Wenn Rohstoffhändler erwischt werden

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Helsinge und die Eroberung Venezuelas

Betroffene Unternehmen / Personen: Helsinge Inc. (USA), Helsinge Limited, St-Hélier (Zweigniederlassung Genf, Schweiz), Francisco Morillo (Mitgeschäftsführer), Leonardo Baquero (Mitgeschäftsführer) und ein  Ex-Angestellter von Helsinge Inc., PDVSA S.A. (Venezuela), PDVSA Litigation Trust (USA)

Vorwürfe: Bestechung ausländischer Amtsträger (Art. 322septies StGB), Geldwäscherei (Art. 305bis StGB) und unbefugte Datenbeschaffung (Art. 143 StGB)

Schweizer Anwält*innen: PDVSA Maduro: Guerric Canonica (Canonica Valticos Carnicé  & Associés, Genf) vs PDVSA Guaidó: Jean-Pierre Jacquemoud (Jacquemoud Stanislas, Genf), Helsinge: Jean-Marc Carnicé (BianchiSchwald, heute valfor, Genf), Francisco Morillo: Guglielmo Palumbo (Habeas Avocats, Genf), Leonardo Baquero: Daniel Tunik (Lenz & Staehelin, Genf), Ex-Angestellter: Giorgio Campà (Étude de Me Giorgio Campá, Genf)

Schauplätze des Geschehens: Venezuela, USA, Schweiz 

Schauplätze der Verfahren: USA, Schweiz (Kanton Genf)

Verfahrensstand: Einstellung des Verfahrens in den USA; in der Schweiz pendent

Wiedergutmachung: Klage von PDVSA wurde in den USA abgewiesen, pendent in Genf

Der Fall

Es ist ein kleines Paket, das Beweise für die Plünderung der Ölrente Venezuelas enthalten könnte. Das knapp 23 Kilogramm schwere Paket, das am Montag, 12. März 2018, aus Miami am Standort der Genfer Justizbehörde ankommt, enthält einen Server, den die Manager der Firma Helsinge benutzt haben sollen, um sich in das Computersystem von Petróleos de Venezuela SA (PDVSA), der staatlichen venezolanischen Ölgesellschaft, zu hacken und in betrügerischer Weise in Echtzeit die Entwicklung ihrer Vorgänge zu verfolgen. Helsinge – ein panamaisches Unternehmen mit nur einer Handvoll Angestellten, das sich in den kaum 14 Jahren seines Bestehens zu einem unverzichtbaren Vermittler zwischen Schweizer Handelshäusern und venezolanischen Beamt*innen entwickelt hat – soll Informationen an Glencore, Trafigura, Vitol und Lukoil weiterverkauft haben, was diese in die Lage versetzt habe, zwischen 2004 und 2017 Rohöl-Barrels im Wert von über 40 Milliarden US-Dollar zu erwerben. In einem eher «klassischen» Vorwurf wird dem Unternehmen zudem zur Last gelegt, Bestechungsgelder an PDVSA-Mitarbeitende gezahlt zu haben, um vertrauliche Daten sowie Handels- und Marktvorteile für die betreffenden Handelshäuser zu erzielen, und den Besitz und die Überweisung von illegalen Geldern organisiert zu haben.

Für Venezuela, das sich zu diesem Zeitpunkt in einer akuten Wirtschaftskrise mit einem Einbruch der Rohölpreise und einer unkontrollierbaren Inflation befand, beliefen sich die entgangenen Gewinne aus diesen unter dem Marktwert festgelegten Verträgen auf 5,2 Milliarden US-Dollar, so die 161-seitige Klage von PDVSA, in der eines der ausgeklügeltsten Plünderungssysteme der Geschichte beschrieben wird. 2018 wendet sich der Ölkonzern an die Schweiz und die USA, um Gerechtigkeit zu erlangen. Zwei Männer werden in Genf festgenommen, wo der Konzern Helsinge einige Monate zuvor eine Tochtergesellschaft bei der Kanzlei seiner Anwälte angesiedelt hatte.

Laut dem Recherchedesk von Tamedia, das Zugang zu den Strafakten hatte, übergab PDVSA der Genfer Justiz auch E-Mails, aus denen hervorging, dass Helsinge den Handelshäusern vertrauliche Informationen über Ausschreibungen, Ladungen, Lagerbestände und strategische Pläne des staatlichen Ölkonzerns lieferte.

Seitdem bestreiten die Anwälte von Helsinge unablässig den Klägerstatus von PDVSA. Ihr Argument: Wer soll angesichts der chaotischen Lage vor Ort wirklich berechtigt sein, die staatliche Ölgesellschaft zu vertreten? Zu einem bestimmten Zeitpunkt des Verfahrens zählt diese nämlich auf zwei Genfer Anwälte zu ihrer Verteidigung, die jeweils von einem gegnerischen politischen Clan ernannt wurden. In den USA wird die Zivilklage schliesslich mit der Begründung abgewiesen, dass die Begünstigten des Trusts, der die Klage eingereicht hatte, nicht befugt waren, die Ölgesellschaft zu vertreten. In der Schweiz wird PDVSA hingegen vom Bundesstrafgericht zwei Mal der Klägerstatus zuerkannt.

Im Mai 2022 wird der Konzern Glencore in den USA und in Grossbritannien verurteilt, weil er mehr als 100 Millionen US-Dollar an Bestechungsgeldern an Mittelsmänner gezahlt hat, unter anderem um Ölverträge in Venezuela abzuschliessen. Der Zuger Riese gibt unter anderem zu, «an einer Verschwörung beteiligt gewesen zu sein, die dazu diente, unlautere Geschäftsvorteile zu erzielen und diese Vorteile dann auch tatsächlich erzielt zu haben, indem er mehr als 1,2 Millionen Dollar an eine Vermittlerfirma zahlte, die Bestechungszahlungen an einen venezolanischen Beamten leistete».

Die beiden Verwaltungsratsmitglieder von Helsinge bestreiten die Vorwürfe. Das Verfahren ist pendent.

Schlüsseldokumente

Chronologie

Datum

Ereignis

Quelle

2004-2017Helsinge Inc. wird in Panama von den beiden Venezolanern Francisco Morillo und Leonardo Baquero gegründet. Zunächst als Beratungsunternehmen tätig, entwickeln sich die Aktivitäten der Gruppe allmählich zu einer Reihe von «integrierten Dienstleistungen»: Handel mit Sachgütern, Lagerung, Transport oder Finanzlösungen. Das Unternehmen eröffnet Niederlassungen in Miami, Saint-Hélier sowie auf der Insel Jersey und gründet im Oktober 2017 eine Niederlassung in Genf.

Helsinge wird vorgeworfen, ab 2004 PDVSA-Mitarbeitende bestochen zu haben, um Markt- und Handelsvorteile zu erzielen sowie vertrauliche Informationen zu erhalten und diese dann an die Handelshäuser Lukoil Petroleum, Colonial Oil Industries (das einzige Handelshaus mit Sitz in den USA), Glencore, Vitol und Trafigura weiterzuverkaufen, um diese in die Lage zu versetzen, Ölverträge im Wert von 40 Milliarden US-Dollar abzuschliessen. Ausserdem soll Helsinge den Besitz und die Überweisung von illegalen Geldern aus Bestechungszahlungen organisiert haben. 
Le Temps
2013Die fallenden Ölpreise (die 90 % des Wertes der venezolanischen Exporte ausmachen) versetzen das Regime von Nicolás Maduro, der im März 2013 nach dem Tod von Hugo Chávez an die Macht gekommen war, in eine zunehmend schwierige Lage. Das Land gerät in eine Krise, die durch Hyperinflation, zunehmende Unterernährung der Bevölkerung und einen schwunghaften Anstieg der Gewalttätigkeit gekennzeichnet ist, sowohl in Zusammenhang mit städtischer Kleinkriminalität als auch mit politischer Repression. Millionen Venezolaner*innen flüchten aus dem Land. US Energy Information Administration
3. März 2018PDVSA erhebt vor einem Zivilgericht in den USA und einem Strafgericht in Genf Klage gegen die Manager von Helsinge.

Dem Unternehmen wird vorgeworfen, bereits 2004 an der Einrichtung eines umfangreichen Korruptionsnetzwerks innerhalb des staatlichen Erdölunternehmens beteiligt gewesen zu sein, insbesondere um Zugriff auf dessen Computersysteme zu erlangen. Vertrauliche Daten über Ölverkäufe sollen fast acht Jahre lang kontinuierlich auf einen Server in Miami kopiert worden sein. 

Diese Praktiken führten zu Mindereinnahmen für den öffentlichen Haushalt, die der venezolanische Staat auf 5,2 Milliarden US-Dollar schätzt.
Courthouse News Service
12. März 2018Zwei Führungskräfte von Helsinge werden in Genf verhaftet, wo das Unternehmen knapp fünf Monate zuvor eine Niederlassung errichtet hat. Die Genfer Staatsanwaltschaft bestätigt «ein Strafverfahren gegen einige der  [führenden Köpfe] einer in Genf ansässigen Handelsgesellschaft eingeleitet zu haben, die der Bestechung ausländischer Amtsträger und der Geldwäsche verdächtigt werden». Die Büros werden durchsucht.

Der  Server, den die Manager der Helsinge Limited angeblich benutzt haben sollen, um sich in das Computersystem der PDVSA zu hacken, trifft per Post aus Miami ein. Er befindet sich nun in den Händen der Genfer Justizbehörden.
AP (via Swissinfo)
März 2019Die politischen Unruhen in Venezuela, wo die Macht von Nicolás Maduro immer mehr in Frage gestellt wird, halten an. Kurz nach seiner Wiederwahl für eine zweite Amtszeit ruft die Nationalversammlung Venezuelas (ANV) zum «Ungehorsam» auf. Der Parlamentspräsident Juan Guaidó ernennt sich selbst zum «amtierenden Präsidenten».

Die ANV ernennt daraufhin einen neuen «Ad-hoc»-Vorstand der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA. Dieser stellt sich gegen den von Nicolás Maduros Nationaler Verfassunggebender Versammlung Venezuelas (ANCV) ernannten Vorstand. Beide Räte schätzen sich selbst als legitim amtierende Organe ein.

Dieses Chaos wird von der Verteidigung, die Helsinge und seine Führungskräfte im Verfahren in Genf vertritt, erbittert ausgenutzt.
BBC News Mundo
10. März 2020Die Schweizer Justiz ist aufgrund verschiedener Beschwerden der Verteidigung gezwungen, sich mit dem anhaltenden Machtkampf in Venezuela zu befassen.

Die Angeklagten bestreiten den PDVSA durch die Genfer Staatsanwaltschaft gewährten Status als Privatkläger, der dem venezolanischen Unternehmen umfassenden Zugang zu den Ermittlungsakten ermöglicht. Die Beschwerdekammer für Strafsachen des Genfer Gerichtshofs hatte die Beschwerde der Angeklagten im Dezember 2018 abgewiesen. Das Bundesgericht bestätigte diese Entscheidung zweimal.

Für die höchste Instanz des Landes ist der Maduro-Clan, der die ursprüngliche Klage eingereicht hatte, legitimiert, PDVSA zu vertreten. Für ein Auftreten als Privatklägerschaft ist laut PDVSA-Statuten keine vorherige Genehmigung des Verwaltungsrats erforderlich.
Tribune de Genève
24. Februar 2022Das Bundesstrafgericht genehmigt die Übermittlung der umfangreichen Informationen, die auf dem Server gespeichert sind, der sich in den Händen der Genfer Justizbehörde befindet, an die USA. Die beiden Eigentümer von Helsinge hatten sich gegen diese Übermittlung ausgesprochen.Gotham City

24. Mai 2022

 

Glencore wird in den USA und im Vereinigten Königreich verurteilt, weil sie mehr als 100 Millionen US-Dollar an Mittelsmänner gezahlt hat, um Öl-Deals in Venezuela, aber auch in Nigeria, Kamerun, der Elfenbeinküste, Äquatorialguinea, Brasilien und der Demokratischen Republik Kongo zu akquirieren.

Bei PDVSA bezogen die Beamten Rene Hecker, Marco Malavé, Edgar Garcia und Ysmel Serrano monatlich zwischen 15’000 und 150’000 US-Dollar an Bestechungsgeldern sowie eine Entschädigung von 0,05 bis 0,22 US-Dollar pro Barrel Ölprodukte, die von Glencore bei PDVSA gekauft oder an diese verkauft wurden. Diese Schmiergelder wurden von Mittelsmännern vor Ort gezahlt, nämlich Francisco Morillo und Leonardo Baquero, den beiden Geschäftsführern der Firma Helsinge, gegen die in Genf ermittelt wird.

Der Konzern Glencore gibt zu, an einer Verschwörung beteiligt gewesen zu sein, die dazu diente, unlautere Geschäftsvorteile zu erzielen und diese dann auch tatsächlich erzielt zu haben, indem er mehr als 1,2 Millionen US-Dollar an eine Vermittlerfirma zahlte, die Bestechungszahlungen an einen venezolanischen Beamten leistete.
US Department of Justice
13. März 2023Um die Sperrung möglicher Schadensersatzzahlungen zu vermeiden, die dem venezolanischen Unternehmen von der US-Justiz hätten zugesprochen werden können, wird PDVSA durch einen Trust vertreten, der theoretisch nicht den Sanktionen gegen das Maduro-Regime unterliegt.

Die Gültigkeit dieser Konstruktion wird jedoch vom Bundesgericht in Florida nicht anerkannt. Die US-Justiz erklärt sich für nicht zuständig, um festzustellen, «wer die Interessen von [Anmerkung der Redaktion: Petróleos de Venezuela] im Lichte der komplexen und sich ständig ändernden politischen Situation in Venezuela angemessen vertreten kann». Dies ist ein Sieg für die Verteidigung von Helsinge.
US Department of Justice
14. Februar 2024Drei Urteile des Bundesstrafgerichts schwächen die Position von PDVSA. 

Sie bestätigen insbesondere die Aufhebung der Beschlagnahme der Bankkonten von Helsinge und der Angeklagten, auf denen sich nicht weniger als 80 Millionen US-Dollar befinden. Zudem hat die Staatsanwaltschaft nach sechs Jahren Verfahren immer noch nicht die Daten des berühmten Computers untersucht, der 2018 in Miami beim Buchhalter von Helsinge sichergestellt wurde.
Gotham City

Lücken und Schwächen der Rechtsordnung

  • Verschleierung der Verantwortung durch Einschaltung von Mittelsmännern für die Zahlung von Bestechungsgeldern
  • Fehlende Kooperation der lokalen Justiz. Schwieriges Vorankommen für die Schweizer Justiz
  • Grosse Schwierigkeiten für Staatsanwälte, in solchen Fällen Korruption nachzuweisen, ausgenommen im Falle einer Selbstanzeige oder der Entdeckung eines schriftlichen Korruptionspakts
  • Problematik der Doppelrolle einiger Genfer Wirtschaftsanwält*innen, die damit beauftragt sind, ausländische Gesellschaften in ihrer Kanzlei zu domizilieren und sie dann strafrechtlich zu verteidigen
  • Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler