Covid-19: der Stand der Forschung
Patrick Durisch, 30. März 2020
Bei zahlreichen der derzeit durchgeführten klinischen Studien werden bestehende Therapien «rezykliert», um herauszufinden, ob sie auch geeignet sind, um die Übertragung des Coronavirus zu verlangsamen oder den Verlauf der Krankheit zu mildern. Des Weiteren forschen rund zwanzig private und öffentlichen Einrichtungen, oft in Partnerschaften, zu möglichen Impfstoffen.
Doch klar ist: Bis ein Impfstoff verfügbar ist, wird es mehrere Monate dauern. Für die aktuelle Pandemiewelle muss daher auf antivirale oder symptomatische Behandlungen zurückgegriffen werden. Einige davon könnten. falls sie sich als wirksam erweisen, rasch auf den Markt kommen.
Die aktuelle Situation
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Wo steht die Forschung?
Weitere Informationen
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Behandlungen
- Das US-Unternehmen Gilead scheint mit seinem Remdesivir (GS-5734) derzeit die Nase vorn zu haben. Das ursprünglich zur Bekämpfung des Ebolavirus entwickelte und bisher noch nie zugelassene Virostatikum zeigte im Labor ein Potenzial, das Coronavirus zu hemmen. Fünf Bestätigungstests der Phase III sind im Gange. Bis zu Phase II wurde die Entwicklung des Medikaments hauptsächlich durch öffentliche Gelder im Rahmen von Ebola-Bekämpfungsprogrammen finanziert.
Dennoch hat Gilead mehrere Patente auf Remdesivir erhalten, vier davon in Europa, die auch in der Schweiz gültig sind. Remdesivir hatte in den USA den Status als orphan drug, also als Behandlung für eine seltene Krankheit, erhalten – obwohl es sich um eine Pandemietherapie handelt! Auf Druck der Zivilgesellschaft (darunter Public Eye) gab Gilead den Status auf. Da Remdesivir als eine der ersten Behandlungen dieser Art auf den Markt kommen dürfte, wird sein Preis wahrscheinlich hoch sein. Firmen aus China und Indien haben die Entwicklung eines Generikums von Remdesivir angekündigt. -
Auch Roche ist mit seinem ursprünglich für die Behandlung von entzündlichen Autoimmunkrankheiten vermarkteten Immunsuppressivum Tocilizumab (Actemra®) gut aufgestellt. Laut einer chinesischen Studie könnte dieser monoklonale Antikörper bei schweren, durch Covid-19 verursachten Pneumonien gegen eine Überreaktion des Immunsystems wirken. Die Behandlung ist zwar noch nicht für diese Indikation zugelassen, wird aber in China und Italien bereits verwendet, da Roche umfangreiche Spenden für sein Produkt gesprochen hat. Der Basler Konzern hat kürzlich einen klinischen Versuch der Phase III mit 330 Teilnehmenden lanciert, um die Wirksamkeit der Behandlung zu prüfen.
Zwar steht diese seit 2017 nicht mehr unter Patentschutz, derzeit existiert jedoch noch keine (bio-)generische Alternative. Eine monatliche Standarddosis Actemra (400mg/20ml) kostet in der Schweiz ungefähr 1000 Franken, in Schwellenländern zwischen 400 und 800 Dollar. Sie kann ein Jahr lang monatlich verlängert werden.
Der französische Konzern Sanofi und die amerikanische Regeneron testen nächstens ein ähnliches Medikament namens Sarilumab (Kevzara®). - Mehrere antivirale Medikamente, die ursprünglich gegen HIV/AIDS, Hepatitis C oder die Grippe eingesetzt wurden, werden ebenfalls auf Covid-19 getestet. Die Kombination Lopinavir/Ritonavir (Kaletra®) des amerikanischen Unternehmens AbbVie, die bereits während früherer Coronavirus-Epidemien (SARS, MERS) untersucht wurde, schien erst vielversprechend. Die jüngsten Ergebnisse aus Studien mit 200 schwer an Covid-19 Erkrankten im chinesischen Wuhan zeigten jedoch keine positiven Auswirkungen im Vergleich zur standardmässigen Behandlung auf der Intensivstation. Ausserdem steht die Behandlung in gewissen Ländern, wie China, unter Patentschutz und kann deshalb ziemlich teuer sein. In der Schweiz kostet sie etwa 650 Franken pro Monat. Es gibt jedoch viel billigere Generika: Sie kosten teils weniger als 20 Dollar pro Monat.
Ersten Ergebnissen aus Tests an 340 Patientinnen und Patienten in Wuhan und Shenzhen zufolge scheint das Grippemittel Favipiravir (Avigan®) der japanischen Firma Fujifilms ein vielversprechendes antivirales Mittel zu sein. Sein Patent ist im August 2019 abgelaufen, chinesische Generika existieren. In der Schweiz ist es nicht zugelassen.
- In der Presse war auch viel über Chloroquin zu lesen, ein vor über siebzig Jahren entdecktes Malariamedikament, das manchmal auch bei Autoimmunkrankheiten eingesetzt wird. Laut einer chinesischen Studie zeigte eine klinische Studie mit mehr als 100 hospitalisierten Patienten und Patientinnen vielversprechende Ergebnisse. Es laufen mehrere internationale Versuche zur Wirksamkeit und Sicherheit von Chloroquin bei der Behandlung von Covid-19, unter anderem in den USA und in Frankreich. Die Wissenschaft ist geteilter Meinung. Mangels zugelassener Arzneimittel behandeln das Universitätsspital Lausanne (CHUV) und mehrere andere Krankenhäuser in der Schweiz zwischenzeitlich manche Schwerkranke mit Chloroquin. Weltweit stellen zahlreiche Konzerne Chloroquin her, darunter Novartis (über seinen Generikahersteller Sandoz), die französische Sanofi (Plaquenil®), die deutsche Bayer (Resochin®) und die israelische Teva (die den Schweizer Generikahersteller Mepha kontrolliert).
Das Molekül ist längst patentfrei und damit preiswert: Eine Schachtel mit 30 Tabletten Plaquenil® kostet in der Schweiz nur einige Franken. Die Hersteller könnten jedoch versucht sein, von der bereits starken Nachfrage zu profitieren und den Preis zu erhöhen. Dies scheint sich in den USA abzuzeichnen, wo ein Hersteller die Verdoppelung des Preises angekündigt hat. Novartis hat beschlossen, bis Ende Mai bis zu 130 Millionen Dosen Chloroquin bereitzustellen, sobald seine Verwendung im aktuellen Kontext anerkannt ist. Andere Hersteller stellen in Aussicht, dasselbe zu tun.
- Ein weiterer wichtiger Ansatz ist die sogenannte «passive Antikörpertherapie», bei der das Serum rekonvaleszenter Covid-19-Patientinnen und -Patienten verwendet wird. Dies kann eine gute Lösung zur Prophylaxe oder Frühbehandlung sein. Diese Methode wurde schon früher angewandt, beispielsweise während der Grippepandemien von 1918 und 2009. Da jede virale Epidemie anders ist, werden zurzeit Studien durchgeführt.
Die WHO kündigte Mitte März die Lancierung eines globalen klinischen Versuchs namens «SOLIDARITY trial» an. Damit sollen – gemeinsam statt einzeln – die wichtigsten potenziellen Covid-19-Behandlungen verglichen werden, um ausfindig zu machen, welche unter welchen Umständen die effizienteste ist. Die Schweiz hat sich zusammen mit neun anderen Ländern (weitere werden wahrscheinlich folgen) bereit erklärt, an dieser begrüssenswerten Initiative teilzunehmen.
- Das US-Unternehmen Gilead scheint mit seinem Remdesivir (GS-5734) derzeit die Nase vorn zu haben. Das ursprünglich zur Bekämpfung des Ebolavirus entwickelte und bisher noch nie zugelassene Virostatikum zeigte im Labor ein Potenzial, das Coronavirus zu hemmen. Fünf Bestätigungstests der Phase III sind im Gange. Bis zu Phase II wurde die Entwicklung des Medikaments hauptsächlich durch öffentliche Gelder im Rahmen von Ebola-Bekämpfungsprogrammen finanziert.
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Impfstoffe
Rund zwanzig private Unternehmen und akademische Einrichtungen beteiligen sich am Wettlauf um einen Impfstoff. Am weitesten ist die amerikanische Firma Moderna: Sie startete in den USA am 16. März, nach einer Rekordzeit von 42 Tagen ab Identifizierung des Virus, den ersten klinischen Versuch eines potenziellen Covid-19-Impfstoffs am Menschen. Andere sind ihr auf den Fersen, befinden sich derzeit aber noch in einem präklinischen Stadium, darunter das deutsche CureVac sowie die Pharmariesen Johnson & Johnson (USA), GlaxoSmithKline (UK), Pfizer (USA) und Sanofi (Frankreich).
Die beiden grössten Geldgeber dieser Forschungsaktivitäten sind die US-Regierung und die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), eine 2017 gegründete öffentlich-private Partnerschaft mit Sitz in Norwegen. CEPI finanziert 8 Projekte, die von öffentlichen (etwa dem Institut Pasteur) oder privaten Einrichtungen durchgeführt werden. Auch das in der Schweiz ansässige Biotech-Unternehmen Alpha O-Peptides soll an einem Impfstoff arbeiten.