Aserbaidschans Schicksal ist eng an den Rohölpreis gebunden
Aserbaidschan ist wohl das einzige Land, das den Beginn des Erdölzeitalters, einen grossen Einbruch und darauf einen neuen Boom erlebt hat. In den Anfängen des 19. Jahrhunderts wird an den ersten Quellen von Hand Öl gepumpt, bevor rund um Baku eine Erdölindustrie entsteht, begünstigt durch Konzessionen an Privatunternehmen und eine florierende, der Industrie gewidmete Banktätigkeit. Rohöl ist im Überfluss vorhanden, die Familien Rothschild und Nobel investieren, Shell erobert die Region. Aserbaidschan ist zu dieser Zeit ein Eldorado des schwarzen Goldes. Die deutschen Truppen bleiben auf dem Weg zu Bakus Ölfeldern während des Zweiten Weltkriegs im Kaukasus stecken.
Dann beginnt die Produktion zurückzugehen – zum Übel all jener, die auf das Erdöl gesetzt hatten. Die Ölfelder sind ausgebeutet, und weil nicht investiert wird, kommt es nicht zur Entdeckung oder Ausbeutung neuer Vorkommen. Aserbaidschan muss das darauffolgende Jahrhundert abwarten, um sein Produktionsniveau von 1940 wieder zu erreichen, welches damals bei 475‘000 Barrel pro Tag lag.
Wenn sich der Alijew-Clan heute so neureich aufführt, hat das damit zu tun, dass das durch feudale Strukturen geprägte Aserbaidschan seine Unabhängigkeit 1991, nach dem Untergang der Sowjetunion, als eines der ärmsten Länder weltweit erlangt. Drei Jahre später beträgt das Brutto-Inlandprodukt pro Kopf knapp 440 Dollar, fast 30% der Kinder leiden an Unterernährung und der erste Krieg gegen Armenien endet mit dem Verlust der Kontrolle über Bergkarabach. Fast 30‘000 Menschen verlieren im Konflikt ihr Leben (eine von Baku nie anerkannte Zahl).
Wie Wunder und Segen zugleich taucht Azeri Light (das nationale Erdöl) auf. Dank neuer Offshore-Prospektionstechniken und bedeutender Investitionen von grossen Ölkonzernen werden ab der 1990er-Wende mithilfe von BP die Felder Azeri, Chirag und Guneshli im Kaspischen Meer erschlossen.
Die Öleinnahmen überschwemmen die Wirtschaft. 2006 machen sie nach Angaben der Weltbank fast 40% des aserbaidschanischen BIP aus.
Zwischen 2009 und 2012 erreicht die nationale Produktion mit über einer Million Barrel pro Tag ihren Höhepunkt.
Ende 2007 wird in Genf die Socar Trading SA gegründet. Valery Golovushkin, zuvor beim russischen Ölriesen Lukoil tätig, hat es geschafft, die grossen Bosse in Baku von der Notwendigkeit einer eigenen Handelsstruktur zu überzeugen. Das Kapital dieser neuen Firma macht stutzig, sind doch Golovushkin und ein gewisser Anar Alijew (kein Verwandter der Regierungsfamilie) über ein maltesisches Konstrukt mit je 25% beteiligt. Dies hindert die Genfer Banken Crédit Agricole, ING und Paribas keineswegs daran, fabulöse Kreditlinien zu gewähren. Valery Golovushkin schwebt Grosses vor. Er sagt, er wolle die Socar Trading «auf das Niveau von Gunvor oder Trafigura» hieven, zwei Giganten im Rohstoffgeschäft, die ihren Sitz ebenfalls in der Schweiz haben.
Schon bald tauchen kleine Handelsfirmen mit aserbaidschanischem Aktionariat auf, die als Mittler zwischen dem Mutterhaus in Baku und der Tochtergesellschaft in Genf agieren. «In der Branche sagte man, sie würden verwendet, um in die Pensionsfonds bestimmter Socar-Führungskräfte einzuzahlen. Sie existierten zwei oder drei Jahre lang und verschwanden dann», erklärt ein ehemaliger Banker. Die einzige Überlebende ist die berühmt-berüchtigte Maddox, die immer noch im Geschäft ist.
Diese Situation dauert bis 2012, dann fällt Socar Trading zu 100% unter staatliche Kontrolle. Oder besser gesagt unter diejenige des herrschenden Clans. Bevor er nach dem Tod seines Vaters Heydar Ende 2013 die Macht im Land übernimmt, ist Ilham Alijew Socars Vizepräsident.
Diese Verbindung zur Staatsgesellschaft wird nie gekappt. Dies zeigt ein kurzer Blick auf Socars Twitter-Account. Jedes Mal, wenn über das Konto des Präsidenten (oder das seiner Frau, Vizepräsidentin Mehriban Alijew) gezwitschert wird, teilt Socar die Botschaft umgehend. Auch als am 27. September die Kampfhandlungen um Bergkarabach verkündet werden, zögert Socar nicht, den ersten Kriegsappell des Präsidenten zu verbreiten, ebenso wie alle anderen Nachrichten, die täglich zu Dutzenden folgen.
In Aserbaidschan waren Öl und Macht schon immer eng verbunden.