Wenn Rohstoffhändler erwischt werden

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Gunvor im Kongo

Betroffene Unternehmen / Personen: Gunvor SA (Schweiz) / Pascal C., Bertrand G., Jean-Marc Henry, David B., Eliyahu E. 

Vorwürfe: Bestechung ausländischer Amtsträger (Art. 322septies StGB) in Zusammenhang mit Organisationsmängeln (Art.102 StGB)

Schweizer Anwält*innen:  Benjamin Borsodi (Schellenberg Wittmer, Genf) und Adrian Bachmann (Bachmann Rechtsanwälte, Zürich) / Pascal C.: Matteo Pedrazzini und Delphine Jobin (PMA Pedrazzini Martin-Achard Avocats, Genf), Bertrand G.: Alec Reymond (@lex avocats, Genf), Jean-Marc Henry: Philippe Prost et Léonard Stoyanov (MLL Legal, Genf), David B.: Laurent Moreillon (Mazou Avocats, Lausanne), Eliyahu E.: Marc Joory (Python, Genf) 

Schauplätze des Geschehens: Kongo-Brazzaville, Elfenbeinküste, Schweiz

Schauplätze der Verfahren: Schweiz (Bundesanwaltschaft, BA)

Verfahrensstand: 

  • 94 Millionen Franken (davon 4 Millionen Franken Geldbusse)
  • Pascal C.: 18 Monate Gefängnis auf Bewährung
  • Betrand G.: pendent (Verfahren geplant im Laufe des Jahres 2024)
  • Jean-Marc Henry: 6 Monate Gefängnis auf Bewährung sowie eine Geldbusse von 300 Tagessätzen. Ersatzforderungssumme von über 5 Millionen Franken
  • David B.: keine Gefängnisstrafe. Ersatzforderungssumme von 4,4 Millionen Franken
  • Eliyahu E.: 14 Monate Gefängnis auf Bewährung, abzüglich der bereits abgeleisteten 170 Tage Untersuchungshaft. Ersatzforderungssumme von 100’000 Franken.

Wiedergutmachung: keine

Der Fall

Ein gewisses Image haftet hartnäckig an Gunvor seit der Gründung des Unternehmens. Das Image eines vom Kreml gesteuerten Unternehmens, mitbegründet durch den Oligarchen Gennadi Timtschenko, einen Vertrauten von Wladimir Putin. Als der Genfer Rohstoffhändler daher beschliesst, den Erdölmarkt von Kongo-Brazzaville und sein korruptes Regime zu erobern, scheut er weder Kosten noch Mühen. 

Gunvor stellt der Regierung von Denis Sassou-Nguesso (der seit 26 Jahren im Amt ist) zunächst seine enormen Liquiditätsreserven zur Verfügung. Von 2010 bis 2012 gewährt Gunvor der Société Nationale des pétroles congolais (SNPC) sechs Vorfinanzierungen – Darlehen von jeweils 125 Millionen US-Dollar –, die durch künftige Öllieferungen zurückgezahlt werden sollen. Dies entspricht ungefähr zehn Rohöllieferungen pro Monat. 

Um den Auftrag zu ergattern – der auch den Bau einer Ölpipeline von Brazzaville nach Pointe-Noire vorsieht, ein Vorhaben, das in Moskau auf höchster Ebene ausgehandelt wurde –, werden zwei dem Sassou-Nguesso-Clan nahestehende Mittelsmänner eingeschaltet. Jean-Marc Henry und Maxime Gandzion erhalten insgesamt fast 30 Millionen US-Dollar an Provisionen auf ihre Konten bei der Genfer Filiale der Zürcher Privatbank Clariden Leu.

Im Dezember 2011 entdeckt die Credit Suisse, die kurz zuvor die Clariden Leu übernommen hat, diese Machenschaften und informiert die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS). Die Bundesanwaltschaft eröffnet ein Verfahren wegen Verdachts auf Geldwäscherei, zunächst gegen Unbekannt. Die Ermittlungen kommen mehrere Jahre lang nur im Schneckentempo voran, bis der damalige Geschäftsentwickler von Gunvor – ein Trader, den seine Vorgesetzten seit Beginn des Skandals als «treulosen Mitarbeiter» bezeichneten –, im Frühjahr 2017 ein Geständnis ablegt. Pascal C. schliesst einen Vergleich mit der Schweizer Justiz und beschreibt den Korruptionspakt bis ins kleinste Detail. Dank dieses sogenannten «vereinfachten» Verfahrens – einer helvetischen Variante des US-amerikanischen Plea bargains – erzielt er eine milde Strafe und ermöglicht die Verurteilung seines ehemaligen Arbeitgebers wegen Bestechung ausländischer Amtsträger in Zusammenhang mit Organisationsmängeln.

Am 28. August 2018 wird der ehemalige Gunvor-Trader wegen Bestechung zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er gibt zu, an fünf Korruptionspakten beteiligt gewesen zu sein, mit denen es dem Genfer Rohstoffhändler zwischen 2009 und 2012 gelungen ist, Erdölaufträge in Kongo-Brazzaville und der Elfenbeinküste zu ergattern. In seiner Anklageschrift heisst es, dass die korrupten Absprachen «in Zusammenarbeit mit anderen Gunvor-Angestellten» getroffen und die Zahlungen (43 Millionen US-Dollar) von der Finanzabteilung abgesegnet wurden. «Der Mitarbeiter hatte in einem Arbeitsumfeld gehandelt, in dem Korruption offenbar eine akzeptierte Geschäftspraxis war», heisst es weiter in der Anklageschrift.

Es fällt auf, dass die Justiz bei einigen Personen sehr gnädig war: Keiner der Vorgesetzten des Geschäftsentwicklers wurde strafrechtlich verfolgt und Konzernchef Torbjörn Tornqvist kam gänzlich ungeschoren davon. Ein ehemaliger Mitarbeiter, Bertrand G., der 2014 versucht hatte, den kongolesischen Markt wiederzubeleben, indem er den Kongolesen ein neues Korruptionsschema vorschlug, steht wegen Bestechung ausländischer Amtsträger vor Gericht, während ein kleiner Mittelsmann wegen Urkundenfälschung verurteilt wurde, da eine seiner Firmen in Hongkong einen Teil der Provisionen kassiert hatte, um sie an die Netzwerke von Sassou-Nguesso weiterzuleiten.

Schlüsseldokumente

Chronologie

Datum

Ereignis

Quelle

2010-2012Auf der Suche nach geografischer Diversifizierung erobert Gunvor den afrikanischen Markt. Mit der Société nationale des pétroles congolais (SNPC) werden Vereinbarungen über Vorfinanzierungen unterzeichnet: sechs Kredite in Höhe von je 125 Millionen US-Dollar, die für etwa zehn künftige Rohöllieferungen pro Monat gewährt werden.  Um diese Verträge an Land zu ziehen, zahlt Gunvor über zwei Mittelsmänner Bestechungsgelder an Vertraute von Präsident Denis Sassou-Nguesso auf deren Konten bei der Genfer Filiale der Bank Clariden Leu. Public Eye
15. November 2011Die Credit Suisse (CS) gibt ihre Absicht bekannt, ihre Tochtergesellschaft Clariden Leu vollständig einzugliedern. Im Zuge des Fusionsprozesses kommt die Compliance-Abteilung der CS verdächtigen Zahlungen auf die Spur und erstattet Meldung bei der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS).Credit Suisse
Januar 2012Die Bundespolizei durchsucht den Hauptsitz von Gunvor in der Genfer Rue du Rhône. Ein Mitarbeiter des Afrika-Desks wird ausführlich verhört, und auch seine Privatwohnung wird durchsucht. Die Behörde beschlagnahmt eine erhebliche Menge an Dokumenten in Zusammenhang mit Geschäften in Afrika. Die Bundesanwaltschaft eröffnet ein Strafverfahren gegen Unbekannt wegen Verdachts auf Geldwäscherei.RTS
28. August 2018Pascal C. wird zu 18 Monaten Haft auf Bewährung wegen Bestechung verurteilt. Er gibt zu, an fünf Korruptionspakten beteiligt gewesen zu sein, mit denen es Gunvor gelungen ist, Erdölaufträge zu akquirieren. Aus der Anklageschrift geht jedoch klar hervor, dass der Geschäftsvermittler und Trader nicht allein gehandelt hat, sondern in einem korrupten Umfeld tätig war.Le Temps
24. Juli 2019Am Bundesstrafgericht in Bellinzona findet der Prozess gegen den Mittelsmann Eliyahu E. statt. Zwischen 2009 und 2011 beging er fünf Urkundenfälschungen mit dem Ziel, sich durch Provisionen auf getätigte Transaktionen persönlich zu bereichern. Die Bundesanwaltschaft fordert eine bedingte Freiheitsstrafe von 14 Monaten, abzüglich der bereits abgeleisteten 170 Tage Untersuchungshaft. Die Ersatzforderung beläuft sich auf lediglich 100’000 Franken.Gotham City
17. Oktober 2019Gunvor wird in einem vereinfachten Verfahren wegen Organisationsmängeln in Zusammenhang mit der Bestechung ausländischer Amtsträger verurteilt. Der Rohstoffhändler muss eine Busse von 4 Millionen Franken und eine Ersatzforderungssumme von 90 Millionen Franken bezahlen.Bundesanwaltschaft

29. November 2022

 

Weil er bei Clariden Leu (später von der CS aufgekauft) ein Konto eröffnet hatte, auf dem 11 Millionen US-Dollar an Bestechungsgeldern verwahrt werden sollten, wird der Mittelsmann Jean-Marc Henry zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung sowie zu 300 Tagessätzen verurteilt. Die auf dem Konto verbliebenen rund 5 Millionen Franken werden eingezogen. Da sich die andere Hälfte in Luft aufgelöst hat, muss der Geschäftsmann eine Ersatzforderungssumme von über 5 Millionen Franken entrichten.Gotham City
2024Prozess gegen den Mittelsmann Bertrand G. vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, «aktiv an Bestechungszahlungen (...) an ausländische Amtsträger mitgewirkt zu haben», um einen sehr grossen Erdöl-Deal in Kongo-Brazzaville abzuschliessen.Bundesanwaltschaft

Lücken und Schwächen der Rechtsordnung

  • Ölbesicherte Vorfinanzierungen: Eine Praxis, die zahlreiche Korruptions- und Untreuerisiken birgt
  • Versagen der Banken bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht im Zusammenhang mit politisch exponierten Personen (PEP)
  • Systematische Korruption als Organisationsmangel betrachtet
  • Fehlende Kooperation der lokalen Justiz. Schwieriges Vorankommen für die Schweizer Justiz
  • Grosse Schwierigkeiten für Staatsanwälte, in solchen Fällen Korruption nachzuweisen, ausgenommen im Falle einer Selbstanzeige oder der Entdeckung eines schriftlichen Korruptionspakts
  • Unmöglichkeit, die führenden Köpfe des Unternehmens zu verurteilen
  • Zu niedrige Bussgelder (maximal 5 Millionen Franken) und damit fehlende Abschreckungswirkung für Konzerne mit Milliardengewinnen
  • Ersatzforderungssumme wird an die Schweizer Justiz und nicht an die Korruptionsopfer gezahlt
  • Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler