Wenn Rohstoffhändler erwischt werden
SchliessenTrafigura und die Tragödie von Probo Koala
Betroffene Unternehmen / Personen: Trafigura Limited (Grossbritannien), Trafigura Beheer BV (Niederlande und Schweiz), Naeem A. (Angestellter von Trafigura Ltd.), Nobah A. (Generaldirektor der Firma Waibs), Serguy C. (ukrainischer Kapitän des Tankers Probo Koala), Compagnie Tommy (Elfenbeinküste), Salomon U. (Geschäftsleiter der Compagnie Tommy), Essoin K. (Hafenagent in Abidjan).
Vorwürfe: illegaler Export von Abfällen, Urkundenfälschung (wurde nicht weiterverfolgt), Verletzung des Rechts auf Gesundheit, Leben und Umwelt (Afrikanischer Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker)
Schweizer Anwält*innen: keine
Schauplätze des Geschehens: Elfenbeinküste, Schweiz
Schauplätze der Verfahren: Grossbritannien, Norwegen, Niederlande
Verfahrensstand:
- 198 Millionen US-Dollar, aussergerichtliche Vereinbarung im Austausch für die Einstellung der Strafverfolgung gegen den Konzern Trafigura bzw. dessen Angestellte (Elfenbeinküste)
- 1 Million Euro für illegalen Abfallexport (Niederlande)
- Naeem A.: sechs Monate Haft auf Bewährung und 25'000 Euro Geldbusse (Niederlande)
- Serguy C. (Kapitän der Probo Koala): 5 Monate Gefängnis auf Bewährung (Niederlande)
- Salomon U. (Geschäftsleiter der Compagnie Tommy): 20 Jahre Haft (Elfenbeinküste)
- Essoin K. (Hafenagent in Abidjan): 5 Jahre Haft (Elfenbeinküste)
Wiedergutmachung: 30 Millionen Pfund, von Trafigura an 29’614 Opfer gezahlt
Der Fall
Dieser Skandal lässt tief in ein Kerngeschäft des Rohstoffhändlers Trafigura blicken, das sogenannte Blending. Bei dieser Technik werden Erdöle unterschiedlicher Güte mit anderen Produkten gemischt, um eine gewünschte Menge und Qualität zu erzielen. Daran ist an sich nichts Illegales (auch wenn es als unmoralisch angesehen werden kann), solange diejenigen, die sich hier als Chemikerlehrlinge erproben, die Umweltstandards einhalten. Bei Schweizer Rohstoffhändlern - von denen einige aus der Lieferung von Erdölprodukten mit hohem Schwefelgehalt auf den afrikanischen Kontinent, im Jargon «African Quality», ein Geschäftsmodell machten, wie Public Eye 2016 mit der Recherche «Dirty Diesel» aufdeckte - ist das nicht immer der Fall.
Die Tatbestände gehen auf das Jahr 2006 zurück. Nachdem Trafigura eine grosse Ladung (84’989 metrische Tonnen) Koksnaphtha, eine der schlechtesten Qualitäten von Benzinmischungen überhaupt, gekauft hat, beginnt sie mit der Raffination in Häfen in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Tunesien. Der Gestank ist so massiv, dass die Raffination an Land gestoppt wird und Trafigura sie schliesslich auf hoher See an Bord des betagten Tankers Probo Koala vornehmen lässt. Die Laugenwäsche auf See ist in vielen Ländern aufgrund der damit verbundenen Gefahren verboten.
Interne E-Mails enthüllten später, dass Trafiguras Manager bereit waren, das Risiko einzugehen, dass das Schiff während der Operation beschädigt oder sogar versenkt werden könnte, solange sie ihre Gewinne maximieren konnten. Im April versucht das Unternehmen, die Abfälle aus dieser Operation in vier verschiedenen Häfen in Gibraltar, Italien, Malta und Frankreich zu entladen. Vergeblich. Im Juli erreicht der Tanker schliesslich den Hafen von Amsterdam, doch Trafigura weigert sich, die Kosten für die Aufbereitung zu bezahlen, und so wird der Abfall wieder an Bord genommen. Nach weiteren Versuchen zunächst in Estland und anschliessend in Nigeria trifft Trafigura auf Empfehlung des ivorischen Hafenagenten Waibs (West African International Business Services) eine Vereinbarung mit einem lokalen Unternehmen. Die Firma Compagnie Tommy erklärt sich bereit, die Abfälle für 17’000 US-Dollar zu entsorgen, einen Bruchteil des Preises, der in den Niederlanden verlangt worden war.
Compagnie Tommy hat jedoch weder das Fachwissen noch die Kapazitäten, um diese Abfälle aufzubereiten. Sie entlädt den Müll einfach per Tanklaster in Akouédo, einer offenen Mülldeponie in Abidjan, sowie an verschiedenen Orten in der Stadt, was eine illegale und unsachgemässe Entsorgung von Giftmüll darstellt. Sonntag, den 20. August, erwachen die Bewohner*innen der ivorischen Wirtschaftsmetropole in einem pestilenzartigen Gestank nach faulen Eiern oder einer Mischung aus Knoblauch und Treibstoff. «Es war erstickend», erinnert sich eine von der französischen Tageszeitung «Libération» zitierte Anwohnerin. «Wir schlossen Türen und Fenster, aber dennoch brannten uns Augen und Rachen. Dazu Erbrechen und Schwindelgefühl. Keiner verstand, was da vor sich ging.»
Insgesamt verursachen die Abfälle den Tod von 17 Menschen und 100'000 Vergiftungsfälle. Angesichts des internationalen Skandals eilt Trafigura-Chef Claude Dauphin in die Elfenbeinküste, um zu versuchen, die Dinge zu bereinigen. Er verbringt fünf Monate in Untersuchungshaft, wird aber dank aussergerichtlicher Vereinbarungen nie wieder belangt. Interne Dokumente belegten jedoch, dass die Führungskräfte von Trafigura über den Deal und die damit verbundenen Risiken informiert waren. Vor den Gerichten in den Niederlanden erklärte der Konzern Trafigura, dass er zwar seinen Hauptsitz in den Niederlanden habe, von dort aus aber keine Geschäfte tätige, da seine operativen Strukturen in England und der Schweiz ansässig seien. In der Schweiz hat die Justiz jedoch keinerlei Schritte unternommen.
Bis zum heutigen Tage beharrt Trafigura darauf, die gesamte Verantwortung für die Katastrophe auf die Tommy Company zu schieben.
Schlüsseldokumente
- Amnesty International/Greenpeace: A toxic truth (September 2012)
- Berufungsgericht von England und Wales (EWCA): Trafigura Beheer Probo Koala (12.10.2011)
Chronologie
Datum | Ereignis | Quelle |
1993 | Zwei ehemalige Trader von Marc Rich, dem Paten des Rohstoffhandels in der Schweiz, gründen Trafigura. Es handelt sich um die Franzosen Claude Dauphin und Eric de Turckheim. | The Guardian |
Ende 2005 | Trafigura kauft grosse Mengen an Koksnaphtha, einer unraffinierten Kohlenwasserstoffverbindung. Zweck: Es soll als billige Mischung zur Herstellung von Treibstoff für die afrikanischen Märkte verwendet werden. Zur Raffination nutzt das Unternehmen das industrielle Verfahren der Wäsche mit Natronlauge, das zunächst an Land und danach erstmalig auf hoher See, an Bord eines Tankers namens Probo Koala durchgeführt wird. | Amnesty |
19.-20. August 2006 | Nach der langen Odyssee der Probo Koala lädt die Compagnie Tommy den Giftmüll aus der Verarbeitung an Bord an mehreren Orten in Abidjan (Elfenbeinküste) ab, unter anderem auf öffentlichen Mülldeponien. Bilanz: 17 Todesopfer und 100’000 Vergiftungsfälle. | Public Eye |
September 2006 | Claude Dauphin und der Regionalleiter von Trafigura für Westafrika reisen nach Abidjan, um eine, wie sie es nennen, «humanitäre Mission» zu erfüllen. Die ivorische Regierung will jedoch ein Zeichen setzen und beschliesst, die beiden Manager in Untersuchungshaft zu nehmen. Sie verbringen fünf Monate im Zentralgefängnis von Abidjan. | Public Eye |
Februar 2007 | Nach langwierigen Verhandlungen einigen sich die lokalen Behörden und Trafigura auf eine finanzielle Vereinbarung. Das Handelshaus zahlt 198 Millionen US-Dollar und wird im Gegenzug von jeglicher juristischen Haftung für die Katastrophe befreit. Beide Parteien verpflichten sich zudem, auf Zivilverfahren aller Art zu verzichten. Die Justizbehörden stellen auch die strafrechtlichen Schritte ein, die gegen die Mitarbeiter von Trafigura eingeleitet wurden. Lediglich die ivorischen Partner werden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. | Business & Human Rights |
September 2009 | Die ivorischen Opfer der Probo-Koala-Tragödie wenden sich in einer der grössten Sammelklagen der Geschichte an die britische Justiz. In London erzielten die 29’614 Kläger*innen aus der Elfenbeinküste eine Zahlung von 30 Millionen Pfund, was etwa 1’000 Pfund pro Kläger*in entspricht. Diese gütliche Vereinbarung wird jedoch von der Frage der Übernahme der hohen Anwaltskosten und durch die Nichtzahlung bestimmter Entschädigungen getrübt. | Leigh Day |
16. November 2012 | Die niederländische Staatsanwaltschaft und Trafigura Beheer BV geben bekannt, dass sie zu einer Übereinkunft gelangt sind, die eine Einstellung aller Rechtsmittel bezüglich der Aufbereitung der Abfälle der Probo Koala im Hafen von Amsterdam im Jahr 2006 vorsieht. Die Manager von Trafigura werden nicht mehr behelligt. Das Handelshaus begrüsst die Vereinbarung und gibt an, sich «wieder auf sein kontinuierliches und substanzielles Engagement für Afrika konzentrieren» zu wollen. | De Rechtspraak |
17. März 2014 | Amnesty International drängt die britischen Behörden, eine strafrechtliche Untersuchung gegen die Londoner Tochtergesellschaft von Trafigura einzuleiten, da diese die Operationen koordiniert hat, die zum Verkippen der Abfälle geführt haben. Die Umweltbehörde weigert sich zu ermitteln, räumt jedoch ein, dass, wenn die Anschuldigungen zutreffen sollten, «eine schwere Straftat begangen worden» sei. | Amnesty |
September 2016 | Zum zehnten Jahrestag der Katastrophe veröffentlicht Public Eye eine seiner herausragendsten Recherchen, «Dirty Diesel». Woher stammten die Abfälle an Bord der Probo Koala und warum befanden sie sich auf diesem Schiff? Ausgehend von diesen Fragen deckt Public Eye die Rolle von Schweizer Rohstoffhändlern bei der Produktion und Lieferung von giftigen Treibstoffen für den afrikanischen Markt auf. Ein äusserst lukratives Geschäftsmodell. | Public Eye |
2016 | Die Ivorische Menschenrechtsliga, die Ivorische Menschenrechtsbewegung und die Internationale Föderation für Menschenrechte verklagen den Staat Elfenbeinküste vor dem Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker (CADHP). | International Federation for Human Rights |
5. September 2023 | Der Gerichtshof CADHP gelangt zu der Ansicht, dass der ivorische Staat schuldig ist, die Menschenrechte im Fall der Entsorgung des Giftmülls von Trafigura nicht geschützt zu haben. Er zwingt den ivorischen Staat, in Absprache mit den Opfern und innerhalb eines Jahres einen Entschädigungsfonds einzurichten, in den die von Trafigura im Rahmen des Vergleichs gezahlten Beträge fliessen sollen. Der Gerichtshof ist ferner der Ansicht, dass die zwischen dem Staat und dem Unternehmen unterzeichnete Übereinkunft durch die Immunität vor Strafverfolgung zur Straffreiheit beiträgt und damit den von der illegalen Abfallentsorgung Betroffenen bestimmte innerstaatliche Rechtsmittel verwehrt. | African Union |
Lücken und Schwächen der Rechtsordnung
- Gefährlichkeit des Blending, dessen giftige Abfälle von den Rohstoffhändlern nicht ordnungsgemäss entsorgt werden
- Umgehung von Umweltschutzgesetzen durch Tätigkeit in Ländern mit schwächeren oder weniger kontrollierten Gesetzen und anschliessende Verlagerung des Raffinationsprozesses auf hohe See
- Verschleierung der Verantwortung durch Einschaltung von Mittelsmännern für die Zahlung von Bestechungsgeldern
- Aussergerichtliche gütliche Einigung mit der lokalen Regierung abgeschlossen. Trafigura zahlt 198 Millionen US-Dollar im Austausch für die Einstellung der Strafverfolgung, für die Opfer hingegen ist keine Entschädigung vorgesehen
- Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler