Wenn Rohstoffhändler erwischt werden

Schliessen

ADM und die ukrainische Mehrwertsteuer

Betroffene Unternehmen / Personen: Archer-Daniels-Midland Company (USA und Schweiz), Alfred C. Toepfer International Ukraine Ltd. (Ukraine), Alfred C. Toepfer International G.m.b.H. (Deutschland)

Vorwürfe:

  • Archer-Daniels-Midland Co.: Verletzung des Foreign Corrupt Practices Act (USA); Kontrollversagen
  • Alfred C. Toepfer International Ukraine Ltd.: Verletzung des Foreign Corrupt Practices Act (USA)
  • Alfred C. Toepfer International G.m.b.H: Verletzung des Foreign Corrupt Practices Act (USA) / Vorteilsgewährung

Schweizer Anwält*innen: keine

Schauplätze des Geschehens: Ukraine, Deutschland, USA

Schauplätze der Verfahren: USA (Department of Justice; Securities and Exchange Commission), Deutschland (Hamburger Justizbehörden)

Verfahrensstand:

  • ADM:  
    • USA (Department of Justice): Vereinbarung zur Einstellung der Strafverfolgung (Non-Prosecution Agreement, NPA)
    • USA (Securities and Exchange Commission): Einigung (Settlement): Gewinnabschöpfung und Zinsen: 36’467’366 US-Dollar
  • ACTI Ukraine:
    • USA (Department of Justice): Schuldanerkenntnis (Guilty Plea): Busse: 17,8 Millionen US-Dollar
  • ACTI Hamburg:
    • Deutschland (Hamburger Justizbehörden): Bussgeld von 900’000 Euro 

Wiedergutmachung:

  • Deutschland: Steuernachzahlungen von 6,1 Millionen Euro

Der Fall

Dass der Zweck nicht alle Mittel heiligt, zeigt der Fall des US-amerikanischen Rohstoffhändlers ADM, der seinen Europahauptsitz in Rolle VD hat, und seiner Konzernunternehmen Alfred C. Toepfer International G.m.b.H. (ACTI Hamburg) und Alfred C. Toepfer International Ukraine Ltd. (ACTI Ukraine). 

ACTI Ukraine kaufte in der Ukraine Agrarrohstoffe und organisierte den Export. ACTI Hamburg verkaufte die Ware. Wegen des Exports hatte ACTI Ukraine Anspruch auf Rückerstattung der ukrainischen Mehrwertsteuer von 20%. Dies lief aufgrund finanzieller Engpässe des ukrainischen Staates aber nur schleppend. Um nachzuhelfen, forderten ukrainische Kontaktpersonen von den Unternehmen «wohltätige Spenden».

ACTI liess daher eine Schiffsgesellschaft in Odessa oder das Londoner Unternehmen Yurol überhöhte Rechnungen an ACTI Hamburg ausstellen. ACTI Hamburg behielt jeweils einen Teil des Betrages zurück, bis die Mehrwertsteuer erstattet worden war. Der Restbetrag floss an die ukrainischen Kontakte.

Ca. im Juli 2002 informierten Vertreter von ACTI Hamburg die US-Konzernzentrale über die «Spenden». Ein ADM-Mitarbeiter holte daraufhin Erkundungen ein und erfuhr, dass das Vorgehen nicht mit den Steuergesetzen übereinstimmte. Das unschöne Wort «Bestechung» stand im Raum. Mitarbeitende waren besorgt und unternahmen – nichts. Auch als dies im Jahr 2004 nochmals aufkam, passierte – nichts.

Trotz der «grosszügigen Zuwendungen» belief sich ACTI Ukraines Mehrwertsteuerrückerstattungsanspruch aber Ende 2006 auf ca. 40 Millionen US-Dollar. Ausländische Unternehmen befanden sich laut dem Geschäftsführer von ACTI Hamburg in einer «Bieterorgie», um ihre Rückerstattung zu bekommen. ACTI Hamburg machte mit und zahlte der Schifffahrtsgesellschaft in Odessa über 8 Millionen US-Dollar zur Weiterleitung.

Die nächste Chance zur Aufklärung verpasste ADM, als seine interne europäische Finanzkontrolle Anfang 2007 über die 20%ige Rückstellung stolperte, die ACTI Ukraine gebildet hatte, um damit die Vorteilsgewährung zu finanzieren. ACTI Hamburg erklärte ADM, dass ACTI Ukraine mit dieser Reserve Abschreibungen auf die Steuerforderung finanziere. Wieder passierte nichts.

Von 2007 bis 2008 liefen die Zahlungen über eine ukrainische Versicherungsgesellschaft, die Rechnungen für nicht-existente Ernteversicherungen ausstellte, also Versicherungen, die insbesondere bei Ernteausfällen infolge von Naturkatastrophen die Schäden ersetzen.

Dies fiel dem internen Kontrollteam von ADM Mitte 2008 auf. Diesmal leitete das Unternehmen eine Untersuchung ein, zeigte sich selbst an und kooperierte mit den Behörden in den USA und Deutschland. Trotzdem musste die ukrainische Tochter gegenüber dem US-Justizministerium (Department of Justice, DoJ) ein Schuldanerkenntnis abgeben und fast 18 Millionen US-Dollar Strafe zahlen. Die US-amerikanische Börsenaufsicht (Securities and Exchange Commission, SEC) erhielt über 36 Millionen US-Dollar Gewinnabschöpfung von ADM.

Insgesamt waren vermutlich 22 Millionen US-Dollar an ukrainische Staatsbeamte geflossen. Damit hatte das Unternehmen die Rückerstattung von 100 Millionen US-Dollar Mehrwertsteuer erreicht.

Schlüsseldokumente

Chronologie

Datum

Ereignis

Quelle

Seit 2002Archer-Daniels-Midland Company (ADM) hält eine Mehrheitsbeteiligung an Alfred C. Toepfer International (ACTI), einem Agrar- und Logistikkonzern mit Hauptsitz in Hamburg (Deutschland).ADM
Juli-August 2002Die ADM-Zentrale diskutiert die «Schenkungen», die ACTI Ukraine tätigen müsse, um die Mehrwertsteuer erstattet zu bekommen. Es bestehen Bedenken, ob das nicht illegale Bestechung sei.SEC
2004Das Thema kommt bei der Vorbereitung eines Joint Ventures mit einem Schweizer Unternehmen wieder auf.SEC
Dezember 2006ACTI Hamburg steigt in eine «Bieterorgie» ein, um über 40 Millionen US-Dollar Mehrwertsteuer erstattet zu bekommen.SEC
Januar 2007Die Finanzabteilung von ADM bemerkt die Rückstellungen bei ACTI Hamburg.SEC
Februar 2007 bis August 2008ACTI Ukraine organisiert die Vorteilsgewährung über eine ukrainische Versicherungsgesellschaft.SEC
2009Selbstanzeige der ACTI Hamburg in Hamburg.Hamburger Abendblatt
20. Dezember 2013Entscheid des US Department of Justice: ACTI Ukraine muss ein Schuldanerkenntnis abgeben und 17,8 Millionen US-Dollar Strafe zahlen.DoJ
24. Dezember 2013Entscheid der US Securities and Exchange Commission: ADM muss 36,5 Millionen US-Dollar Gewinnabschöpfung zahlen.SEC
Februar 2014Entscheid der Hamburger Justizbehörde.Hamburger Abendblatt

Lücken und Schwächen der Rechtsordnung

  • Verschleierung der Verantwortung durch Einschaltung von Vermittlern zur Zahlung von Bestechungsgeldern
  • Systematische Bestechung als Organisationsproblem
  • Versagen des gruppeninternen Kontrollsystems, vorliegend der internen Finanzkontrolle von ADM
  • Fehlende Überwachung der gruppenweiten Einhaltung rechtlicher Mindeststandards
  • Steuerauswirkungen von Bestechungszahlungen
  • Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler