Wenn Rohstoffhändler erwischt werden

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Das Monopol von Trafigura in Angola

Betroffene Unternehmen / Personen: Trafigura Beheer BV (Niederlande und Schweiz), Michael Wainwright, Thierry P. und der ehemalige Chef von Sonangol Distribuidora (Angola)

Vorwürfe: Bestechung ausländischer Amtsträger (Art. 322septies, Abs. 1 StGB), in Zusammenhang mit Organisationsmängeln (Art. 102, Abs. 2 StGB) gegen Trafigura

Schweizer Anwält*innen: Trafigura: Jean-François Ducrest (Ducrest Heggli Avocats, Genf) und Myriam Fehr-Alaoui (Niederer Kraft Frey, Genf), Thierry P.: Daniel Tunik (Lenz & Staehelin, Genf)

Schauplätze des Geschehens: Angola, Schweiz 

Schauplätze der Verfahren: Schweiz (BA)

Verfahrensstand: Urteil des Bundesstrafgerichts in Bellinzona wird im Dezember 2024 erwartet

Wiedergutmachung: keine

Der Fall

Als in den Jahren von 2016 bis 2018 zahlreiche Medien über die Verhaftung und Verurteilung des brasilianischen Geschäftsmannes Mariano Marcondes Ferraz berichteten, dürfte die Lage in den Büros von Trafigura angespannt gewesen sein. Der als «Mister Brasilien» des Genfer Rohstoffhändlers bekannte Trader wurde verhaftet, weil er für seine Firma Decal do Brasil nicht weniger als neun korrupte Zahlungen an Beamte des staatlichen Ölkonzerns Petrobras geleistet hatte. Auch hatte er Erdölkonzessionen im Angola des Dos Santos-Clans für Trafigura erworben, wo er bis 2016 einen Managerposten bekleidete.

Als Mariano Marcondes Ferraz in Brasilien zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wird und damit im Gegenzug für seine Zusammenarbeit mit den Justizbehörden relativ mild bestraft wird, bereitet man sich am Sitz des Rohstoffhändlers auf stürmische Zeiten vor. Ende 2023 kündigt die Bundesanwaltschaft an, dass sie eine Anklageschrift gegen Trafigura und drei natürliche Personen, darunter ein ehemaliges Mitglied des Verwaltungsrats, in Zusammenhang mit dem angolanischen Erdölsektor eingereicht habe. Gegenstand der Anklage: neun Charter- und Bunkerverträge für Erdöltanker, die zwischen April 2009 und Juli 2011 abgeschlossen wurden, als das Land noch von der Familie Dos Santos regiert wurde. 

Damals besass Trafigura ein De-facto-Monopol für die Einfuhr von Erdölprodukten nach Angola, ein Markt, der auf 3,3 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt wurde. Dank Investitionsverträgen im Wert von 931 Millionen US-Dollar, die der angolanische Präsident mit Pumangol abgeschlossen hatte, konnte der Händler auch ein beachtliches Tankstellennetz aufbauten. Pumangol ist eine Tochtergesellschaft von Puma Energy, die wiederum eine Tochtergesellschaft von Trafigura war. Im Jahr 2011 verkaufte Trafigura 20% von Puma Energy an die staatliche Ölgesellschaft Sonangol.

Um sich günstige Konditionen zu sichern, hatte Trafigura an den Leiter der Sonangol-Tochtergesellschaft, die für den Vertrieb und die Vermarktung von Erdölprodukten zuständig ist, zuvor gemäss den Anschuldigungen der Bundesanwaltschaft umgerechnet fast 5 Millionen Euro bezahlen lassen. Dank dieser Bestechungsgelder soll Trafigura, weltweit die Nummer drei im Ölhandel, einen Gewinn von 143,7 Millionen US-Dollar erzielt haben.

Trafigura reagierte in einer Stellungnahme sofort auf die Ankündigung des Prozesses und erklärte, dass sie es vorgezogen hätte, eine Vereinbarung mit der Bundesanwaltschaft zu treffen, ohne den gerichtlichen Weg einzuschlagen. Das Unternehmen betonte ebenfalls, dass die «damaligen Massnahmen zur Einhaltung der Vorschriften und zur Korruptionsbekämpfung» nicht den heutigen Standards entsprochen hätten: «Diese Vorfälle spiegeln in keiner Weise das Unternehmen wider, das wir heute sind». Der Konzern hat Rückstellungen in Höhe von 127 Millionen US-Dollar gebildet, um sich für diesen Verfahrenskomplex zu wappnen.

Neben dem Novum, dass das Innenleben eines Rohstoffhändlers vor Gericht ausgebreitet wird, wird der Prozess auch die Gelegenheit bieten, die Verantwortung von Michael Wainwright für das Korruptionsschema zu untersuchen. Der passionierte Autorennfahrer, Chef des operativen Geschäfts und Vorstandsmitglied des Konzerns, wurde von Trafigura vor kurzem in den Ruhestand versetzt. Er hat erklärt, er sei bereit, sich vor Gericht zu verteidigen.

Einige Tausend Kilometer von Bellinzona entfernt, wird Mariano Marcondes Ferraz von seiner Zelle aus sicherlich mit Spannung dem Ausgang des Prozesses harren, der seinen ehemaligen Arbeitgeber verurteilen könnte. Es wird das erste Mal sein, dass ein Rohstoffhändler vor dem Bundesstrafgericht erscheint.

Schlüsseldokumente

Chronologie

Datum

Ereignis

Quelle

2009Im Angola von José Eduardo dos Santos, dem Helden der Unabhängigkeit und Präsidenten von 1979 bis 2017, ist Trafigura allgegenwärtig. Das Land fördert Rohöl, hat aber nicht die Kapazitäten, es für seine 30 Millionen Einwohner*innen zu raffinieren. Trafigura besitzt ein Monopol auf die Einfuhr von Kraftstoffen in das Land und übernimmt den Vertrieb über Pumangol, eine Tochter der Trafigura-Tochter Puma Energy.Erklärung von Bern (heute Public Eye)
April 2009 - Oktober 2011Verdacht auf Zahlung von Bestechungsgeldern an einen angolanischen Amtsträger. Die Zahlungen sollen in Form von Banküberweisungen in Höhe von fast 4 Millionen Euro in Genf und Barzahlungen in Angola in Höhe von 604’000 US-Dollar erfolgt sein.Public Eye
26. September 2017José Eduardo dos Santos übergibt die Präsidentschaft an seinen ehemaligen Verteidigungsminister João Lourenço. Dieser startet ein Antikorruptionsprogramm und geht gegen die grassierende Vetternwirtschaft vor, indem er unter anderem Isabel Dos Santos (die Tochter von José Eduardo dos Santos) als Leiterin von Sonangol entlässt.SRF
5. März 2018 und 30. Oktober 2019Die brasilianische Justiz verurteilt Mariano Marcondes Ferraz, der bis November 2016 als leitender Angestellter von Trafigura tätig war, wegen Zahlung von Bestechungsgeldern in acht Fällen an den brasilianischen Staatskonzern Petrobras zu 10 Jahren und 4 Monaten Gefängnis. Die Zahlungen betrafen sein eigenes Unternehmen, die Decal do Brasil. Seine Zusammenarbeit mit der Justiz, die ihm eine Strafminderung einbrachte, führte zur Einleitung mehrerer strafrechtlicher Ermittlungen gegen den Konzern Trafigura und einige seiner Führungskräfte.

Die Bundesanwaltschaft verurteilt ihn anderthalb Jahre später wegen der Zahlung eines neunten zusätzlichen Bestechungsgeldes im selben brasilianischen Fall.
Gotham City
15. Juli 2019Nach einer Reihe von Gerichtsverfahren gegen Mittelsmänner kündigt Trafigura an, «bis Oktober 2019» die Einschaltung seiner Geschäftsentwickler bei der Akquisition neuer Aufträge in rohstoffreichen Ländern zu beenden. Financial Times (via Swissinfo)
Juli 2020Die Bundesanwaltschaft eröffnet eine Strafuntersuchung gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Bestechung ausländischer Amtsträger (Art. 322septies StGB) und der Geldwäscherei (Art. 305bis StGB) in Zusammenhang mit der möglichen Zahlung von Bestechungsgeldern an angolanische Amtsträger.Bundesanwaltschaft
6. Dezember 2023Die Bundesanwaltschaft reicht eine Anklageschrift beim Bundesstrafgericht ein. Sie richtet sich gegen drei natürliche Personen sowie Trafigura wegen der Zahlung von Bestechungsgeldern in Höhe von 4,3 Millionen Euro und 604’000 US-Dollar in Zusammenhang mit dem angolanischen Erdölsektor. Das Verfahren ist Teil eines Komplexes von in den USA, Brasilien und der Schweiz durchgeführten Ermittlungen. Der Strafprozess wird ab dem 2. Dezember 2024 in Bellinzona stattfinden.Bundesanwaltschaft

Lücken und Schwächen der Rechtsordnung

  • Verschleierung der Verantwortung durch Einschaltung von Mittelsmännern für die Zahlung von Bestechungsgeldern
  • Systematische Korruption als Organisationsmangel betrachtet
  • Fehlende Kooperation der lokalen Justiz. Schwieriges Vorankommen für die Schweizer Justiz
  • Grosse Schwierigkeiten für Staatsanwälte, in solchen Fällen Korruption nachzuweisen, ausgenommen im Falle einer Selbstanzeige oder der Entdeckung eines schriftlichen Korruptionspakts
  • Bedeutung der Zusammenarbeit der Angeklagten mit der Justiz und der Rechtshilfe, um das über mehrere Gerichtsbarkeiten verteilte Bestechungsnetz aufzudecken
  • Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler