einer gross angelegten Kampagne an Bahnhöfen und Tram- oder Bushaltestellen als Leader in den Bereichen CO2-Reduktion und Recycling aufgetreten ist, nimmt er nun unser numerisches Verständnis ins Visier.
Der Adler und die Versprechungen…
Seit zweieinhalb Monaten belagert Glencore seinen Rivalen Teck Resources nach bester Tradition des Raubtierkapitalismus. Das ist sein gutes Recht. Der Zuger Riese, der weltweit grösste Exporteur von Kohle, weiss seit der Preisexplosion, die durch die Pandemie und die Invasion der Ukraine ausgelöst wurde, nicht mehr wohin mit seinem Geld. (Der Konzern machte 17 Mrd. US-Dollar Gewinn im letzten Jahr). Für den Adler aus Baar beginnt nun die Jagdsaison.
Das feindliche Übernahmeangebot, das Anfang April lanciert wurde, pünktlich vor den jeweiligen Generalversammlungen, zielte darauf ab, das kanadische Bergbauunternehmen gegen den Willen seiner beiden Hauptaktionäre, darunter der Gründer, zu übernehmen. Die Aktionär*innen wurden dafür mit einem saftigen Gewinn von 20% geködert. Teck wurde so mit fast 23 Mrd. US-Dollar bewertet. Das bedeutet in der Welt der Bergbaukonzerne so etwas wie im Fussball der Transfer von Neymar vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain.
Aber Vorsicht, hier kommt die Magie von Glencore-Chef Gary Nagle erst richtig zum Tragen. Die geplante Übernahme ist ein doppelter Trigger: Fusion und Spaltung! Das neue Unternehmen «Glenteck» würde schnell in zwei separate Einheiten mit den höchst kreativen Namen MetalsCo und CoalCo aufgeteilt werden. Auf der einen Seite die für die Energiewende wichtigen Metalle (Kupfer, Kobalt, Zink usw.) und auf der anderen Seite die Kohle. Eine elegante Möglichkeit für Glencore, sich die Gewinne aus dem Kohlegeschäft zu sichern und gleichzeitig als «grün» bezeichnete Fonds anzuziehen.
Klimaaktivist*innen können jedoch beruhigt sein: Trotz einer kumulierten Jahresproduktion von 131,5 Mio. Tonnen – plus 100,6 Mio. Tonnen Verkauf für Dritte – hätte der neue Konzern CoalCo immer noch die Ambition, «die nachhaltige Senkung der Produktion seines Portfolios an thermischer Kohle zu überwachen». Denn Glencore hält an seinem Versprechen fest, bis 2050 bei den CO2-Emissionen Netto-Null zu erreichen. Als Reaktion auf den Druck seiner Investoren hatte sich der multinationale Konzern bereits im Februar 2019 verpflichtet, seine Kohleproduktion auf etwa 150 Mio. Tonnen pro Jahr zu begrenzen. In seiner gesamten Geschichte besass Glencore indes noch nie so viele Produktionskapazitäten (d.h. Minen) wie heute! Glencore produziert nur deshalb nicht noch mehr Kohle, weil das den Markt überschwemmen und den Kohlepreis senken würde.
...die nur diejenigen binden, die daran glauben
Während grosse Rivalen wie wie Rio Tinto oder Vale sich aus dem Kohlegeschäft zurückziehen, stärkt Glencore seine Marktposition und seine Abhängigkeit von der umweltschädlichsten aller fossilen Energien. Im Jahr 2022 machte die Kohleproduktion mehr als die Hälfte (ca. 53%) des operativen Ergebnisses des Konzerns aus. Ganz zu schweigen von den Gewinnen aus dem Kohlehandel, um die ein Geheimnis gemacht wird. Diese Abhängigkeit könnte sich als fatal erweisen, wenn Glencore, ein börsennotiertes Unternehmen, das den Launen der Investor*innen unterworfen ist, sich eines Tages von seinen hohen fossilen Einkünften trennen müsste. Die geplante Übernahme von Teck ist eine Flucht nach vorn.
Also kreist der Adler weiter über seiner Beute.
Der Konzern hat öffentlich versprochen, bis 2035 ein Dutzend Minen zu schliessen.
Natürlich ohne diese jemals namentlich zu nennen, um «der Konkurrenz keine Hinweise zu geben». Dennoch werden die Jagdgründe laufend erweitert. Im Januar 2022 erwarb Glencore die restlichen zwei Drittel von Cerrejón, der grössten Kohlemine Lateinamerikas mit einer Produktion von 23 Mio. Tonnen im Jahr 2021. Preis: 588 Mio. US-Dollar, ein Schnäppchen zu einer Zeit, in der Anglo American und BHP – die früheren Miteigentümer – versuchen, aus der thermischen Kohle auszusteigen.
Laut der spezialisierten Plattform Global Energy Monitor führt Glencore derzeit weltweit 22 Projekte zur Eröffnung oder Erweiterung von Kohleminen durch.
In Australien ist der Zuger Riese mit 15 Konzessionen bereits der grösste Kohleförderer des Landes. Im Oktober 2022 wurde die Erweiterung der Glendell-Mine abgelehnt, die den Ort eines Aborigine-Massakers dem Erdboden gleichmachen würde. Es ist nicht damit zu rechnen, dass Glencore die Pläne vollends begraben wird.
Der Wurm steckt im Russ
Nach einer ersten Ablehnung durch Teck erhöhte Glencore am 13. April sein Angebot erneut und versprach, diejenigen zu entschädigen, die keine Anteile an dem neuen Kohleunternehmen erwerben wollten. Ein erneutes «Nein» war die Antwort, aber das Übernahmeangebot hat dennoch etwas bewirkt: Ein Teil der Aktionär*innen war nun ziemlich angetan von Glencores Vertrauen in diesen Markt, den man bereits aufgegeben hatte. Ende April gab Teck seine eigenen Pläne zur Abspaltung des Kohlegeschäfts auf.
Der bisher letzte aggressive Vorstoss kam am 12. Juni: Glencore erklärte sich bereit, lediglich die Kohleminen von Teck zu erwerben und diese innerhalb von 12 bis 24 Monaten unter einem neuen Namen mit seinem eigenen Portfolio zu kombinieren, natürlich «verantwortungsvoll». 1+1 = 0. Der Planet kann aufatmen.
«Als ich im Junior-Team spielte, sagte mein Trainer immer: 'Wenn Du das Spiel gewinnen willst, musst Du Deinen Kopf dahin stecken, wohin andere nicht einmal den Fuss setzen würden.' Vielleicht hatte er Recht.»
Adrià Budry Carbó ist Mitglied des Rechercheteams von Public Eye, spezialisiert auf den Rohstoffhandel und dessen Finanzierung. Davor war er Journalist bei der Tageszeitung Le Temps sowie der Tamedia-Gruppe. In einem anderen Leben arbeitete er ebenfalls am Nuevo Diario in Nicaragua.
Kontakt: adria.budrycarbo@publiceye.ch
Twitter: @AdriaBudry
Dieser Text ist eine Übersetzung des französischen Originaltextes.
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