Wenn Rohstoffhändler erwischt werden

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Das Labyrinth von Socfin in Kamerun

Betroffene Unternehmen / Personen: Socapalm (Kamerun), Socfin (Luxemburg), Bolloré-Gruppe (Frankreich)

Vorwürfe: Landgrabbing und andere Menschenrechtsverletzungen (Gewalt)

Schweizer Anwält*innen: keine

Schauplätze des Geschehens: Kamerun, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Schweiz

Schauplätze der Verfahren: Frankreich 

Verfahrensstand: pendent 
In Frankreich wurde gegen Socfin bereits eine Verfahrensstrafe von 142’000 Euro wegen Nichtzusammenarbeit mit der französischen Justiz verhängt

Wiedergutmachung: pendent

Der Fall

Dieser Fall zeigt die Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen und die Schwierigkeiten der lokalen Gemeinschaften auf, multinationale Unternehmen, die in ihrem Land tätig sind, zur Rechenschaft zu ziehen. In Kamerun stellt sich das Unternehmen Socapalm (Société camerounaise de palmeraies) seit Jahren gegen die Dorfbewohner*innen von Mbonjo im Westen des Landes. Nach Ansicht der Bevölkerung hindert die Ölpalmenplantage von Socapalm in der Nähe ihres Lebensraums sie am Zugang zu ihrem Land und ihren Begräbnisstätten und verschmutzt die Gewässer, die für sie lebenswichtig sind. Der französische Geschäftsmann Vincent Bolloré, der 40% der Muttergesellschaft Société Financière des Caoutchoucs (Socfin) kontrolliert, wird von der Presse und der Zivilgesellschaft beschuldigt, abweichende Stimmen mit Hilfe von Einschüchterungsverfahren zum Verstummen bringen zu wollen.

Die französische Organisation Sherpa, die sich auf die Verteidigung von Opfern von Wirtschaftsverbrechen spezialisiert hat, begleitet seit über 15 Jahren 145 dieser Dorfbewohner*innen bei ihren rechtlichen Schritten. 2010 reicht Sherpa eine Beschwerde bei drei Nationalen Kontaktpunkten (NKP) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein. Sie richtet sich einerseits gegen die Gewaltakte, die das von Socapalm beauftragte Unternehmen Africa Security und der kamerunische Staat verübten. Andererseits gegen die zahlreichen sozialen, ökologischen und Grundeigentumsprobleme, die durch die Aktivitäten des Unternehmens verursacht wurden. 2013 anerkennt der französische NKP Verstösse gegen die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Nach mehrmonatigen Vermittlungsgesprächen einigen sich der Bolloré-Konzern und Sherpa darauf, in Kamerun einen Aktionsplan zur Behebung der Missstände einzuführen. Dieser Plan bleibt jedoch folgenlos, da der Bolloré-Konzern seine Verantwortung auf seinen Partner Socfin abwälzt. Die Beschwerde wird an den belgischen NKP weitergeleitet, der den Fall 2017 ohne eine Entscheidung abschliesst.

Angesichts der Weigerung des multinationalen Konzerns, seine 2013 eingegangenen Verpflichtungen gegenüber den Anrainergemeinden und dem Personal der Socapalm-Plantagen zu erfüllen, erhebt Sherpa – unterstützt von einer Gruppe kamerunischer und internationaler NGOs, darunter Brot für alle aus der Schweiz (heute Heks) – 2019 eine Klage bei der französischen Justiz. Vincent Bolloré argumentiert, die Vereinbarung sei vertraulich und könne nicht vor Gericht vorgelegt werden. Das Argument wird in zwei Instanzen abgewiesen, nun wird der Fall erneut vor dem Gericht in Nanterre verhandelt.

Parallel dazu reichen die 145 Kameruner*innen im Jahr 2021 vor einem französischen Gericht Klage gegen Vincent Bolloré ein. Die Beschwerden der Bewohner*innen von Mbonjo werden im Dezember 2022 von der französischen Justiz teilweise anerkannt, da die Aktivitäten des Unternehmens Socapalm «geeignet sind, die Grundrechte» der Kläger*innen «zu beeinträchtigen, insbesondere ihr Recht auf eine gesunde Umwelt». Die Entscheidung in der Sache ist noch nicht gefallen.

Die Beschwerdeführer*innen sind jedoch noch nicht am Ende ihres Weges angelangt. Der Konzern Socfin weigerte sich, Dokumente über seine Verbindungen mit dem Unternehmen Socapalm vorzulegen, die den französischen Industriegiganten zu einer «Sorgfaltspflicht» in Bezug auf die Aktivitäten des kamerunischen Unternehmens verpflichten würden.

Die Struktur des Konzerns Socfin – mit Hauptsitz in Luxemburg – und die Verbindungen mit seinen verschiedenen Tochtergesellschaften, insbesondere in der Schweiz, sind in höchstem Masse komplex. Alle operativen Tätigkeiten sind in der Schweiz gebündelt. Die Gruppe besitzt drei Einheiten in Freiburg: Sogescol, Socfinco und Sodimex. Diese Unternehmen handeln mit Rohstoffen, leisten technische Hilfe auf den Plantagen oder versorgen sie mit landwirtschaftlichen Geräten. Laut Heks beeinflussen diese Schweizer Unternehmen «massgeblich das Unternehmen, das die Plantage betreibt, wobei Sogescol sogar eine faktische Kontrolle ausübt, da sie als exklusiver Handelspartner agiert».

Da der Konzern Socfin die von der französischen Justiz angeforderten Dokumente nicht vorlegte, verurteilte ihn ein Richter im September 2023 dazu, den Kläger*innen eine Verfahrensstrafe von 142’000 Euro zu zahlen. Der Rechtsstreit geht weiter.

Schlüsseldokumente

Chronologie

Datum

Ereignis

Quelle

1909Gründung der Socfin-Gruppe, deren Wurzeln auf das belgische Kolonialreich im Kongo zurückgehen. Der Konzern ist heute in der Entwicklung und Verwaltung von Ölpalmen- und Kautschukplantagen tätig. Er ist in acht Ländern in Zentral- und Westafrika sowie in zwei Ländern in Südostasien tätig. Die Bolloré-Gruppe ist Aktionärin und Gründerin von Socfin und der Gründer des Unternehmens, der Magnat Vincent Bolloré, sitzt im Verwaltungsrat. Socfin
2000Socfin kauft Socapalm. Dieses ehemalige Staatsunternehmen, das seit den 1970er-Jahren tätig ist, betreibt eine Ölpalmenplantage in Mbonjo, Kamerun. Das mittlerweile privatisierte Unternehmen startet u. a. Expansionsprojekte und steht in der Kritik wegen der miserablen Arbeitsbedingungen und des Umgangs mit der lokalen Bevölkerung, der zu Landrechtskonflikten führt. Fast die Hälfte der kamerunischen Palmölproduktion stammt von Socapalm.Socfin
7. Dezember 2010-3. Juni 2013Sherpa, die die 145 Bewohner*innen von Mbonjo begleitet, reicht bei den Nationalen Kontaktpunkten (NKP) der OECD in Frankreich, Belgien und Luxemburg eine Beschwerde über die Aktivitäten von Socapalm, der kamerunischen Tochtergesellschaft von Socfin, ein. Nach monatelangen Vermittlungsbemühungen vereinbaren der Bolloré-Konzern und Sherpa im Juni 2013 einen Aktionsplan, um die durch den Ölpalmenanbau in Mbonjo verursachten Probleme im Zusammenleben mit der Anrainerbevölkerung zu beheben.OECD Watch
Dezember 2014Der Bolloré-Konzern kündigt an, dass er den Aktionsplan nicht umsetzen lassen wird, und schiebt seine Verantwortung auf Socfin ab. Die lokalen Gemeinschaften sind mobilisiert, aber die grosse Mehrheit ihrer Forderungen bleibt unbeantwortet.The Guardian
März 2017In Frankreich wird das «Gesetz über die Sorgfaltspflicht» (Loi sur le devoir de vigilance) verabschiedet. Es sieht vor, dass Unternehmen mit mehr als 5’000 Beschäftigten in Frankreich oder 10’000 weltweit verpflichtet sind, sozialen, ökologischen und Governance-Risiken im Zusammenhang mit ihrer Geschäftstätigkeit vorzubeugen. Diese Pflicht kann sich auch auf die Risiken ihrer Tochtergesellschaften und Geschäftspartner (Lieferanten und Subunternehmer) erstrecken.Französisches Wirtschaftsministerium
27. Mai 2019Eine Koalition aus zehn kamerunischen und internationalen NGOs – darunter Brot für alle aus der Schweiz (heute Heks) – , die von der Organisation Sherpa koordiniert wird, führt einen Prozess gegen den Bolloré-Konzern. Dieser Prozess, der auf der bei der OECD eingereichten Beschwerde basiert, zielt darauf ab, die Erfüllung der 2013 eingegangenen Verpflichtungen durchzusetzen. Das Heks wird vom Gericht abgewiesen und wird in diesem Verfahren nicht als Nebenkläger auftreten.Heks (Brot für alle.)
25. März 2021Vincent Bollorés Argument, dass die Vereinbarung von 2013 vertraulich sei und nicht vor Gericht vorgelegt werden könne, wird in erster Instanz abgewiesen.Sherpa
30. November 2021 Gleichzeitig verklagen die 145 Kameruner*innen den Bolloré-Konzern vor einem französischen Gericht und tragen vor, dass die Ausbeutung durch die Socapalm den Dorfbewohner*innen den Zugang zu ihrem Land und ihren Begräbnisstätten verwehrt und die Wasserquellen verschmutzt.France 24
9. Juni 2022Das Berufungsgericht weist Vincent Bollorés Argument der Vertraulichkeit erneut zurück. Der Fall wird an das Gericht in Nanterre zurückverwiesen, wo er noch anhängig ist.Sherpa

1. Dezember 2022

 

Das Berufungsgericht in Versailles erkennt an, dass die Handlungen von Socapalm «geeignet sind, die Grundrechte» der 145 Kläger*innen, «insbesondere ihr Recht auf eine gesunde Umwelt», zu beeinträchtigen. Das Gericht fordert Socfin auf, Dokumente vorzulegen, um die Konzernverflechtungen mit Socapalm zu erläutern.Farmland Grab
29. September 2023Etappensieg für die 145 Kläger*innen in ihrem Kampf um die Anerkennung der Verantwortung von Vincent Bolloré: Das Gericht in Nanterre verhängt eine Geldstrafe von 142’000 Euro gegen Socfin, weil das Unternehmen die Dokumente über seine Aktionärsstruktur nicht vorgelegt hat. RFI
13. März 2024Die Kläger*innen mussten die Marke der luxemburgischen Holdinggesellschaft von Socfin beschlagnahmen, um das Unternehmen zu zwingen, seine Geldstrafe zu zahlen und die von der Justiz verlangten Dokumente vorzulegen. Der Anwalt der Kläger*innen gibt sich zuversichtlich, «nachweisen zu können, dass Bolloré die Kontrolle über Socfin ausübt».Farmland Grab

Lücken und Schwächen der Rechtsordnung

  • Landgrabbing in abgelegenen Gebieten, in denen die Zugangsmöglichkeiten zur lokalen Justiz begrenzt sind
  • Komplexe Unternehmensstrukturen, die den Zugang zur Justiz für betroffene Gemeinschaften erschweren
  • Nicht bindende Verfahren, wie z. B. OECD-Beschwerden, haben wenig Wirkung und bieten keine Möglichkeit, die Einhaltung der Menschenrechte durch multinationale Unternehmen rechtlich einzufordern
  • Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler