Parlieren statt regulieren: das Seco lädt zum Kaffeekränzchen

Die Schweiz dominiert das globale Kaffeegeschäft und trägt deshalb eine grosse Verantwortung, grassierende Missstände wie die Armut von Millionen Kaffeebäuerinnen und -bauern oder die verbreitete Kinder- und Zwangsarbeit endlich anzugehen. Ihr Mittel der Wahl dafür: die in Bern vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) lancierte «Swiss Sustainable Coffee Platform» (SSCP) – und damit eine weitere rechtlich unverbindliche Quasselbude.

Heute Abend starten das Seco und die wichtigsten Vertreter der Schweizer Kaffeeindustrie mit viel Tamtam (inklusive Eröffnungsrede von Bundesrat Guy Parmelin) die «Swiss Sustainable Coffee Platform» (SSCP). Nach dem Vorbild der von den Initianten als «grosse Schwester» deklarierten «Swiss Platform for Sustainable Cocoa» (Swissco) will die SSCP die «soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit entlang der gesamten Kaffee-Wertschöpfungskette» fördern.

Das ist grundsätzlich eine hervorragende Idee, denn erstens steht es, ähnlich wie in der Kakaoproduktion, auch im Kaffeeanbau heute miserabel um Nachhaltigkeit und Menschenrechte: Umweltverschmutzung und Abholzung sind ebenso verbreitet wie Kinder- und Zwangsarbeit. Plus: Millionen Kaffeebäuerinnen und -bauern verdienen kaum genug zum Leben. Und zweitens ist die Schweiz nicht nur ein Schoggi- sondern auch ein Kaffeeland: Die Alpenrepublik ist der weltweit wichtigste Handelsplatz für Kaffee und beherbergt neben den sechs grössten Rohkaffeehändlern mit dem Lebensmittelriesen Nestlé auch die Weltnummer Eins im Röstgeschäft.

Doch die Informationen, die bislang bekannt geworden sind, sowie die Erfahrungen mit anderen Multistakeholder-Initiativen (MSI) wie der Kakaoplattform lassen die Alarmglocken läuten. Die SSCP scheint allzu sorglos ihrer «grossen Schwester» nachzueifern, die punkto Ambitionen oder Verbindlichkeit keinen Vorbildcharakter hat repektive haben sollte. Konkret: 

  • Grösster Hebel bleibt ungenutzt

Unternehmen sollen sich unter der SSCP zwar zu «100% Nachhaltigkeit» verpflichten, aber nur für jenes bisschen Kaffee, das physisch in die Schweiz eingeführt wird. 2023 importierte die Schweiz 183’000 Tonnen Rohkaffee und damit gerade mal 1,8% der globalen Produktion. Ungleich wichtiger ist dagegen das gewaltige Kaffeevolumen, das Schweizer Händler und Röstkonzerne weltweit beschaffen – und zwar ohne dass der Agrarrohstoff auch nur in die Nähe einer Schweizer Grenze gelangt. Allein Nestlé verarbeitet mindestens jede zehnte geerntete Kaffeebohne weltweit, den allergrössten Teil davon nicht in der Schweiz. Und der globale Transithandel mit Rohkaffee wird gar zu mindestens 50% über Schweizer Firmen abgewickelt!

  • Zertifiziert bedeutet nicht nachhaltig

Die SSCP will sich bei der gemeinsamen Definition von «Nachhaltigkeit» (die im Detail noch ausgehandelt wird) offenbar vor allem auf Zertifizierungen stützen. Deren Wirksamkeit ist jedoch höchst umstritten: Bei gängigen Eigenlabels und Branchenstandards sind grosse Zweifel über deren Nutzen vor allem zur Verbesserung des Einkommens von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern angebracht. Beispiel gefällig? Durch den Branchenstandard 4C zertifizierte Nescafé-Produzent*innen in Mexiko befinden sich in einer verzweifelten Situation, weil sie mit den Tiefstpreisen, die Nestlé ihnen seit Jahren bezahlt, ihre Familien kaum ernähren können. Daran ändern auch die äusserst mageren Preisaufschläge durch die 4C-Zertifizierung nichts.

  • Entwicklungshilfe für Konzerne

Im Rahmen der Plattform stellt das Seco in den ersten drei Jahren satte 4 bis 6 Millionen Franken zur Verfügung, um ausgewählte Nachhaltigkeitsprojekte ihrer Mitglieder, darunter die Kaffeeunternehmen, zu unterstützen. Die Förderung einzelner Projekte wird aber nicht zur Lösung struktureller Missstände wie der verbreiteten Armut beitragen, geschweige denn zur Beseitigung der systemischen Ursachen dafür, wie dem krassen Machtgefälle zwischen Konzernen und ihren Rohstoffproduzenten. Zudem werden so Staatsgelder verwendet, um in einem hoch profitablen Sektor potenziell Konzerne zu finanzieren, damit diese (in einzelnen Projekten) umsetzen, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: eine umwelt- und sozialverträgliche Rohstoffproduktion. Konzerne sollen also für den Versuch, jene Missstände zu beseitigen, die sie durch ihre Preispolitik beim Einkauf mitverursachen, auch noch finanziell entschädigt werden.

  • Freiwilligkeit statt Verbindlichkeit

Die SSCP will dem Sektor auch dabei helfen, Sorgfaltsprüfungen zur Achtung der Menschenrechte und Umweltstandards entlang der Wertschöpfungsketten umzusetzen und zu verbessern. Noch viel besser wäre es allerdings, wenn die Schweiz endlich griffige Regulierungen einführen würde, die Sorgfaltspflichten rechtsverbindlich macht und effektive Sanktionsmöglichkeiten vorsieht. Stattdessen belässt es unsere Regierung beim unverbindlichen Dialog ohne Rechenschaftspflichten und mit höchst ungewissem Ausgang.

Mit ihrer Multistakeholderei hinkt die Schweiz international massiv hinterher: Während das Seco mit der SSCP den Sektor «unterstützen» will, macht die EU politische Nägel mit Köpfen und treibt die Einführung von strikten Vorschriften zu Sorgfaltspflichten in Lieferketten sowie der Verhinderung von Abholzung oder Zwangsarbeit voran. Auch der Blick nach Brüssel zeigt: Die Zeit der gemütlichen Berner Kaffeekränzchen ist definitiv abgelaufen.

«Augen auf und durch!» (Autor*in unbekannt)

Carla Hoinkes beschäftigt sich bei Public Eye mit Landwirtschaftsfragen und nimmt die globalen Geschäfte der Agrarindustrie unter die Lupe. Sie lernt immerzu gern Neues über Mensch, Kraut und Rüben (und hofft, dass ihr auch selbst mal noch ein grüner Daumen wächst).

Kontakt: carla.hoinkes@publiceye.ch
Twitter: @carlahoinkes

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