Neue Behörde für Gebäudesicherheit in Bangladesch erfüllt Erwartungen nicht
Das «Abkommen für Gebäudesicherheit und Feuerschutz in Bangladesch» (Accord) wurde 2013 nach dem Zusammensturz des sechsstöckigen Gebäudes Rana Plaza ins Leben gerufen, um die Sicherheit in den Textilfabriken zu erhöhen. Der Accord stellte das weltweit erste rechtlich verbindliche Abkommen seiner Art dar. Seit 2013 führte das Büro des Accords Sicherheitsinspektionen durch, beaufsichtigte Reparaturen und schulte Arbeitnehmende im Bereich Sicherheit.
Der Accord erreichte über 1600 Textilfabriken in Bangladesch, die mehr als 200 Modemarken beliefern, und in denen 2 Millionen Arbeiterinnen Kleidung nähen.
Damit wurde die Sicherheit in der Hälfte der Textilfabriken Bangladeschs - dem 2019 drittgrössten Exportland für Textilien - massgeblich verbessert.
Der Plan war von Anfang an, dass nationale Institutionen diese Aufgaben übernehmen sollen, sobald sie die nötigen Strukturen dazu geschaffen haben. Dies geschah im Juni 2019 vorzeitig – auf Druck des Arbeitgeberverbands der Textilfabrikbesitzenden und Klagen einzelner Textilfabriken. Die Arbeit des Accord-Büros wurde von der neuen nationalen Institution namens RMG Sustainability Council (RSC) übernommen. Der Accord ist weiterhin bis Mai 2021 in Kraft, die Aufgaben und Funktionen des Accord-Büros führt jedoch seit dem 1. Juni 2020 der RSC durch.
RSC fällt hinter Standards des Accords zurück
Es war jedoch lange Zeit unklar, wie die Entscheidungsstruktur, die Finanzierung oder das Durchsetzungsvermögen der neuen Institution aussehen wird. Das sind jedoch wesentliche Faktoren dafür, ob die im Accord festgeschriebenen und rechtsverbindlichen Bestimmungen zur Gebäudesicherheit und zum Feuerschutz in den Textilfabriken tatsächlich umgesetzt werden. Sechs Monate nach Beginn der Arbeit des RSC hat die Clean Clothes Campaign untersucht, ob es dem RSC gelingt, den hohen Sicherheitsstandard des Accords tatsächlich weiterzuführen.
Die Analyse zeigt folgende Schwächen des RSC:
Weitere Informationen
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Unausgeglichene Entscheidungsstrukturen
Die Gewerkschaften sind im neuen Entscheidungsgremium mit 6 von 18 Vorstandssitzen in der Minderheit, während der Arbeitgeberverband der Textilfabriken und die Markenfirmen gemeinsam 12 Sitze haben.
Darüber hinaus hat sich der Vorstand des RSC geweigert, Akteure der Zivilgesellschaft wie die Clean Clothes Campaign, Workers Rights Consortium oder Global Labour Justice einzubeziehen. Beim Accord hatten diese Organisationen einen Beobachterstatus, um überprüfen zu können, ob die Verpflichtungen des Abkommens vollständig erfüllt werden. Im neuen Entscheidungsgremium des RSC sind sie nun ausgeschlossen und werden so in ihrer Rolle als unabhängige Beobachterinnen eingeschränkt.
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Ungenügende Transparenz
Obwohl der Arbeitgeberverband der Textilindustrie behauptet, der RSC sei sehr transparent, fehlen auf seiner Website Informationen, die beim Accord immer öffentlich waren: fabrikbezogene Sanierungspläne sowie übergreifende Berichte oder Protokolle der Vorstandssitzungen. Gerade diese Informationen sind jedoch zentral für Akteure der Zivilgesellschaft, um die Sicherheit in den Textilfabriken einschätzen zu können.
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Mangelnde Inspektionen
Neben Gebäudeeinstürzen, fehlenden Feuerschutzmassnahmen und zugänglichen Notausgängen sind Explosionen durch Heisswasser-Boiler ein grosses Sicherheitsrisiko in den Textilfabriken. Obwohl sich der RSC zu einem Boiler-Sicherheitsprogramm verpflichtet hat, gibt es noch keine Hinweise auf dessen Umsetzung. Somit sind weiterhin Hunderttausende Arbeiterinnen und Arbeiter dem unmittelbaren Risiko einer Boiler-Explosion ausgesetzt.
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Fehlende unabhängige Kontrollen
Eine der wichtigsten Verpflichtungen der Übergangsvereinbarung zwischen dem Accord und dem RSC war die Benennung eines oder einer unabhängigen Sicherheitsbeauftragten. Diese bleibt jedoch bis dato unerfüllt. Ein Sicherheitsbeauftragter mit der gleichen Unabhängigkeit, Autonomie in Bezug auf die Berichtsanforderungen sowie dem notwendigen Durchsetzungsvermögen gegenüber Fabrikbesitzenden wie dies der Accord gewährleistete und praktizierte, ist für die Qualität und Glaubwürdigkeit des Inspektionsprogramms unerlässlich.
Der RSC erfüllt bis heute weder die Sicherheitsstandards des Accords noch die Erwartungen in Bezug auf Entscheidungsstrukturen, Transparenz und Unabhängigkeit.
Welche Massnahmen könnten die Sicherheit verbessern?
Die Sicherheit der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Textilfabriken ist von zentraler Bedeutung, weshalb die Clean Clothes Campaign zusammen mit anderen Beobachterorganisationen des Accords ein Statement veröffentlicht hat (Accord Witness Signatory Assessement), das wichtige Massnahmen beschreibt, die die nationale Behörde RSC in Angriff nehmen sollte, um die Sicherheitsstandards zu verbessern.
Im Interesse der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Bangladesch ist es äusserst wichtig, dass die neue Institution RSC nach den gleich strengen Grundsätzen und Kriterien arbeitet wie das Gebäudesicherheitsabkommen. Dazu gehören:
- ein genaues und transparentes Inspektionssystem, das unabhängig von jeglichem Einfluss der Arbeitgebervertretung arbeitet;
- Schulungen für Arbeitnehmende und ein Beschwerdemechanismus, der es ihnen ermöglicht, sich für ihre eigene Sicherheit einzusetzen und ihre Interessen gegen diejenigen der Unternehmensleitung zu verteidigen, ohne Vergeltungsmassnahmen befürchten zu müssen;
- robuste und zuverlässige Durchsetzungsmechanismen, mit denen die Gewerkschaften in der Lage sind, die Vereinbarung durch ein verbindliches Schiedsverfahren durchzusetzen;
- eine starke Leitung, welche unabhängig Entscheidungen über Korrekturmassnahmen treffen und falls nötig (Folge-)Inspektionen planen kann; und
- die Umsetzung des Boiler-Sicherheitsprogramms, zu dem sich der RSC bereits verpflichtet hat.
Aktuell arbeiten Modeunternehmen und Gewerkschaften daran, die bestehenden Mängel des RSC 2021 anzugehen.
Die Unterzeichnerinnen des Accords sind sich durchaus der Stärken des Accords bewusst, weshalb sie in Erwägung ziehen, diesen nach seinem Auslaufen im Mai 2021 zu verlängern und auf weitere Länder auszuweiten. Ob dies in den kommenden Monaten tatsächlich gelingt, wird die Clean Clothes Campaign auch zukünftig beobachten.