Gunvor in Ecuador: Ein Fiasko namens Compliance

Am 1. März wurde der Genfer Handelsriese Gunvor in den USA und in der Schweiz wegen aktiver Korruption bei Ölgeschäften in Ecuador zwischen 2013 und 2020 gleich zwei Mal verurteilt. Die Bundesanwaltschaft befand den Konzern wegen «Organisationsmängeln» für schuldig und hat Gunvor die Zahlung einer Busse von 4,3 Millionen Franken und einer Ersatzforderung von 82,3 Millionen Franken auferlegt. Die Lektüre des Strafbefehls ermöglicht einen konsternierenden Blick auf die gelinde gesagt mangelhaften Vorkehrungen des Handelskonzerns im Bereich der Korruptionsprävention; das Ganze kommt einer Farce sehr nahe.

Ein «branchenweit führendes Compliance-Programm, das wir kontinuierlich weiterentwickeln  wollen». Dies versprach Torbjörn Törnqvist, der Chef und Mitgründer von Gunvor, als er der Konzern seine Verurteilung in einer langen Pressemitteilung in fünf Sprachen bekannt gab, das klassische «Mea Culpa» halt. Seit fast zehn Jahren schwören die Rohstoffhandelsriesen bei jedem Skandal, dass sie in Sachen Korruption eine Nulltoleranz-Politik verfolgen würden. Die Abteilungen für Compliance, die Kontrolle der Einhaltung der geltender Gesetze und Bestimmungen, wurden gemäss ihren Angaben massiv ausgebaut; immer mehr Mitarbeitende arbeiten dort, um Verstösse aufzudecken. Sie sind sozusagen Sigmund Freuds «Über-Ich» (die kleine Stimme, die sagt: «Das darf nicht sein»), während das «Es» (die Triebe, die auf sofortige Befriedigung drängen) eher für die Mitarbeitenden an der Front steht – die Hitzköpfe, die nur an den Profit denken und bereit sind, jedes Risiko einzugehen, um ihn zu erreichen. In seiner Schrift «Das Ich und das Es» hat Sigmund Freud vor gut 100 Jahren den ständigen Krieg zwischen diesen beiden Instanzen des Unbewussten beschrieben.

Compliance – wo bist du?

In der Affäre um Gunvor in Ecuador können wir ohne lange zu zögern sagen, dass das «Es» weitgehend gesiegt hat. Oder vielmehr das «Sie» in der Person zweier ecuadorianisch-spanischer Brüder: Antonio und Enrique Peré, zwei im Ölgeschäft tätige Berater, die dem Händler dabei halfen, sich Unmengen von ecuadorianischem Öl zu sichern, das im Amazonasgebiet gefördert wurde. Wie Public Eye in seiner jüngsten Recherche berichtet, zahlte Gunvor den beiden zwischen Januar 2013 und Januar 2020 die extravagante Summe von 91,8 Millionen US-Dollar. Das Tandem, das in Miami auf grossem Fuß lebte, veranstaltete anschliessend eine Orgie der Verteilung von Bestechungsgeldern, deren Empfänger bis heute nicht alle bekannt sind. Nilsen Arias, ein Staatsbeamter und hochrangiger Mitarbeiter der staatlichen ecuadorianischen Ölgesellschaft Petroecuador, kassierte zwischen 2013 und 2017 mindestens 7,4 Millionen US-Dollar und begünstigte die Unterzeichnung von Verträgen, die Gunvor Millionen von Barrel billigen Rohöls ermöglichten. 

Was tat die Compliance-Abteilung in dieser Zeit? Wie aus dem Strafbefehl der Bundesanwaltschaft hervorgeht, arbeiteten 2013 für die Compliance 4 Vollzeitbeschäftigte, obwohl der Konzern mehr als 1500 Angestellte hatte. Dann stieg diese Zahl bis 2017 auf 16 Personen, darunter 4 Teilzeitstellen. 

Laut der Bundesanwaltschaft gab es bereits Warnsignale, als 2012 der erste Vermittlervertrag («Service Agreement») mit den Peré-Brüdern unterzeichnet wurde: Die von ihnen zu erbringenden Dienstleistungen waren darin nur vage beschrieben und die Vermittler jonglierten mit Offshore-Firmen und Bankkonten in mehreren Ländern, darunter der Schweiz. Hinzu kommt, dass Ecuador traditionell ein hohes Korruptionsrisiko aufwies (und immer noch aufweist). 

Du sollst nicht bestechen! 

Ebenfalls laut Strafbefehl dauerte es bei Gunvor bis Anfang 2018, bis erste Fragen zur Geschäftsbeziehung mit den Perés auftauchten. Einige Monate zuvor hatte die Gruppe neue Verfahren eingeführt, die es der Compliance-Abteilung ermöglichten, sich mit Mittelspersonen zu treffen, die von ihr als hochriskant eingestuft wurden. Die Peré-Brüder gehörten offenbar zu dieser Kategorie und am 8. Februar 2018 wird Antonio alias «Tuco» vorgeladen. Ihm wird die interne Richtlinie «Anti bribery & corruption and Anti-money laundering Policy» («Politik zur Bekämpfung von Bestechung und Korruption und zur Bekämpfung der Geldwäscherei») persönlich überreicht und, was noch besser ist, er erhält eine Schulung. Und er wird gebeten, seinem Bruder Enrique alias «Bruce» (wegen seiner angeblichen Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Bruce Willis) die Folien weiterzugeben, die für die Schulung verwendet wurden. Das muss eine amüsante Szene gewesen sein. 

Im April 2018 fordert die Compliance-Abteilung, die sich ein zweites Mal mit Antonio getroffen hat, von ihm eine Liste der Personen und Einrichtungen, die für Oil Intelligence Corp und zuvor für Energy Intelligence & Consulting Corp – die beiden Offshore-Firmen der Perés, die «Service Agreements» mit Gunvor unterzeichnet haben – arbeiten oder gearbeitet haben, sowie Angaben zu den erbrachten Dienstleistungen und den Beträgen, die diesen Personen gezahlt wurden. Antonio antwortet nicht darauf. 

Unverfroren gelogen

Am 4. Mai 2018 schickt die Compliance-Abteilung Antonio erneut ein E-Mail, mit einem Link auf einen Artikel zu einer Untersuchung, die Petroecuador betrifft. Antonio wird explizit gefragt, ob die beiden Offshore-Einheiten im Zusammenhang mit den Beziehungen zur Gunvor-Gruppe Kontakt zu den im Artikel erwähnten Personen hatten, darunter der hochrangige Petroecuador-Beamte Nilsen Arias. Und ob Zahlungen an diese Personen oder an Angestellte oder Vertreter*innen der staatlichen Ölgesellschaft geleistet worden seien.

In einer Antwort, die 14 Tage später eintrifft, antwortet Antonios Bruder Enrique der Compliance-Abteilung, dass seine Firma Oil Intelligence Corp. im Zusammenhang mit dem Ölsektor in Ecuador mit «independent specialized persons» (unabhängigen Fachpersonen) zu tun habe, die weder öffentliche Bedienstete noch politisch exponierte Personen (PEP) seien. Das ist offensichtlich gelogen. Der Gipfel der Unverfrorenheit: Enrique weigert sich aus Gründen der Vertraulichkeit, die Namen der «unabhängigen Fachpersonen» zu nennen. 

Gunvor wird sich noch zwei Jahre lang mit diesen Erklärungen zufriedengeben! Aus Faulheit und Inkompetenz? Oder – wahrscheinlicher  – um die Öllieferungen aus Ecuador nicht zu gefährden, die dem Konzern 384 Millionen Dollar Gewinn eingebracht haben? Wie dem auch sei: Im Frühjahr 2020 fängt die Kacke an zu dampfen. Am 8. Mai kündigt der Händler nach einer sorgfältigen Prüfung (Due Diligence) das «Service Agreement», das ihn an die Brüder Peré bindet. Das Kündigungsschreiben bezieht sich auf Klausel 13.2 des Vertrags, die eine Kündigung bei Nichteinhaltung der Anti-Korruptionsregeln vorsieht. Wir werden nie erfahren, was diese plötzliche Erkenntnis ausgelöst hat. Vermutlich das «Über-Ich». 

«Die Welt ist mehr bedroht durch die, welche das Übel dulden oder ihm Vorschub leisten, als durch die Übeltäter selbst.» Albert Einstein

Agathe Duparc arbeitet seit Mai 2018 bei Public Eye und ist verantwortlich für Recherchen zu Rohstoffhandel. Als Expertin für Russland und Wirtschaftskriminalität arbeitete sie als Journalistin für verschiedene französische Medien, darunter Le Monde und Mediapart.

Kontakt: agathe.duparc@publiceye.ch
Twitter: @AgatheDuparc

Dieser Text ist eine Übersetzung des französischen Originaltextes.

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