Suisse Secrets: Die ewigen Skandale der Credit Suisse und des Schweizer Finanzplatzes
Die «Suisse Secrets» enthüllen ein knappes Jahrhundert an Skandalen bei der Credit Suisse. Gleichzeitig bietet das x-te Datenleck den Schweizer Banken die Gelegenheit, die Bühne für sich zu beanspruchen: Sie zeigen sich bestürzt, leugnen das Offensichtliche, geben der internationalen Konkurrenz die Schuld und reden alles schön. All die Fälle, die sich in den Schubladen der zweitgrössten Schweizer Bank stapeln und jahrelang dementiert wurden, sollen nun gemäss wiederholter Versprechungen plötzlich zu einer angeblich längst verstaubten «Altlast» geworden sein.
Gleichzeitig macht sich die Bankenlobby bereits daran, das Konsortium investigativer Journalist*innen zu diskreditieren: 47 internationale Medien, die sich rund um das Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) zusammengeschlossen haben, darunter «The Guardian», «Le Monde» und die «Süddeutsche Zeitung». Doch egal, wie renommiert die Blätter, wie fundiert die Vorwürfe oder wie oft die helvetischen Banken rückfällig geworden sind – Skandal um Skandal stehen auf der politischen Bühne das Gerede der Vertreter*innen des Schweizer Finanzplatzes und die Notwendigkeit einer Beschränkung der Pressefreiheit im Zentrum.
Die «Suisse Secrets», die der «Süddeutschen Zeitung» von einer anonymen Quelle übermittelt und ab dem 20. Februar 2022 veröffentlicht wurden, enthalten Daten über mehr als 18’000 Credit Suisse-Konten von 30'000 Kund*innen und juristischen Personen aus 120 Staaten. Die Bankbeziehungen reichen von den 1970er-Jahren bis ins vergangene Jahrzehnt. Zu Spitzenzeiten, also vor der Welle von Kontoschliessungen im Zuge der Einführung neuer Regulierungen im Jahr 2014, beliefen sich diese Guthaben auf über 100 Milliarden Dollar. Zum aufgedeckten Portfolio der Credit Suisse gehören unter anderem:
- Politisch exponierte Personen (PEP) wie König Abdullah II. von Jordanien und der ehemalige algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika
- Hohe Beamte, deren Vermögensquellen kaum nachvollziehbar sind, etwa der venezolanische Vizeminister für Energie unter dem damaligen Präsidenten Hugo Chávez mit seinem Schweizer Vermögen von 9,5 Millionen Franken oder der Tycoon der kasachischen Staatsunternehmen (und Schwiegersohn des ehemaligen Präsidenten Nursultan Nasarbajew) mit einem Spitzenvermögen von fast 844 Millionen Franken auf den Konten der Credit Suisse
- Rund 40 Konten von hochrangigen Geheimdienstmitgliedern aus aller Welt. Darunter die Konten der Familie von Hosni Mubaraks Spionagemeister, dank dessen Geheimpolizei sich der ehemalige ägyptische Staatschef bis zum Arabischen Frühling an der Macht gehalten hatte. Nach seinem Tod 2012 blieb eines der Konten (mit einem Kontostand von bis zu 63,8 Millionen Franken) weiterhin offen.
- Und natürlich ein bulgarischer Mafia-Clan, wegen dem die Credit Suisse und eine ihrer Beraterinnen nun vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona stehen.
Eine Folge von Skandalen
Dass Geldwäschereifälle nicht sofort aufgedeckt werden, sondern Jahre später, wenn der Schaden schon längst angerichtet ist, hat auch damit zu tun, dass die Banken – trotz ihrer Sorgfaltspflichten – ihre Geschäftsbeziehungen zu wenig überprüfen. Mark Branson, der ehemalige FINMA-Chef, hat vor fünf Jahren konstatiert, die Banken würden einen Verdacht auf Geldwäscherei viel zu oft erst aufgrund von Recherchen durch Medien und NGOs melden, anstatt laufend eigene Abklärungen zu machen.
Der Blick in die Vergangenheit zeigt erstaunliche Parallelen. Ende der 1970er-Jahre stand die Schweizerische Kreditanstalt (SKA, heute Credit Suisse) im Kreuzfeuer der Kritik. Nach etlichen Fällen wegen versteckten (Flucht-)Geldern aus Italien, bekannt als Chiasso-Skandal, unternahmen die Schweizer Banken den Versuch, sich selbst zu regulieren. Die Schweizer Bankiervereinigung veröffentlichte zusammen mit der Schweizerischen Nationalbank die erste Fassung der Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken (VSB). Die Banken verpflichteten sich namentlich, eine seriöse Identifikation ihrer Kundschaft (know your costumer, KYC) vorzunehmen und die wirtschaftlich Berechtigten und Personen hinter anonymen Sitzgesellschaften abzuklären.
Dies hinderte die Institute des Schweizer Finanzplatzes bekanntlich nicht daran, weiterhin mit fragwürdiger Klientel Geschäftsbeziehungen einzugehen.
Im schlimmsten Fall wurden Skandale heruntergespielt: Man begründete sie mit der Ungeschicktheit achtloser Angestellter, die die im weltweiten Vergleich doch so fortschrittlichen Richtlinien zur Geldwäschereibekämpfung nicht eingehalten hätten. Es brauchte aber mindestens drei weitere Skandale, bis die Politik einsah, dass ein Geldwäschereigesetz notwendig ist.
So konnte der Bundesrat 1986 nur mit Notrecht einen grösseren Reputationsschaden abwenden, als der gestürzte philippinische Diktator Marcos – der zusammen mit seiner Frau in den «Suisse Secrets»-Daten auftaucht – versuchte, sein Millionenvermögen u.a. bei der Schweizerischen Kreditanstalt abzuziehen. 17 Jahre später gab die Schweiz den Philippinen 684 Millionen Dollar zurück. Zeitgleich, also zwischen 1985 und 1988, kamen zwei weitere Affären ans Licht: zunächst die Pizza-Connection und dann die Libanon-Connection. Die Skandale um die Geldwäscherei von Drogengeldern der italienischen Mafia kosteten sogar die damalige Justizministerin und erste Bundesrätin Elisabeth Kopp ihren Posten. Für kurze Zeit wurde die Schweiz von der internationalen Gemeinschaft geächtet, mehrere ausländische Finanzaufsichtsbehörden (u.a. die USA und Australien) beschlossen, sie als «unterreguliertes «Offshore»-Zentrum auf den Index zu setzen.
Regulierung und Geschäftsmodell
In einem Tempo, das die schweizerische Politik sonst nur bei Steuerreduzierungen für Unternehmen an den Tag legt, verabschiedete das Parlament in der Folge die strafrechtliche Geldwäschereibestimmung. Kurz vor der Jahrtausendwende trat dann das Geldwäschereigesetz in Kraft. Damit übernahm die Schweiz Teile der Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF), eine internationale Organisation, die den Mindeststandard zur Geldwäschereibekämpfung festlegt und dessen Umsetzung in ihren Mitgliedsstaaten überwacht.
Dreissig Jahre später und nach den Enthüllungen der «Suisse Secrets» fordern die grössten Fraktionen im EU-Parlament, die Schweiz auf die Liste der Hochrisikoländer für Geldwäscherei zu setzen.
Der Schweizer Finanzplatz sieht darin einen verdeckten Angriff eines konkurrierenden Finanzplatzes. In ihrer Antwort an das Journalist*innen-Konsortium spricht die Credit Suisse von «einseitigen, selektiven und aus dem Kontext gerissenen Informationen», die zu «tendenziösen Interpretationen» führten. Weiter erklärt sie: «Diese Behauptungen in den Medien scheinen ein konzertierter Versuch zu sein, die Bank und den Finanzplatz Schweiz zu diskreditieren». Schliesslich habe es «nie New York Leaks, London Leaks oder Luxemburg Leaks gegeben», erklärt Edouard Cuendet, der Direktor der Lobbyorganisation des Finanzplatzes Genf, in der Tagesschau von RTS am Tag nach Veröffentlichung der «Suisse Secrets». Irrelevant, dass die vorhergehenden Datenlecks nacheinander genau diese Finanzplätze betrafen: Panama Papers, Bahamas Leaks, … Luxleaks – oder sich sogar auf Daten der US-amerikanischen Anti-Geldwäschereibehörde stützten (FinCEN Files).
Im Gerichtssaal des Bundesstrafgerichts in Bellinzona bemüht sich die Bundesanwaltschaft am 23. Februar 2022, die vielen Versäumnisse der Credit Suisse in Sachen Geldwäschereibekämpfung nachzuweisen: ihre unterbesetzte Compliance-Abteilung, die für eine Bank dieser Grösse unzureichende Risikobewertung, unwirksame Kontrollen.
«Alle Ebenen der Bank haben versagt»,
so die Staatsanwältin des Bundes. Die unangemessene Risikokultur der zweitgrössten Bank der Schweiz wird auch durch die Aussage ihrer Kundenberaterin untermauert: Sie gab bei der Anhörung zu, dass sie die Compliance-Abteilung nicht angerufen habe, weil sie Angst hatte, ihre «Karriere und den Anspruch auf Boni ernsthaft zu gefährden».
Und nachdem sie die «Verbissenheit der Bundesanwaltschaft» kritisiert hat, räumt sogar die Anwältin der CS ein, dass Schweizer Banken eine gewisse Besonderheit aufweisen: «Damals gehörte es zum traditionellen Geschäftsmodell des Private Banking, nicht besteuerte Kunden aufzunehmen. Die Politik wusste darüber Bescheid. Dies gilt es [Anm. d. Red.: bei der Beurteilung der Vorwürfe gegen die Credit Suisse] zu berücksichtigen».
Die «Männer» des Bankensektors
Bis vor zehn Jahren richtete sich die Kritik vor allem gegen die Banken, die ausländische Vermögenswerte illegaler Herkunft annahmen, aus Korruption, Geldwäscherei oder Steuerhinterziehung. Heute steht die Politik im Rampenlicht. Nachdem sich die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel 2010 bereit erklärt hatte, die Bankdaten deutscher Steuersünder*innen zu kaufen, sah sich die FDP zum Handeln veranlasst. Anstatt den Schweizer Banken Regeln aufzuzwingen, damit diese nur noch «sauberes» Geld annehmen, verlangte die FDP mit einer parlamentarischen Initiative eine Verschärfung des Bankgeheimnisses. Mit 126 zu 58 Stimmen beschloss das Parlament im Dezember 2014, dass nicht nur Bankangestellte zu strengeren Strafen verurteilt werden können, wenn sie Kontendaten weitergeben, sondern auch «Dritte», die Bankdaten von Kund*innen «weiteren Personen offenbaren». Schon fast Berühmtheit haben die Worte von Andrea Caroni (heute Ständerat AR) erlangt: «Es gehört nicht zur Aufgabe von Journalisten, geheime, intime, persönliche Daten, die gestohlen wurden, in den Medien auszubreiten und die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu verletzen; das gehört schlichtweg nicht zu ihrem Job.»
Die neue Bestimmung kam bisher noch nie zum Einsatz gegen Journalist*innen. Für die Swissleaks, die im Februar 2015 veröffentlicht wurden, kamen sie gerade zu spät. Das Datenleck bei der Genfer HSBC-Tochter enthüllte ein von der britischen Bank betriebenes internationales Steuerhinterziehungs- und Geldwäschereisystem. Welches Schweizer Medium würde es heute noch wagen, sich über Artikel 47 des Bankengesetzes hinwegzusetzen und durch die Veröffentlichung gestohlener Bankdaten zu riskieren, dass eigene Mitarbeitende zu drei Jahren Gefängnis verurteilt werden?
Für Journalist*innen hat dieser Paragraf etwas Anachronistisches und Absurdes in einem Land, das sich für die Vorreiterin der Demokratie hält. Er ist schlecht durchdacht, undifferenziert und sieht nicht einmal die von Journalist*innen hoch gehaltene Interessenabwägung vor, also die Möglichkeit zu prüfen, ob an der Enthüllung einer illegalen oder unmoralischen Tätigkeit ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Für Oliver Zihlmann, den Leiter des Rechercheteams von Tamedia, das sich gegen die Teilnahme an den «Suisse Secrets»-Ermittlungen entschieden hat, ist Artikel 47 «nicht nur ein Publikationsverbot, sondern auch ein Rechercheverbot». Und zwar eines mit Symbolcharakter, denn diese Einschränkung der Pressefreiheit ist im Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen verankert – und ist im Grunde nichts anderes als ein weiterer Paragraf des Bankgeheimnisses, der es den Angestellten der Branche verbietet, interne Informationen weiterzugeben.
Die Schweizer Medien, bereits gebeutelt von ungünstigen Marktbedingungen und von der Justiz bedroht, sollen sich nun also nicht mehr für die Kundschaft des Finanzplatzes interessieren. Wollen sie nicht hohe Risiken eingehen, müssen sie zukünftige Datenlecks mit Bezug zu Schweizer Banken via internationale Medien mitverfolgen.
Nach den Leaks ist vor den Leaks
Was also bleibt von den Enthüllungen der «Suisse Secrets»? Der Bankenlobby ist es gelungen, ihr Gegen-Narrativ durchzusetzen, der eigentliche Skandal seien die gestohlenen Bankkundendaten. Sie hat es geschafft, die Debatte über die dringend notwendigen Reformen im Finanzsektor abzuwürgen.
Dabei zeigt auch der Krieg in der Ukraine, wie nötig diese wären. Einen Tag nach Ankündigung der Schweizer Sanktionen gegen Russland enthüllte die Financial Times, dass die Credit Suisse ihre Anleger*innen aufgefordert hatte, Dokumente über die Verbriefung von sehr ungewöhnlichen Yacht- und Privatjetkrediten an gewisse russische Oligarchen zu vernichten, die das Ziel von Sanktionen sind. Die Credit Suisse agiert also wieder mal im Panikmodus.
Klar ist: Trotz etlicher Reformen der Finanzmarktregulierung bestehen weiterhin entscheidende Lücken, um Geldwäscherei und andere kriminelle Machenschaften zu verhindern.
Die FINMA muss gestärkt werden, damit sie die Gesetze tatsächlich durchsetzen kann. FINMA-Präsidentin Marlene Amstad hat erklärt, sie sei «offen für neue, effektive Instrumente», um fehlbare Banker*innen büssen zu können.
Umso beklagenswerter ist die Haltung des Bundesrates, der noch eine Woche vor Publikation der «Suisse Secrets» die Annahme eines weiteren Postulates ablehnte. Dieses forderte, dass die FINMA auch Verwaltungsbussen gegen Finanzinstitute verhängen kann, was in der Geldwäschereibekämpfung engagierte Kreise seit langem verlangen. Die Schweizer Politik hat lange genug den Versprechungen des Finanzplatzes vertraut. Um diese wiederkehrenden Skandale zu verhindern, muss das Abwehrdispositiv gegen Geldwäscherei verschärft und der Schutz von Whistleblower*innen endlich gewährleistet werden.
Um dies zu erreichen, sind folgende Massnahmen dringlich:
- Stärkung der FINMA und Ausweitung der Bussenkompetenz
- Verschärfung der strafrechtlichen Mindestbussen und Sanktionen gegen Unternehmen; bis jetzt kam es lediglich zu neun Verurteilungen mit sehr geringen Bussen
- Einführung eines zentralen und öffentlichen Registers über die wirtschaftlich Berechtigten an Unternehmen
- Ausweitung des Geldwäschereigesetzes auf Beratungstätigkeiten bei Gründung und Verwaltung von Unternehmen – inklusive Einführung von Sorgfaltspflichten
- Streichung von Artikel 47 des Bankengesetzes zur Publikation von Bankdaten durch Dritte
- Ausbau des Schutzes von Whistleblower*innen
- Erhöhte Transparenz im Bereich des politischen Lobbyings – bei der Bundesverwaltung und im Parlament