Wenn Rohstoffhändler erwischt werden
SchliessenAddax, der Wirtschaftsprüfer und das Loch in der Buchhaltung
Betroffene Unternehmen / Personen: Addax Petroleum Limited (Schweiz) / Yi Zhang (Direktor), Guus Klusener (Leiter Rechtsabteilung) / Paulinus I. O. (nigerianischer Anwalt)
Vorwürfe: Bestechung ausländischer Amtsträger (Art. 322septies StGB) in Zusammenhang mit Organisationsmängeln (Art.102 StGB)
Schweizer Anwält*innen: Addax Petroleum: Lionel Halpérin (Ming Halpérin Burger Inaudi, Genf) / Yi Zhang: Saverio Lembo (Bär & Karrer, Genf), Guus Klusener: Vincent Spira (Spira + Associées, Genf)
Schauplätze des Geschehens: Nigeria, Gabun, Schweiz
Schauplätze der Verfahren: Kanton Genf, USA
Verfahrensstand:
- Genf: Verfahrenseinstellung gegen Schuldanerkennung (Art. 53 StGB), 31 Millionen Franken
- USA: pendent
Wiedergutmachung: keine
Der Fall
Es ist eine ungewöhnliche Polizeiaktion, die sich am 20. März 2017 in Genf abspielt. Die Behörden haben die Durchsuchung der Geschäftsräume von Addax Petroleum angeordnet. Zwei Manager – der Direktor des Unternehmens sowie der Leiter der Rechtsabteilung – werden zum Verhör festgenommen. Sie werden drei Wochen lang vorübergehend inhaftiert, bevor sie gegen Kaution freigelassen werden. Der Grund für diese Razzia? Die Genfer Staatsanwaltschaft verdächtigt die Ölgesellschaft der Bestechung ausländischer Amtsträger in Nigeria und Gabun – zwei Ländern, in denen Addax Petroleum Öl fördert.
Anfänglicher Auslöser ist ein Rechtsstreit mit Deloitte. Seit 2005 kontrolliert der Wirtschaftsprüfer die Bücher des Unternehmens Addax Petroleum, das inzwischen in den Besitz des chinesischen Mischkonzerns Sinopec übergegangen ist. Als jedoch die Wirtschaftsprüfer das neue Management auffordern, ein Manko von 100 Millionen US-Dollar in der Buchhaltung für die Geschäftsjahre 2014 und 2015 zu erklären, zerstreut die Reaktion der Firma deren Bedenken nicht, die Kanzlei stösst an die Grenzen ihres berufsständischen Ethos. Mangels zufriedenstellender Belege und Erklärungen zu zweifelhaften Zahlungen nach Nigeria und Gabun und angesichts der Entscheidung von Addax, eine konkurrierende Kanzlei zu beauftragen, veröffentlicht Deloitte ihr Rücktrittsschreiben vom 14. Dezember 2016, in dem sie die Gründe der Vertragsbeendigung darlegt.
Das Vorgehen sorgt in der überschaubaren Szene der Genfer Ölhändler für Gesprächsstoff. Zum Medienecho gesellt sich eine Untersuchung, die der Genfer Oberstaatsanwalt Yves Bertossa innerhalb von vier Monaten durchführt. Die Zahlungen an die nigerianische Ingenieurfirma Kaztec Engineering sowie an verschiedene Anwaltskanzleien erscheinen mangels Dokumentation tatsächlich verdächtig. Zweck der Zahlungen: «Erzielung günstiger finanzieller Bedingungen für Addax hinsichtlich der Bohrrechte in Nigeria», so die Anklageschrift gegen einen der von Addax beauftragten Anwälte.
Gemäss dem vertraulichen Bericht von Deloitte, der schliesslich veröffentlicht wird, brachte das Management von Addax systematisch anderslautende Stimmen zum Schweigen und erkaufte sich das Schweigen von Führungskräften, die sich aufgrund der Zahlung von Bestechungsgeldern Sorgen machten. Für die Tageszeitung «Le Temps», die einen ausgewiesenen Kenner von Addax zitiert, handelte die Firma Kaztec Engineering als Subunternehmer in Nigeria, aber die geleisteten Zahlungen ermöglichten es vor allem, «die Beziehungen» mit der damaligen Ölministerin Diezani Alison-Madueke zu «konsolidieren». Oder Addax steuerliche Vergünstigungen in dem afrikanischen Staat zu sichern.
Die Genfer Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass sich die Fortsetzung der Ermittlungen vor Ort angesichts der Situation in den beiden westafrikanischen Gerichtsbarkeiten mühsam, wenn nicht gar unmöglich, gestalten dürfte. Deshalb entscheidet sie sich laut damaligen Verlautbarungen für eine «pragmatische» Lösung. Der Fall wird ohne Schuldanerkennung abgeschlossen, weder durch das Unternehmen noch durch seine Manager, sondern durch die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 31 Millionen Franken für «eventuelle Verfehlungen» an die Genfer Kantonskasse. Die chinesische Muttergesellschaft schliesst kurz darauf ihre Genfer Filiale, die 174 Angestellten landen auf der Strasse. Auf der Website von Addax Petroleum findet sich kein Hinweis auf den Genfer Ursprung des Unternehmens oder auf das Gerichtsverfahren, das zwei seiner Führungskräfte in Untersuchungshaft gebracht hat.
Sieben Jahre nachdem das Verfahren in Genf eingestellt worden war, rollt die US-Justiz den Fall Addax wieder auf, indem sie eine Anklageschrift gegen einen der Anwälte der Firma in Nigeria wegen Korruptionsverdachts einreicht.
Schlüsseldokumente
Le Temps: Une dose de pragmatisme pour clore l’affaire Addax (05.07.2017)
US-Justizministerium: Anklage Paulinus I. O. (10.01.2024)
Chronologie
Datum | Ereignis | Quelle |
1994 | Addax Petroleum wird in Genf von dem Geschäftsmann und Kunstsammler Jean Claude Gandur gegründet. Das Unternehmen spezialisiert sich auf die Exploration und Förderung von Rohöl in Westafrika und später in der Autonomen Region Kurdistan im Irak. | Addax Petroleum |
2009 | Der chinesische Mischkonzern Sinopec zahlt 8 Milliarden Franken, um sich das Genfer Fachwissen und die afrikanischen Netzwerke von Addax Petroleum anzueignen. Dies ist die erste grosse Auslandsübernahme eines chinesischen Ölkonzerns. Jean Claude Gandur setzt seine Aktivitäten im Rahmen der bestehenden Addax & Oryx Group (AOG) fort. Dies führt zu einer gewissen Verwechslungsgefahr mit dem verkauften Unternehmen. | Handelsregister |
19. Dezember 2013 | Das Unternehmen Addax Petroleum verlagert seinen Geschäftssitz in neue, 9’000 m2 grosse Büros in der Calvin-Stadt. Sein ehrgeiziger Direktor Zhang Yi verkündet, er wolle die Produktion bis 2015 verdreifachen und «von Genf aus» weltweit expandieren. Innerhalb von eineinhalb Jahren werden 70 Angestellte entlassen. | Le Temps |
März 2016 | Deloitte weigert sich, den Jahresabschluss von Addax Petroleum wegen eines Mankos in Höhe von 100 Millionen US-Dollar in der Buchhaltung zu testieren. Der Konzern beschliesst, den Wirtschaftsprüfer zu wechseln, was Deloitte dazu veranlasst, seinen Korruptionsverdacht öffentlich zu machen. | Le Temps |
20. März 2017 | Die Genfer Behörden durchsuchen die Büros von Addax Petroleum. Der Generaldirektor des Unternehmens, Zhang Yi, und der Leiter der Rechtsabteilung, Guus Klusener, werden festgenommen. Beide verbringen drei Wochen in Untersuchungshaft. Ein dritter leitender Angestellter wird festgenommen und wenig später wieder freigelassen. Die Anschuldigungen werden im Rahmen der gütlichen Einigung zwischen Addax Petroleum und der Genfer Justiz fallen gelassen. | Le Temps |
5. Juli 2017 | Addax Petroleum erklärt sich bereit, 31 Millionen Franken als Wiedergutmachung an den Kanton Genf zu zahlen, um ein für das Unternehmen imageschädigendes Verfahren rasch zu beenden. | Genfer Justizbehörde |
7. August 2017 | Der Konzern teilt seinen 174 Angestellten mit, dass er seine Genfer Tochtergesellschaft bis Ende des Jahres schliessen wird. In der Szene wird dies als Rache Pekings «gegenüber Genf und der Schweiz» gewertet. | Le Temps |
11. Januar 2024 | Die US-Justiz erhebt Anklage gegen einen der Anwälte, die 2015 von Addax beauftragt worden waren, den Einfluss des Unternehmens auf die Nigerian National Petroleum Corp (NNPC) geltend zu machen. Paulinus I. O. war damals Rechtsanwalt in Los Angeles, aber gleichzeitig Beamter der staatlichen Ölgesellschaft Nigerias. Das Verfahren ist pendent. | US Department of Justice |
Lücken und Schwächen der Rechtsordnung
- Interessenkonflikte bei der Prüfung von Unternehmen
- Systematische Korruption als Organisationsmangel
- Einschreiten der Justiz nur durch Konflikt mit Addax-Wirtschaftsprüfer und erste Zeitungsartikel ermöglicht
- Fehlende Kooperation der lokalen Justiz. Schwieriges Vorankommen für die Schweizer Justiz
- Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler