Wenn Rohstoffhändler erwischt werden

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Das Orangenkartell in Brasilien

Betroffene Unternehmen / Personen: Louis Dreyfus Company (Schweiz), Cutrale (Brasilien und Schweiz), Citrosuco (Brasilien), Cargill (Schweiz), Fischer (Brasilien), Bascitrus (Brasilien), Abecitrus (damaliger Branchenverband, Brasilien)

Vorwürfe: Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, kartellartige Preisabsprachen

Schweizer Anwält*innen: keine 

Schauplätze des Geschehens: Brasilien, Grossbritannien, Schweiz 

Schauplätze der Verfahren: Brasilien, Grossbritannien

Verfahrensstand: 

  • Brasilien: 301 Millionen Real (54 Millionen Franken). Weitere Verfahren zu Ausgleichszahlungen sind pendent.
  • Grossbritannien: pendent

Wiedergutmachung: pendent

Der Fall

Drei Giganten beherrschen den Weltmarkt für Orangensaft und teilen drei Viertel der Produktion unter sich auf: der Schweizer Händler Louis Dreyfus Company (LDC) und die brasilianischen Unternehmen Cutrale und Citrosuco. Gegenüber den kleinen Bäuerinnen und Bauern sowie den Pflücker*innen, die meist aus den armen Regionen im Nordosten Brasiliens stammen, übt das mächtige Orangenkartell aus der Agrarregion São Paulo starken Druck auf die Rahmenbedingungen, die Löhne sowie die Einkaufspreise aus, die das Kartell teilweise unterhalb der Produktionskosten festsetzt. 

Bereits 1999 hatte die brasilianische Kartellbehörde eine Untersuchung gegen die Orangensaftindustrie eingeleitet. Auf der Anklagebank sassen: Cutrale, Citrovita (heute Citrosuco), Coinbra Frutesp (inzwischen von LDC aufgekauft), Cargill (verkaufte 2004 sein Orangengeschäft an Cutrale und Citrosuco), Fischer (fusionierte mit Citrosuco), Bascitrus, der damalige Branchenverband Abecitrus und neun Einzelpersonen – alle beschuldigt, geheime Vereinbarungen getroffen zu haben, um die Einkaufspreise möglichst niedrig zu halten. Das Verfahren wurde 2016 beigelegt, nachdem die Unternehmen ihre Schuld eingestanden und 301 Millionen Real (54 Millionen Franken) in einen Fonds zur Entschädigung der Opfer eingezahlt hatten.

Trotz dieser Verurteilung setzen die Orangensaftgiganten weiterhin ihre eigenen Vorgaben durch. Für viele unabhängige Erzeuger «funktioniert das Kartell weiterhin»: Die meisten dieser Firmennamen sind verschwunden und der Markt hat sich um Cutrale, Citrosuco und LDC herum neu geordnet. Die drei Giganten schlossen sich 2009 in der Exportvereinigung CitrusBR zusammen. Die Vereinigung gab auf ihrer Website an, dass ihr Hauptzweck darin bestehe, «die gemeinsamen Ziele der Zitrusfruchtexportunternehmen auf nationaler und internationaler Ebene zu verteidigen», insbesondere durch «Überwachung der Handelsbelange», «Bekämpfung von Handelshemmnissen» oder «Förderung des Images des Sektors».

Der brasilianische Verband Associtrus, der sich für unabhängige Erzeuger einsetzt, schätzt, dass seit Anfang der 1990er-Jahre mehr als 20’000 landwirtschaftliche Betriebe den Anbau von Saftorangen aufgeben mussten, weil er nicht mehr rentabel war. Ihre Zahl sei von 30’000 auf heute nur noch etwa 7’000 gesunken. Im September 2019 erhebt der Verband Associtrus bei einem Londoner Gericht eine Zivilklage gegen die Zitrusmultis, um die Rechte der rund 500 von ihm vertretenen unabhängigen Erzeuger durchzusetzen. Der Dachverband fordert über 3 Milliarden Real (540 Millionen Franken) Entschädigung für den Schaden, den seine Mitglieder durch Preismanipulationen erlitten haben. Das Verfahren ist pendent.

In Brasilien müssen sich die Orangenriesen seit März 2023 zudem gegen eine Sammelklage verteidigen. Sie prangert ein mutmassliches System illegaler Preisabsprachen  an, das zwischen 1999 und 2006 galt. In der Klage behaupten die Staatsanwälte, das Kartell habe die Herbeiführung eines drastischen Verfalls der Orangenpreise bezweckt. Dies habe Landwirt*innen und Konsument*innen Verluste zugefügt und allein im Bundesstaat São Paulo rund 75 % der kleinen und mittelständischen Unternehmen aus diesem Sektor ausgeschlossen. Die Staatsanwälte fordern fast 14 Milliarden Real Schadenersatz.

Schlüsseldokumente

Chronologie

Datum

Ereignis

Quelle

1980 -1990Brasilien avanciert zum weltweit bedeutendsten Produzenten von Saftorangen. Die grossen Unternehmen kaufen Verarbeitungsbetriebe auf und verdrängen kleine Erzeuger zunehmend vom Markt. Im Bundesstaat São Paulo, wo 80 % der brasilianischen Produktion angesiedelt sind, gehen mehr als 20’000 landwirtschaftliche Betriebe mangels Rentabilität zugrunde. Heute sollen dort nur noch 7’000 Betriebe existieren.Public Eye
1999Gegen Cutrale, Citrovita (heute Citrosuco), Coinbra Frutesp (inzwischen von LDC aufgekauft), Cargill, Fischer (die mit Citrosuco fusionierte), Bascitrus, den damaligen Industrieverband Abecitrus und neun Einzelpersonen wird eine Untersuchung eingeleitet. Die brasilianische Kartellbehörde wirft ihnen vor, geheime Absprachen getroffen zu haben, um die Einkaufspreise möglichst niedrig zu halten.Public Eye
2016In Brasilien endet das Strafverfahren der Behörden nach 17 Jahren mit einer Geldbusse von 301 Millionen Real, die in einen Fonds eingezahlt werden soll. Die Orangengiganten gestehen in einem vereinfachten Verfahren ihre Schuld ein. Die betroffenen Landwirt*innen werden jedoch nicht entschädigt.Reuters
September 2019 Der Verband Associtrus, der sich für unabhängige Orangenerzeuger einsetzt, reicht bei einem Londoner Gericht eine Zivilklage wegen Kartellabsprachen ein. Sie richtet sich gegen Cutrale (die ihren Verwaltungssitz in der britischen Hauptstadt hat), Louis Dreyfus und Citrosuco . Der Dachverband fordert über 3 Milliarden Real (540 Millionen Franken) Entschädigung für den Schaden, den seine Mitglieder durch Preismanipulationen erlitten haben. Trotz diverser durch die Familie Cutrale angestrengter Rechtsmittel, die ein Urteil in Brasilien erwirken wollte, ist das Verfahren pendent.

Der Gründer von Cutrale, José Luis Cutrale (inzwischen verstorben), und sein Sohn José Luis Cutrale Junior hatten Genf zu ihrem Wohnsitz gewählt. 

England and Wales High Court

 

April 2023In Brasilien sehen sich Citrosuco, Cutrale und Louis Dreyfus mit einer Sammelklage konfrontiert, die auf 13,75 Milliarden Real (2,18 Milliarden Franken) Schadensersatz wegen eines mutmasslichen Systems illegaler Preisabsprachen zwischen 1999 und 2006 abzielt. Die brasilianische Bundesstaatsanwältin Karen Kahn erklärt, dass der Gerichtshof in São Paulo die im März eingereichten Klagen anhören wird, mehr als 20 Jahre nach den ersten Anschuldigungen.Ministério Público Federal

Lücken und Schwächen der Rechtsordnung

  • Negative Folgen der Marktkonzentration und des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung für den Wettbewerb
  • Mangelnde Transparenz über die gesamte Lieferkette, keine Lieferantenliste zur Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit von Rohstoffen und Verträgen, um die Aufrechterhaltung von redlichen Wettbewerbspraktiken zu gewährleisten etc.
  • Langwieriges Verfahren zur Erwirkung der Anerkennung der Verantwortung des Unternehmens
  • Bis heute und angesichts der Komplexität der Gerichtsverfahren wurde den Opfern keinerlei Entschädigung gezahlt
  • Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler