Wen interessiert schon, von wem National- und Ständeräte finanziell abhängig sind?

Sonnenlicht blendet im Bundeshaus bekanntlich besonders stark. Ende Mai 2024 wurde ein weiterer Vorstoss abgelehnt, um mehr Licht ins Dunkel der finanziellen Verstrickungen von Bundespolitiker*-
innen zu bringen. Die absurde Begründung: Die Wähler*innenschaft wolle das gar nicht wissen.

Die ehemalige Grünen-Ständerätin Lisa Mazzone hat 2022 einen Vorstoss eingereicht, der fordert, dass Einkünfte aus Nebentätigkeiten von Parlamentarier*innen in Spannbreiten deklariert werden. Heute müssen Nebenämter zwar aufgelistet und dazu deklariert werden, ob diese bezahlt sind oder nicht. Es ist aber nicht bekannt, ob ein*e Bundespolitiker*in für ein Mandat 500 CHF oder 50'000 CHF erhält. Die neuen Transparenzregeln in der Politikfinanzierung, die bei den Nationalratswahlen 2023 erstmals angewendet wurden, umfassen nur die Parteifinanzierung, d.h. nur die Beträge, die Parlamentarier*innen via Mandate an ihre Partei abgeben. Was sie insgesamt aus Nebenämtern einkassieren, wäre erst mit dem Vorstoss Mazzone bekannt geworden. 

Nach den Wahlen alles anders 

Vor den nationalen Wahlen im Herbst 2023 wurde die Parlamentarische Initiative Mazzone von der staatspolitischen Kommission im Ständerat angenommen. Im Januar 2024 lehnte ihn die Schwesterkommission im Nationalrat dann ab, woraufhin auch die ständerätliche Kommission in neuer Zusammensetzung umschwenkte. In ihrer Medienmitteilung liess die Kommission im April 2024 verlauten, es sei nicht davon auszugehen, «dass die Wählerschaft an solch detaillierten Informationen interessiert ist.»

Der Vorstoss Mazzone wurde am 28. Mai 2024 schliesslich im Ständeratsplenum mit 22 zu 18 Stimmen abgelehnt und damit definitiv beerdigt. Interessant dabei: Von den 16 Frauen im Ständerat wollten 10 mehr Transparenz, von den 30 Männern waren gerade mal 8 gleicher Meinung. Mitte-Politikerin Heidi Z`graggen sagte dazu: «Es gibt einen Zusammenhang mit der Parteizugehörigkeit», aber auch «insbesondere Frauen und Jüngere sind eher bereit, ihr Einkommen aus den Nebentätigkeiten offenzulegen.» Auch die Recherche von Lobbywatch bestätigt dies: insgesamt 73 Prozent der Parlamentarierinnen aber nur 49 Prozent der Parlamentarier deklarierten auf Anfrage ihre Einkünfte. Fest steht zudem: Die Frauen im Ständerat halten zusammen gemäss Liste mit den Interessensbindungen (Stand 2.4.2024) 44 bezahlte Mandate, die Männer zusammen über 174. Kein Wunder, macht Transparenz besonders den Herren Ständeräten Bauchweh. 

Nun, nicht jedes Detail interessiert, das stimmt. Daniel Jositsch etwa meinte in der Ratsdebatte: «Ich muss nicht alles - gewissermassen bis zu meinen Unterhosen - zeigen, nur weil ich Mitglied dieses Parlaments bin.» Aber: Welche finanziellen Abhängigkeiten es gibt und wieviel Herr Jositsch aus seinen zwölf bezahlten Mandaten verdient, ist sehr wohl relevant für die Öffentlichkeit. SP-Ständerat Daniel Jositsch verfügt im Vergleich zu seinen Parteikolleg*innen über eine ausserordentlich grosse Zahl von Mandaten und ist der einzige Ratslinke im Ständerat, der gegen mehr Transparenz gestimmt hat.

Einflussreich, Einflussreicher, Corporate Capture 

Gewählte Bundespolitiker*innen erhalten in vielen Fällen ihre Nebenämter direkt im Zusammenhang mit ihren Aufgaben im Bundeshaus. Parlamentarier*innen behaupten immer wieder, die bezahlten Interessensbindungen würden ihre Voten nicht beeinflussen. Doch: Würde das stimmen, sollte doch auch die Offenlegung der Verdienste kein Problem sein. Finanzielle Unabhängigkeit ist ein zentraler Grundpfeiler für sachpolitische und gemeinwohlorientierte Entscheide im Parlament. Finanzielle Abhängigkeit von Politiker*innen hingegen wird in vielen Ländern als «Korruption» bezeichnet. Nicht so in der Schweiz. Und nicht nur bezüglich Transparenz im Parlament, sondern generell, was Regulierungen zur Verhinderung von politischer Einflussnahme durch finanzkräftige Akteure, darunter multinationale Konzerne, betrifft, hinkt die Schweiz hinterher. 

Corporate Capture nennt sich das Phänomen, das den erfolgreichen Versuch von wirtschaftlich mächtigen Personen, Gruppen und Organisationen beschreibt, um politische Prozesse und Strukturen massgeblich zum eigenen Vorteil und zulasten von Menschenrechten, Umwelt oder Gemeinwohl zu beeinflussen. Konzerne nutzen ein ganzes Instrumentarium an Strategien, um politischen Einfluss zu nehmen. Spezifische Mandate für gewählte Politiker*innen ist eine davon. Intransparenz über diese Einflussnahme ist eine direkte Folge der fehlenden Regulierung. Und Transparenzregulierungen fehlen, weil wirtschaftliche Akteure auf allen politischen Ebenen dank Intransparenz systematisch Einfluss nehmen können. Was es also braucht, ist mehr Licht im Bundeshaus. Und die Erkenntnis, dass dringend Massnahmen nötig sind, um den Einfluss der multinationalen Unternehmen auf die Politik einzudämmen. Mehr dazu in unserem neuen Webdossier «Corporate Capture – wenn Konzerne Politik machen».

«Geld im Zusammenhang mit einem öffentlichen Amt ist keine Privatsache. Zumindest nicht in einer echten Demokratie…» 

Christa Luginbühl ist Mitglied der Geschäftsleitung. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Grundrechtsfragen, Menschen-, Frauen- und Arbeitsrechte in internationalen Lieferketten sowie Konzernregulierung und handelspolitische Regulierung, insbesondere im Pharmasektor, in der Landwirtschaft und in der Konsumgüterindustrie.

Kontakt: christa.luginbuehl@publiceye.ch

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Unsere Fachleute kommentieren und analysieren, was ihnen unter den Nägeln brennt: Erstaunliches, Empörendes und manchmal auch Erfreuliches aus der Welt der globalen Grosskonzerne und der Wirtschaftspolitik. Aus dem Innern einer journalistisch arbeitenden NGO und stets mit der Rolle der Schweiz im Blick.  

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