Syngentas Gift gegen NGO-Schädlinge
Géraldine Viret, 6. April 2021
Es ist ein Krampf, für eine NGO wie Public Eye zu arbeiten: Wohin man auch schaut, überall gibt es Skandale aufzudecken, Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, Systemwechsel anzustossen. Jeder Kampf kann sich über Jahrzehnte hinziehen. Die ständige Aufregung droht einen unter die Erde zu bringen, bevor das Problem (tatsächlich) gelöst ist.
Paraquat ist das perfekte Beispiel: Bereits vor zwanzig Jahren haben unsere Vorgänger*innen bei der Erklärung von Bern – wie viele andere – dafür gekämpft, dass Syngenta den Verkauf dieses hochgiftigen Herbizids einstellt, von dem bereits ein Schluck tödlich ist. Vergeblich! Der Basler Konzern und seine Vorgängerfirmen waren uns stets einen Schritt voraus: Trotz zehntausenden tödlichen Vergiftungen taten sie alles, um Paraquat im Markt zu halten. Obwohl sie seit Jahrzehnten wussten, dass die Paraquat aus Sicherheitsgründen beigefügte Brechmitteldosis die Todesfälle nicht verhindern kann. Das zeigen die von Public Eye und der britischen NGO Unearthed exklusiv analysierten Paraquat Papers.
Ein Blick in die internen Dokumente sowie die Aussagen eines ehemaligen Syngenta-Toxikologen, der zum Whistleblower wurde, offenbart eine regelrechte Anleitung zur Verantwortungslosigkeit. Die Wissenschaft wird so zurechtgebogen, dass sie den kommerziellen Unternehmenszielen entspricht, und es wird (de facto oder durch Unterlassung) gelogen, was das Zeug hält. Höchstes Gut ist das, was in den Bilanzen mehr Wert hat als Menschenleben: der Profit. Weniger gefährliche (aber vom Konzern als zu kostspielig erachtete) Paraquat-Produkte sollten nur im äussersten Notfall – also bei einer Gefährdung der schwarzen Zahlen – weltweit zum Einsatz kommen.
Die Zigarettenkonzerne haben die Messlatte in Sachen systematischer Vernebelung hoch gesetzt. Doch die Agrochemie-Giganten machen ihnen durch die bereitwillige Verbreitung alternativer Fakten Konkurrenz. Sie haben den entscheidenden Vorteil, dass sie unter dem Vorwand, «die Welt zu ernähren» (statt sie bloss im Rauch zu ersticken) agieren können. Doch letztlich verbindet Philip Morris, Monsanto, Syngenta & Co. ein grosses gemeinsames Interesse: Spielregeln, welche die Staaten ihnen auferlegen (wollen), zu umgehen (oder ganz zu verhindern).
Die NGO-Strategie: divide et impera
NGOs gehören zu den grössten Störenfrieden in diesem Kampf, wie Syngenta in einem Strategiepapier von 2003 schreibt. Der neuralgische Punkt? Das «durch NGOs vertretene und verbreitete» negative «Image von Paraquat», das eine «sehr ernsthafte Bedrohung für Syngentas Geschäftsziele» mit dem Herbizid darstelle. Während die Zulassungen von Paraquat fragil seien und erhebliche «proaktive Wartungsarbeiten» bei den nationalen Regulierungsbehörden erforderten, würde zunehmend auch die «Verkaufsfreiheit» zum Problem. Paraquat lande aufgrund seines «Images», den «Gefahren» und «wahrgenommenen Risiken» auf den schwarzen Listen der NGOs, so Syngenta. Oder: Vielmehr als die Toxizität von Paraquat werden für den Konzern die giftelnden NGOs zum Problem, die seinem guten Geschäft einen Strich durch die Rechnung machen könnten.
Diese lästigen NGOs «konzentrierten sich in der Regel auf eine emotionale Reaktion, hervorgerufen durch die Zahl der Todesopfer, anstatt auf die Umstände, unter denen diese sich ereigneten», schreibt der Konzern. Verstehen Sie: Syngenta kann nichts dafür, wenn Tausende in einer Notlage Paraquat schlucken. Das sagte der Konzern auch auf unsere Anfrage und verglich dabei sein Herbizid mit den vielen anderen «modernen Innovationen [...], die für Suizide benutzt werden» wie Züge oder Brücken. Studien, unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation, haben gezeigt, dass Länderverbote von Paraquat die Suizidraten drastisch senken können. Dennoch ist Syngenta der Meinung, dass sich die Gesellschaft «auf die Probleme der psychischen Gesundheit konzentrieren sollte, statt der Welt nützliche Technologien vorzuenthalten». Mit anderen Worten: Sich um die Menschen kümmern ja, aber Finger weg von unserem Geschäft, bitte. Und wenn es unbedingt Verbote sein sollen, warum nicht mal bei den Zügen und Brücken ansetzen?!
Um dieser misslichen Lage entgegenzuwirken – dem wachsenden Druck der NGOs vielmehr als den tödlichen Vergiftungen – formulierte Syngenta im Jahr 2003 eine entsprechende zweigleisige Strategie:
- Einerseits wollte der Konzern zur Imagepflege «selektiv» einen proaktiven und direkten Ansatz im Dialog mit «gewissen NGOs» verfolgen, mit denen er eine «gemeinsame Basis im Bereich nachhaltige Landwirtschaft» sah
- Andererseits wollte er die Spreu vom Weizen trennen durch eine «reaktive und indirekte Herangehensweise» mit NGOs, die Paraquat «aus philosophischen [sic] Gründen» ablehnten.
Aber Achtung: Alles ist eine Frage des Timings, so der damalige Öffentlichkeitsbeauftragte, dessen Unterschrift das rare Dokument ziert. Die Europäische Union befände sich gerade in einer «kritischen» Phase in der Neubeurteilung von Paraquat, und es sei daher unerlässlich, «eine umfassendere und anhaltende Diskussion» über die Gefahren des Herbizids zu vermeiden, schrieb er. Sinnvoller sei es, eine «optimale» Gelegenheit abzuwarten, um sich mit einigen handverlesenen NGOs anzufreunden – wie zum Beispiel die Einführung der vielversprechenden «Prometheus-Technologie» (über die wir in unserer Recherche berichten), die das Image von Paraquat und des Konzerns verbessern soll.
Wenig später führt Syngenta dieses «sicherere» Paraquat-Produkt tatsächlich ein, nimmt es anschliessend jedoch schnell wieder vom Markt. Denn es hat seine wichtigsten Ziele verfehlt: Paraquat in wichtigen Märkten vor einem Verbot zu bewahren (es ist immer noch zu giftig) sowie Syngenta einen Vorteil über seine Konkurrenten zu verschaffen, indem das Produkt weltweit «zum neuen Mindeststandard für Paraquat» würde. (Nein, es ging dem Konzern nicht wirklich um die Produktesicherheit). Wo immer möglich hält Syngenta seither an seiner alten Paraquat-Rezeptur fest und verfolgt auch gegenüber NGOs allerlei mehr oder weniger ausgeklügelte Strategien, um sein Image rein zu waschen oder grün zu färben. Vielmehr als eine Frage des Timings scheint vieles eine Frage der Prioritäten zu sein.
Traumjob im Dienst der Welternährung?
Zufällig fällt unsere investigative Recherche, über die mehrere grosse internationale Medien berichteten, mit der Ausschreibung einer wichtigen Stelle bei Syngenta zusammen: «CP Communications Manager – R&D», zu Deutsch «eine*n Kommunikationsverantwortliche*n für Pflanzenschutzmittel – Forschung und Entwicklung» - diejenige unverzichtbare Person also, die uns vergessen lassen soll, dass sein Kultprodukt – nicht weniger alt und destruktiv als Schlaghosen und Discomusik – weiterhin Menschen tötet, obwohl es durch sicherere Alternativen ersetzt werden könnte.
Diese Person werde «eine wichtige Rolle bei der sicheren Ernährung der Weltbevölkerung und dem Schutz unseres Planeten» spielen, verspricht Syngenta im Stelleninserat. Ausserdem helfe sie mit, «die Zukunft der Landwirtschaft zu gestalten». Ein Rat an die potenziellen neuen Mitarbeitenden: Wenn Ihre Mission in Zukunft darin besteht, «die leidenschaftliche Geschichte der wissenschaftlichen Leistungen [von Syngenta] und ihren Beitrag zur nachhaltigen Landwirtschaft zu kommunizieren», vergessen Sie nicht: Wenn die Geschichte mit dem Tod Zehntausender Menschen zusammenhängt, sollte sie nicht in erster Linie «leidenschaftlich», sondern vor allen Dingen wahrhaftig erzählt werden.
«Mit zartem Herzen, aber spitzer Feder setze ich mir gerne eine Clownsnase auf und mime Hochstapler, um sie zu entlarven.»
Géraldine Viret, spezialisiert auf vergleichende Literaturwissenschaft und Unternehmenskommunikation, arbeitet seit fast zehn Jahren als Medienverantwortliche und Redakteurin für Public Eye. Viel Geduld und ein gewisses Mass an Ironie sind unabdingbar, um sich auch bei starkem Gegenwind für eine gerechtere Welt einzusetzen.
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