Schweizer Briefkästen für illegale Geschäfte

Ein Berufsstand ist in Aufruhr: Der Bundesrat beabsichtigte im Rahmen der anstehenden Revision des Geldwäschereigesetzes Anwältinnen und Berater bei ihren Dienstleistungen für Firmenkonstrukte und Trusts Sorgfaltspflichten zu unterstellen. Die parlamentarische Anwaltslobby hat im Frühjahr bereits erreicht, dass der Nationalrat Nichteintreten auf die Vorlage beschloss. Gleich nach den Sommerferien wird sie mit Hilfe der Rechtskommission des Ständerats den Gesetzesentwurf entscheidend verwässern.

In regelmässigen Abständen kritisiert die eine oder andere internationale Behörde, die über die Umsetzung der internationalen Standards zur Geldwäscherei- oder Korruptionsbekämpfung wachen, die Schweiz für ihre Gesetzeslücken. In der Folge erarbeitet das zuständige Bundesamt Gesetzesänderungen, die jeweils haarscharf die Lücken schliessen, aber noch immer genügend Spielraum offen lassen für Schlaumeiereien. Dies führt zu einer langen Liste an Skandalen: Raubgold, Raubkunst, illegaler Waffenexport, Geschäfte mit dem Apartheidregime, unzählige Fälle von Geldwäscherei, Potentatengelder, Steuerhinterziehung, Korruption im Rohstoffhandel sowie bei internationalen Sportverbänden. Die Schweiz ist ein eigentlicher «Piratenhafen», um es in den Worten des Korruptionsexperten Mark Pieth zu sagen.

Nicht abreissende internationale Kritik

Wenn es um Geldwäscherei geht, haben in jüngster Zeit nicht (nur) die Grossbanken für Schlagzeilen gesorgt, sondern sogenannte Dienstleisterinnen für Offshore-Firmen und Trusts. Die verschiedenen Datenleaks (u.a. Panama- bzw. Paradisepapers und Luanda-Leaks) zeigen ebenso wie die von den Strafverfolgern, Medien und NGOs aufgedeckten Geldwäschereifälle, dass zunehmend komplexe rechtliche Konstrukte verwendet werden, um die illegale Herkunft von Vermögen und deren Besitzverhältnisse zu verschleiern. Nicht ohne Grund also verlangt die Groupe d’action financière (GAFI), welche die internationalen Geldwäschereibekämpfung-Standards setzt, seit 2003 von ihren Mitgliedsstaaten, dass diese auch sogenannte nicht-finanzintermediäre Dienstleistungen den Geldwäschereigesetzen unterstellen. Seit 15 Jahren kritisiert die GAFI die Schweiz für die entsprechenden Gesetzeslücken immer wieder.

Neue Leaks – neue Skandale

Auch in den Luanda-Leaks, im Januar 2020 von den Investigativjournalistinnen des ICIJ veröffentlicht, sind Schweizer Akteure prominent vertreten. Sie sollen der Elite von Angola geholfen haben, hunderte Millionen an Staatsgeldern zu veruntreuen. Einerseits über eine Luxus-Schmuckfirma in Genf, die mindestens 140 Millionen US-Dollar aus der angolanischen Staatskasse erhalten hat. Erst kürzlich hat ein angolanisches Gericht den damit zusammenhängenden Deal zwischen der staatlichen Diamantenfirma SODIAM und der Familie der Potentaten-Tochter und Milliardärin Isabel Dos Santos als betrügerisch und schädlich für die angolanische Bevölkerung qualifiziert. Und andererseits mit Hilfe eines ehemaligen CVP-Lokalpolitikers und Anwalt in Zug, der eine wertvolle Holding betreut, die mehrheitlich durch ein angolanisches Staatsunternehmen finanziert wurde, das auf mehrere hundert Millionen möglichen Gewinn für Angola verzichtet hat.

Zum Glück sind nicht alle Sitzgesellschaften und Trusts an und für sich illegal und helfen nicht alle Anwälte und Notarinnen illegitime Finanzflüsse zu verschleiern. Das Missbrauchspotential ist aber enorm und je grösser die Anzahl solcher Rechtskonstrukte, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich darunter ein faules Ei befindet.

Ein Haus mit 328 Briefkästen

Im April 2020 hat die Luzerner Zeitung eine Datenrecherche zu den Briefkastenfirmen des Kantons Zug veröffentlicht: Demnach kamen für das Jahr 2018 auf rund 127’000 gemeldete Personen 33‘000 Firmen, also auf jede vierte Einwohnerin bzw. jeden vierten Einwohner eine Firma. Für die Stadt Zug gerechnet hätte jede zweite dort wohnende Person eine eigene Firma. Rund die Hälfte der kan-tonalen 33’000 Firmen sind gemäss dem Bundesamt für Statistik Betriebe mit Angestellten; rund 15’000 gelten jedoch nicht als Betriebe. Gemäss den Journalistinnen sind an 49 Adressen im Kanton Zug 100 oder mehr Firmen zu Hause; mit Spitzenreitern, an denen 328 bzw. 277 Gesellschaften eingetragen sind.

© Luzerner Zeitung

Bei den auffälligen Adressen handelt es sich häufig um solche «von Treuhändern und Anwälten – also jenen Berufsgattungen, die hauptverantwortlich sind für die Ansiedlung von Briefkastenfirmen».

Genf: Drehscheibe für die Verwaltung von Strohfirmen

Im Juni 2020 publizierte Daniel Haberly von der Universität Sussex seine Analyse zu knapp 300 nicht operativen Firmenkonstrukten (englisch: shell companies) aus den Panama- und Paradise Papers, die in Zusammenhang mit 140 politisch exponierten Personen (PEP) aus über 50 Ländern stehen.

© Daniel Haberly

Bei diesen Firmen muss unterschieden werden zwischen dem Staat, in dem das Unternehmen rechtlich gegründet wird und demjenigen, in dem es seine Adresse registriert und/oder in dem es verwaltet wird. Während fast die Hälfte der PEP-shell companies auf den Britischen Jungferninseln (BVI) inkorporiert wurden, stechen bei deren Verwaltung mit London und Genf zwei Zentren heraus. Insgesamt sollen 17% der analysierten PEP-shell companies von Intermediären in der Schweiz verwaltet werden bzw. worden sein.

Bundesexperten stufen Risiko als hoch ein

Die vom Bundesrat eingesetzte interdepartementale Koordinationsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung (KGGT) hat 2015 in einem Bericht festgehalten:

«Rechtsanwälte und Notare in der Schweiz sind in erster Linie einem Geldwäschereirisiko durch eine Klientel ausgesetzt, die aus ausländischen PEP besteht oder in Verbindung steht. In diesen Fällen sind die betreffenden Gelder betragsmässig ungefähr drei Mal höher als im Bankensektor.»

Der Handlungsbedarf ist also erkannt: Anwältinnen sind eine weitere Berufsgruppe mit sehr hohem Geldwäschereirisiko und müssten entsprechend kontrolliert werden.

Anwaltslobby schützt mit bürgerlicher Mehrheit ihre Pfründe

Auf Antrag der Mehrheit seiner Rechtskommission hat der Nationalrat am 2. März 2020 jedoch beschlossen, auf die bundesrätliche Vorlage nicht einzutreten. Das Mehrheitsverhältnis in der Rechtskommission fiel mit 13:12 sehr knapp aus, wobei zehn Kommissionsmitglieder, die für Nichteintreten stimmten, Juristinnen und Juristen sind und sieben davon als Anwältinnen oder Anwälte praktizieren. Die Eintretensdebatte im Nationalrat war denn auch vom Lobbying der Anwaltschaft geprägt: Die bürgerliche Mehrheit möchte keine neuen Regeln für Anwältinnen sowie andere Berater.

Es ist absehbar, dass in der anstehenden Sitzung der Rechtskommission des Ständerats die Gesetzesvorlage einschneidend geändert und die neuen Pflichten für Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Gründung, Führung oder Verwaltung von Gesellschaften (Firmenkonstrukte) oder Trusts komplett gestrichen werden. Ganz nach dem Prinzip: Nur so viele Empfehlungen der GAFI umsetzen, wie unbedingt nötig, um die internationalen Geldwäschereiexperten vorerst zu besänftigen – und keine mehr.

Erinnerung an das Bankgeheimnis

Die aktuelle Situation mahnt an den Streit um das Bankgeheimnis, als die Schweiz versuchte, möglichst lange den Kopf im Sand zu verstecken – bis der internationale Druck den Sand weggefegt hat und die Schweiz rasch handeln musste. Die Schweiz täte gut daran, die Beratungstätigkeiten für Gesellschaften und Trusts dem Geldwäschereigesetz zu unterstellen. In vermeintlich sicheren Gewässern auf weitere Skandale zu warten die den internationalen Druck auf die Schweiz ansteigen lassen, schadet einmal mehr dem Ruf der Schweiz.

«Das Misstrauen ist die erste Pflicht jedes Gesetzgebers. Gesetze sind ja nicht gemacht gegen die Guten, sondern gegen die Schlechten, und je mehr Schlechtigkeit ein Gesetz bei seinem Adressaten voraussetzt, um so besser ist es selbst.»
Gustav Radbruch

David Mühlemann spezialisierte sich auf Wirtschaftsstrafrecht, insbesondere auf die Unternehmensstrafbarkeit und Korruptionsbekämpfung. Er betreut seit Februar 2019 bei Public Eye verschiedene Dossiers im Bereich Finanzmarkt und Rohstoffhandel.

Kontakt: david.muehlemann@publiceye.ch

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