Wenn Rohstoffhändler erwischt werden

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Fiesta, Fiesta für Vitol in Mexiko

Betroffene Unternehmen / Personen: Vitol Inc. (USA), Vitol SA (Schweiz); Javier Aguilar (ehemaliger Trader bei Vitol Inc.); Lionel H. (Mittelsmann)

Vorwürfe: 

  • Vitol: Verletzung des Foreign Corrupt Practices Act (USA); Manipulation und Täuschung
  • Javier Aguilar: Verletzung des Foreign Corrupt Practices Act (USA), Verschwörung zur Geldwäscherei
  • Lionel H.: Verschwörung zur Geldwäscherei

Schweizer Anwält*innen: keine

Schauplätze des Geschehens: Mexiko, USA

Schauplätze der Verfahren: USA (Department of Justice, DoJ; Commodity Futures Trading Commission, CFTC; US District Court for the Eastern District of New York)

Verfahrensstand:

  • Vitol:
    • USA (Department of Justice): Vereinbarung über die aufgeschobene Strafverfolgung (Deferred Prosecution Agreement): Busse: 90 Millionen US-Dollar (betrifft mehrere Fälle und Länder, anderweitige Strafzahlungen zum Teil berücksichtigt)
    • USA (Commodity Futures Trading Commission): Einigung (Settlement): 16 Millionen US-Dollar zivilrechtliche Geldstrafe und Gewinnabschöpfung von 12,791 Millionen US-Dollar (betrifft mehrere Fälle und Länder, anderweitige Strafzahlungen zum Teil berücksichtigt)
  • Javier Aguilar:
    • USA (US District Court for the Eastern District of New York): schuldig gesprochen, ihm drohen bis zu 30 Jahre Haft. Er hat Berufung angekündigt.
  • Lionel H.:
    • USA (US District Court for the Eastern District of New York): pendent

Wiedergutmachung: keine

Der Fall

Mitarbeitende, die durch Bestechung Aufträge an Land ziehen, gehen vielleicht davon aus, dass ihr Tun den Interessen des Unternehmens diene. Wenn sie aber entdeckt werden, kämpft jede*r für sich. So ist es auch bei Vitol Inc., einer US-Tochter von Vitol, und ihrem ehemaligen Mitarbeiter Javier Aguilar, einem Öl- und Gas-Trader in Houston.

Von 2015 bis 2020 betrieb Aguilar gemäss den Angaben, die Vitol gegenüber den US-Behörden gemacht hat, ein ausgeklügeltes Bestechungssystem, um Vitol Inc. Verträge in Mexiko und Ecuador zu beschaffen.

In Mexiko ging es um Verträge mit Pemex Procurement International (PPI), einer US-Tochter des staatlichen Erdölkonzerns Petróleos Mexicanos (Pemex). Aguilar schloss Berater- und Vermittlerverträge mit Lionel H. ab, einem externen Berater in Curaçao. Dessen Briefkastenfirmen wiederum unterhielten Beraterverträge mit weiteren Scheinfirmen, über die Bestechungsgelder an zwei Mitarbeiter von PPI flossen. Weitere Zahlungen erfolgten bar, zum Teil von Mittelsmännern übergeben auf einem Parkplatz in Houston. Insgesamt erhielten die PPI-Mitarbeiter über 600'000 US-Dollar.

Die Gruppe benutzte private E-Mail-Adressen und WhatsApp, Codenamen und -wörter. Aus Bestechungsgeldern wurden «Schuhe», «Medizin», «Einladungen» oder «Kaffee». Tausend US-Dollar waren ein «Gringo». Die Empfänger freuten sich auf die «dulces para la fiesta» (Süssigkeiten für die Party). «Die Kasse sollte jetzt klingeln.» 

Im Gegenzug lieferten die PPI-Mitarbeiter interne Informationen, mit denen Vitol Inc. die Konkurrenten ausstach und Verträge über mehrere hundert Millionen US-Dollar abschloss.

Am 22. September 2020 erhob das Justizministerium der USA (Department of Justice, DoJ) dann allerdings Anklage gegen Aguilar wegen der Bestechung in Ecuador, am 3. August 2023 wegen derjenigen in Mexiko.

Schon am 3. Dezember 2020 unterzeichneten Vitol Inc. und die Schweizer Konzernmutter Vitol SA in New York eine Vereinbarung über die Aufschiebung der Strafverfolgung (Deferred Prosecution Agreement, DPA). Vitol Inc. gab Bestechung in Brasilien, Ecuador und Mexiko zu. Das Unternehmen verpflichtete sich zur Zahlung von insgesamt 90 Millionen US-Dollar an die USA und zur Verbesserung seines Compliance-Programms. Daneben zahlte Vitol insgesamt fast 29 Millionen US-Dollar an die US-amerikanische Aufsichtsbehörde für den Handel mit Futures und Optionen (Commodity Futures Trading Commission, CFTC). Ausserdem erstattete das Unternehmen 45 Millionen US-Dollar an Petrobras.

So konnte das Unternehmen ein Strafurteil vermeiden und das Verfahren schnell abschliessen.

Erst Anfang 2024 fand der Prozess gegen Aguilar in New York statt.

Der frühere Mitarbeiter von Vitol Inc. stellte sich als Bauernopfer dar. Das Mastermind sei sein damaliger Schweizer Vorgesetzter gewesen.

Das DoJ bezeichnete den Vorgesetzten tatsächlich als einen Mitverschwörer. Allerdings sagten die anderen mit dem DoJ kooperierenden Mittäter sämtlich gegen Aguilar aus.

Auch Lionel H., der Mittelsmann, gegen den in den USA seit 2022 ein Strafverfahren läuft, belastete Aguilar, musste aber zugestehen, dass dessen Vorgesetzter ein alter Freund sei und ihm Geld geliehen habe. Damit hätte H. also einen Grund gehabt, Aguilars Vorgesetzten nicht zu belasten.

Für die Jury war Aguilars Vortrag nicht relevant. Sie sprach ihn schuldig, Teil eines komplexen Systems von Bestechung und Geldwäscherei gewesen zu sein. Aguilar hat angekündigt, dass er gegen den Entscheid vorgehen werde.

Es bleibt spannend.

Schlüsseldokumente

Chronologie

Datum

Ereignis

Quelle

2015 – 2020Vitol Inc., eine US-Tochter der Vitol-Gruppe, besticht Mitarbeiter von Pemex Procurement International (PPI), einer US-Tochter des staatlichen Erdölkonzerns Petróleos Mexicanos (Pemex), um so an Aufträge im mexikanischen Markt zu kommen. DPA; CFTC
10. Juli 2020Strafrechtliche Beschwerde gegen Javier Aguilar, ehemals Trader bei Vitol Inc., in den USA beim US-Bezirksgericht für den östlichen Bezirk von New York (U.S. District Court for the Eastern District of New York) eingereicht. Er soll das Bestechungssystem aufgesetzt haben.DoJ
22. September 2020Anklageerhebung in den USA (Eastern District of New York) gegen Javier Aguilar wegen Bestechung in Ecuador.DoJ
3. Dezember 2020Vitol Inc., Vitol SA (Schweiz) und das Justizministerium der USA (Department of Justice, DoJ) einigen sich. Vitol Inc. gibt Bestechung in Brasilien, Ecuador und Mexiko zu. Das Unternehmen verpflichtet sich zur Zahlung von insgesamt 90 Millionen US-Dollar an die USA und zur Verbesserung seines Compliance-Programms. Dafür schiebt das DoJ die Strafverfolgung im Rahmen eines Deferred Prosecution Agreements (DPA) auf.DoJ; DPA
3. Dezember 2020Die US-amerikanische Aufsichtsbehörde für den Handel mit Futures und Optionen (Commodity Futures Trading Commission, CFTC) verpflichtet Vitol Inc. zur Zahlung einer zivilen Busse von 16 Millionen US-Dollar und einer Gewinnabschöpfung von fast 13 Millionen US-Dollar.CFTC
16. März 2022Die USA eröffnen ein Strafverfahren gegen Lionel H.Stanford Law School
3. August 2023Zweite Anklageerhebung in den USA (Southern District of Texas, Houston Division) gegen Javier Aguilar, diesmal für die Bestechung von PPI-Mitarbeitern.DoJ
5. Januar 2024Kombinierte Anklageerhebung in den USA (Eastern District of New York) gegen Javier Aguilar mit Vorwürfen betreffend Ecuador und Mexiko.DoJ
23. Februar 2024Javier Aguilar wird in New York wegen systematischer Bestechung schuldig gesprochen. Er will gegen den Entscheid vorgehen.DoJ
7. Juni 2024Vitol hat die Bedingungen des DPA erfüllt. Damit ist die Angelegenheit für das Unternehmen erledigt.Vitol

Lücken und Schwächen der Rechtsordnung

  • Verschleierung der Verantwortung durch Einschaltung von Vermittlern zur Zahlung von Bestechungsgeldern
  • Systematische Bestechung als Organisationsproblem
  • Fehlende Überwachung der gruppenweiten Einhaltung rechtlicher Mindeststandards
  • Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler