Superheld*innen des Spätkapitalismus
Oliver Classen, 20. April 2021
Rohstoffhandel und Journalismus teilen einen für beide Geschäftsmodelle zentralen Erfolgsfaktor. Dieser lautet «access is king» und bedeutet: Je direkter der Zugang zu zentralen Akteur*innen, desto lukrativer der Deal, desto spannender die Story. Diese Gemeinsamkeit kennt und nutzt niemand besser als Javier Blas. Als ich ihn vor bald zehn Jahren kennenlernte, war er «Commodities Editor» der Financial Times und damit DER Medienexperte für einen damals schon sehr mächtigen, aber noch unter dem Radar von Politik und breitem Publikum fliegenden Wirtschaftssektor. Er kannte unser 2011 erschienenes Rohstoffbuch und organisierte für seinen Verlag eben einen Branchengipfel in Lausanne, wo die Chefs von Trafigura, Vitol, Gunvor et al. erstmals öffentlich auftraten.
Genau dieses (häufig in der Schweiz domizilierte) Personal bevölkert nun auch das mit Kollege Jack Farchy verfasste Buch, für das die beiden heute für die Nachrichtenagentur Bloomberg tätigen Reporter jahrelang recherchiert und unzählige Gespräche geführt haben – vor allem mit eben diesen Firmenbossen.
Dabei herausgekommen ist eine so lehrreiche wie unterhaltsame Mischung aus Branchenanalyse, Wirtschaftsgeschichte und Thriller.
Das erste Kapitel ist «The Last Swashbucklers» überschrieben, was in etwa «Die letzten Abenteurer» bedeutet und den Ton dieser bislang nur auf Englisch vorliegenden Globalisierungshymne setzt. Geschildert wird darin, wie Vitol-Chef Ian Taylor mitten im Bürgerkriegsgetümmel von Bengazi 2011 einen Deal mit libyschen Rebellen abschliesst, die ihren Kampf gegen Gaddaffis Truppen mit dem Öl finanzieren. Taylor bietet dafür Hand, verdient sich dabei eine goldene Nase und beeinflusst so das unrühmliche Ende dessen, was als «Arabischer Frühling» in die Geschichtsbücher eingegangen ist.
Mit dieser und weiteren Episoden, zum Beispiel aus dem irakischen Kurdistan oder Kuba, illustrieren Blas und Farchy den geopolitischen Einfluss der grossen Handelskonzerne. Zugleich betreiben sie aber auch Personenkult um die Gründungsfiguren dieser Branche und ihr systematisch die Grenzen der Legalität ritzendes Geschäftsmodell: «They are willing to do business where other companies don’t dare set foot, thriving through a mixture of ruthlessness and personal charm.»
Sympathie für Supernasen mit Profitinstinkt
Phasenweise stilisieren Blas und Farchy stilprägende Trader wie den Glencore-Paten Marc Rich zu Superhelden, die mit cleverer Tarnkappe und übermenschlichem Profitinstinkt die kapitalistischen Marktmechanismen nicht nur meisterlich ausnutzten, sondern immer weiter perfektionierten. Und deshalb, noch vor den Investmentbanker*innen, die eigentlichen «Masters of the Universe» waren. Diese Sicht ist wohl inspiriert durch die vielen Interviews mit Insider*innen (aus denen die Autoren allerdings nur sehr selektiv zitieren durften), darunter Dutzende hochrangige Manager (und nur eine Managerin) von Trafigura, Vitol, Gunvor & Co. Die Sympathie für ihre Protagonist*innen kontrastiert zum Glück aber scharf mit der stupenden Sachkenntnis der beiden Reporter, die sich zugleich durch hunderte Geschäftsberichte, Handelsregister und Gerichtsakten gegraben haben.
Dieser Quellen-Kombination verdanken sich Kapitel wie jenes zur Frage, wieso das jamaikanische (!) Bob-Team bei der Winterolympiade 1988 von einer damals völlig unbekannten Firma namens Marc Rich & Co gesponsort wurde. Die Antwort ist, wie immer in diesem Business, äusserst verschlungen. Sie führt via eine leere Staatskasse über Kredite für eine Öl-Raffinerie bis zu geheimnisvollen Aluminium-Deals. Im Kinofilm «Cool Runnings» wurde dieser Legende aus dem Kalten Krieg sogar ein Denkmal gesetzt.
Politische Probleme sucht man auf den 400 Seiten hingegen vergeblich.
Etwa den Rohstofffluch, unter dem viele der Länder im globalen Süden leiden, aus denen jene Ressourcen stammen, welche die Riesenprofite der Trading-Riesen überhaupt erst ermöglichen. Dabei müsste der Buchtitel «The World for Sale» ja eigentlich mit «Ausverkauf der Welt» übersetzt werden. Unsere «Dirty-Diesel»-Recherche schaffte es trotzdem ins Afrika-Kapitel. Was auch ausführlich zur Sprache kommt, sind die Deals mit Alleinherrschenden, welche die Superheld*innen des Spätkapitalismus rund um den Globus ausheckten. Immer getreu der Devise: je übler die Zustände im Land, desto üppiger die Gewinne.
Im Buch kommen aber auch (selbst)kritische Töne vor. Im Kontext der jüngsten Korruptionsskandale und der Genfer Verurteilung seiner Firma gibt Gunvor-Gründer Torbjörn Törnquist etwa zu Protokoll, seine Branche habe «noch viele Leichen im Keller», die meisten davon würden aber «nie ans Tageslicht kommen». Anfang April, keine fünf Wochen nach Veröffentlichung dieses Zitats, hatte er aber schon das nächste offizielle Schuldeingeständnis eines Ex-Mitarbeiters am Hals, diesmal aus den auch für Rohstoffhändler besonders heiklen USA. Man darf also gespannt sein auf den Realitätscheck der vielen anderen Analysen und Vorhersagen dieses neuen Standardwerks. Wir bleiben dran.
«Als Sprachrohr, Spin Doktor und Schreiberling weiss ich: Die Wahrheit ist ein Näherungswert, keine Ansichtssache. Guter Journalismus weiss und zeigt das.»
Oliver Classen ist seit über zehn Jahren Mediensprecher von Public Eye. Zudem schrieb er am Rohstoff-Buch mit und koordinierte mehrere Jahre die Public Eye Awards (2000-2015) in Davos. Vorher arbeitete er für verschiedene Zeitungen, darunter die Handelszeitung und der Tagesanzeiger.
Kontakt: oliver.classen@publiceye.ch
Twitter: @Oliver_Classen
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