Wenn Rohstoffhändler erwischt werden

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Vitol, Glencore, Trafigura und der Petrobras-Skandal

Betroffene Unternehmen / Personen: Vitol Inc. (USA) und Cockett Marine Oil Ltd. (Grossbritannien); Glencore International A.G. (Schweiz) und Glencore Ltd. (Grossbritannien); Trafigura Beheer B.V. (Niederlande und Schweiz)

Vorwürfe:

  • Vitol: Verletzung des Foreign Corrupt Practices Act (USA); Einsatz manipulativer oder täuschender er Mittel an der Börse
  • Glencore: Verletzung des Foreign Corrupt Practices Act (USA); Einsatz manipulativer oder betrügerischer Mittel an der Börse; Betrug und Korruption, Ausnutzung vertraulicher Informationen von Staatsunternehmen, Preismanipulation
  • Trafigura: Verletzung des Foreign Corrupt Practices Act (USA)

Schweizer Anwält*innen: keine

Schauplätze des Geschehens: Brasilien, USA

Schauplätze der Verfahren: Brasilien (Ministério Público Federal, MPF), USA (Commodity Futures Trading Commission, CFTC; Department of Justice, DoJ)

Verfahrensstand:

  • Vitol:
    • USA (Department of Justice): Vereinbarung über die aufgeschobene Strafverfolgung (Deferred Prosecution Agreement): Busse: 90 Millionen US-Dollar (betrifft mehrere Fälle und Länder; anderweitige Strafzahlungen z. T. berücksichtigt)
    • USA (Commodity Futures Trading Commission): Einigung (Settlement): 16 Millionen US-Dollar zivilrechtliche Geldstrafe und Gewinnabschöpfung von 12,791 Millionen US-Dollar (betrifft mehrere Fälle und Länder; anderweitige Strafzahlungen z. T. berücksichtigt)
  • Glencore:
    • USA (Department of Justice): Schuldanerkenntnis (Guilty Plea): 262’590’214 US-Dollar Busse und 181'457’195 US-Dollar Gewinnabschöpfung  (betrifft mehrere Fälle und Länder, anderweitige Strafzahlungen z.T. berücksichtigt)
    • USA (Commodity Futures Trading Commission): Einigung (Settlement): 333'548’040 US-Dollar Busse und Gewinnabschöpfung (betrifft mehrere Fälle und Länder, anderweitige Strafzahlungen z.T. berücksichtigt)
  • Trafigura:
    • USA (Department of Justice): Schuldanerkenntnis (Guilty Plea): 53’658’694 US-Dollar Busse und 46’510’257 US-Dollar Gewinnabschöpfung
    • Brasilien (Ministério Público Federal): pendent

Wiedergutmachung:

  • Vitol: 45’000’000 US-Dollar an Petrobras gezahlt
  • Glencore: 39’598’367 US-Dollar an Petrobras gezahlt
  • Trafigura: (noch) keine

Der Fall

Seit 2014 ermitteln Behörden weltweit in der Korruptionsaffäre rund um die halbstaatliche brasilianische Erdölgesellschaft Petróleo Brasileiro S.A. (Petrobras). Es ging gegen hohe Politiker*innen, Mitglieder der lateinamerikanischen Wirtschaftselite und internationale Grosskonzerne. Allein bis 2021 gab es 278 Verurteilungen, und 803 Millionen US-Dollar unrechtmässige Gewinne wurden nach Brasilien zurückübertragen.

Auch Unternehmen aus den Schweizer Rohstoffgruppen Glencore, Vitol und Trafigura haben inzwischen eingestanden, öffentliche Amtsträger bei Petrobras bestochen zu haben, um an lukrative Aufträge zu kommen.

Zunächst gab Vitol Inc. (USA), ein Unternehmen der schweizerischen Vitol-Gruppe, am 3. Dezember 2020 zu, Amtsträger in Brasilien, Ecuador und Mexiko bestochen zu haben.

Insbesondere hatte Vitol von 2005 bis 2014 über 8 Millionen US-Dollar an Staatsangestellte von Petrobras gezahlt, um an Insiderinformationen zu gelangen, bis hin zu den vertraulichen Geboten von Wettbewerbern (der «goldenen Zahl») und internen Dokumenten. Die Zahlungen liefen über Vermittler, Scheinfirmen und Konten im Ausland. Man nutzte Alias-E-Mail-Konten und Decknamen wie «Batman», «Tiger», «Phil Collins», «Dehl Phin» oder «Popeye». Zum Abschluss gab es dann noch inszenierte Vertragsverhandlungen, bei denen Vitol genau wusste, was man bieten musste, um den Zuschlag zu erhalten. Vitol machte so mindestens 33 Millionen US-Dollar Gewinn.

Darüber hinaus setzte Vitol die Insiderinformationen gezielt ein, um bestimmte Referenzpreise für Öl zu manipulieren.

Vitol zahlte für alle Taten zusammen 90 Mio. US-Dollar Busse an die US-Strafbehörden sowie insgesamt fast 29 Millionen US-Dollar an die US-amerikanische Aufsichtsbehörde für den Handel mit Futures und Optionen (Commodity Futures Trading Commission, CFTC). Ausserdem verpflichtete das Unternehmen sich zur Verbesserung seines Compliance-Programms und erstattete 45 Millionen US-Dollar an Petrobras. 

So konnte das Unternehmen ein Strafurteil vermeiden und das Verfahren schnell abschliessen.

Weitere Ermittlungen der brasilianischen Behörden richten sich gegen Cockett Marine Oil Ltd., an der Vitol SA zu 50% beteiligt ist.

Glencore hatte weniger Erfolg. Hier war Petrobras nur einer von vielen Fällen von Bestechung und Marktmanipulation. Am 22. Mai 2022 gestand Glencore International A.G., dass Unternehmen der in der Schweiz beheimateten Gruppe zwischen 2007 und 2018 in Nigeria, Kamerun, Elfenbeinküste, Äquatorialguinea, Brasilien, Venezuela und der Demokratischen Republik Kongo systematisch insgesamt über 100 Millionen US-Dollar an Staatsbedienstete gezahlt hatten. Hiervon gingen 147’202 US-Dollar im Jahr 2011 zumindest teilweise an Staatsbedienstete bei Petrobras. Auch hier benutzte der Angestellte eine private E-Mail-Adresse, die Zahlung wurde mit einem vorgetäuschten Servicevertrag begründet.

Angesichts der Ausmasse der Straftaten ermittelten unter anderem Strafverfolgungs- und Aufsichtsbehörden in den USA, Brasilien und der Schweiz. Die US-Behörden beurteilten die gefundenen Verfehlungen als Gesamtpaket, wobei sie Bussen und Restitutionszahlungen aus anderen Verfahren verrechneten. So ist es unmöglich, den Anteil zu bestimmen, der auf die Affäre Petrobras entfiel. Glencore zahlte für die systematische Bestechung über 777 Millionen US-Dollar an die US-Behörden und fast 40 Millionen US-Dollar an Petrobras. 

Ab Oktober 2022 verklagten 197 Investmentfonds Glencore vor einem Londoner Zivilgericht auf Schadensersatz. In den Jahren 2011 und 2013 hätte das Unternehmen in seinen Verkaufsprospekten die kriminellen Aktivitäten und die daraus resultierenden finanziellen Risiken nicht offengelegt. So habe Glencore die Investor*innen getäuscht. Diese Verfahren sind noch hängig, aber sie zeigen bereits jetzt einen bisher wenig beachteten Aspekt: Bestechung und andere Straftaten schädigen auch das Unternehmen und seine Aktionär*innen.

Auch Trafigura Beheer B.V., ein Unternehmen, das hauptsächlich aus der Schweiz heraus operiert, kam nicht um eine Verurteilung herum. Am 28. März 2024 gab das Unternehmen zu, von 2003 bis 2014 Mitarbeiter von Petrobras bestochen und so illegal Profite von 61 Millionen US-Dollar erzielt zu haben. Auch hier waren wieder Vermittler, Scheinfirmen, falsche Rechnungen, Bargeld und ausländische Konten zum Einsatz gekommen. Das Justizministerium der USA (Department of Justice, DoJ) verurteilte Trafigura zu Zahlungen von 127 Millionen US-Dollar, rechnete aber 27 Millionen US-Dollar für ein hängiges Verfahren in Brasilien an. Als Brasilien im Dezember 2020 Trafigura Bestechung vorgeworfen hatte, hatte das Unternehmen dies noch bestritten.

Schlüsseldokumente

Chronologie

Datum

Ereignis

Quelle

2003 bis 2014Trafigura Beheer B.V. zahlt Bestechungsgelder über Vermittler an Mitarbeiter des halbstaatlichen Ölunternehmens Petróleo Brasileiro S.A. (Petrobras).Guilty Plea
2005 bis 2014Vitol Inc. zahlt über 8 Millionen US-Dollar Bestechungsgelder letztlich an staatliche Petrobras-Mitarbeitende.DPA
2011Glencore Ltd. zahlt bis zu 147’202 US-Dollar Bestechungsgelder letztlich an einen staatlichen Petrobras-Mitarbeiter.Guilty Plea
2014Beginn der Untersuchung Lava Jato (portugiesisch für Autowäsche) der brasilianischen Bundespolizei. Der Fall betrifft systematische Bestechung rund um Petrobras.SWI
5. Dezember 2018Die brasilianischen Strafverfolgungsbehörden beschuldigen Vitol, Glencore, Trafigura und andere Unternehmen, insgesamt 31 Millionen US-Dollar an Bestechungsgeldern gezahlt zu haben. Reuters
November 2019Die Bundesanwaltschaft durchsucht auf Ersuchen der brasilianischen Behörden Büros von Trafigura und Vitol in Genf.Public Eye
23. November 2019Ein früherer Petrobras Ölhändler hat zugegeben, von 2003 bis 2005 Bestechungsgelder von Vitol erhalten zu haben.Bloomberg
26. November 2020Presseberichte zu Durchsuchungen der brasilianischen Behörden im Zusammenhang mit Bestechungen zu Gunsten von Cockett Marine Oil Ltd. in Dubai. Dieses Unternehmen gehört zu 50% Vitol SA. Reuters
30. November 2020Die brasilianische Staatsanwaltschaft erhebt eine Klage wegen verwaltungsrechtlicher Unregelmässigkeiten gegen Trafigura und insgesamt zwölf Mitarbeiter wegen Bestechung und fordert insbesondere Schadensersatz.MPF; Reuters
1. Dezember 2020Trafigura weist die Anschuldigungen der brasilianischen Behörde von sich.Trafigura
3. Dezember 2020Vitol Inc., Vitol SA (Schweiz) und das Justizministerium der USA (Department of Justice, DoJ) einigen sich. Vitol Inc. gibt Bestechung in Brasilien, Ecuador und Mexiko zu. Das Unternehmen verpflichtet sich zur Zahlung von insgesamt 90 Millionen US-Dollar an die USA und zur Verbesserung seines Compliance-Programms. Dafür schiebt das DoJ die Strafverfolgung im Rahmen eines Deferred Prosecution Agreements (DPA) auf. Weitere 45 Millionen US-Dollar zahlt das Unternehmen an Petrobras.DoJ; DPA
3. Dezember 2020Die US-amerikanische Aufsichtsbehörde für den Handel mit Futures und Optionen (Commodity Futures Trading Commission, CFTC) verpflichtet Vitol Inc. zur Zahlung einer zivilen Busse von 16 Millionen US-Dollar und einer Gewinnabschöpfung von 12,8 Millionen US-Dollar. CFTC
24. Mai 2022Glencore bekennt sich bei den US-Behörden der systematischen Bestechung und der Marktmanipulation in mehreren Ländern schuldig. Das Unternehmen zahlt über 444 Millionen US-Dollar an die US-Strafbehörden und über 333 Millionen US-Dollar an die CFTC.Glencore; DoJCFTC
24. Mai 2022Glencore unterzeichnet eine Kronzeugenvereinbarung mit der brasilianischen Strafverfolgungsbehörde MPF und bezahlt fast 40 Millionen US-Dollar direkt an Petrobras.Saudlaw
Ab Oktober 2022197 Investmentfonds verklagen Glencore auf Schadensersatz wegen fehlender Angaben zu den Bestechungsfällen in Glencores Prospekten.SWI
3. November 2022Die britische Strafverfolgungsbehörde für schwere Betrugsdelikte (Serious Fraud Office, SFO) verhängt eine Strafbusse gegen Glencore Energy UK Ltd. von über 280 Millionen britischen Pfund wegen systematischer Bestechung in fünf afrikanischen Staaten, nicht jedoch bei Petrobras. Einen Teil dieser Summe hatte das DoJ im Guilty Plea bereits berücksichtigt. SFO
28. März 2024Trafigura bekennt sich gegenüber dem DoJ schuldig, in Bezug auf Petrobras ein Bestechungssystem unterhalten zu haben. Trafigura bezahlt über 100 Millionen US-Dollar (Busse und Gewinnabschöpfung).DoJTrafigura
7. Juni 2024Vitol hat die Bedingungen des DPA erfüllt. Damit ist das Verfahren des DoJ erledigt.Vitol

Lücken und Schwächen der Rechtsordnung

  • Verschleierung der Verantwortung durch Einschaltung von Vermittlern zur Zahlung von Bestechungsgeldern
  • Systematische Bestechung als Organisationsproblem
  • Fehlende Überwachung der gruppenweiten Einhaltung rechtlicher Mindeststandards
  • Keine Aufdeckung systematischer Bestechung bei der Prüfung des Finanzberichts
  • Kein Ausweis von (Bestechungs-)Zahlungen an Regierungsmitarbeitende im (damals noch freiwilligen) Nachhaltigkeitsbericht
  • Bestechung als finanzielles Risiko für Unternehmen und Anleger
  • Folgedelikte wie z.B. Bilanzfälschung, Urkundendelikte
  • Keine spezifische Aufsichtsbehörde im Rohstoffsektor und keine angemessenen Sorgfaltspflichten für die Händler