Basler Multis in Ägypten: Klinische Versuche verstossen gegen ethische Richtlinien
Zürich/Lausanne, 22. Juni 2016
Klinische Versuche in politisch instabilen Schwellenländern wie Ägypten sind ethisch heikel: In Ägypten ist die Hälfte der Bevölkerung nicht krankenversichert. Die Teilnahme an klinischen Versuchen – die stets Risiken beinhaltet – ist für viele die einzige Möglichkeit, an Behandlungen zu kommen, die sie sich sonst nie leisten könnten. Unter diesen Umständen kann man kaum von einer freiwilligen Teilnahme an einem klinischen Versuch sprechen.
Mit seinen über 90 Millionen Einwohnern, den relativ gut ausgerüsteten Kliniken und den tiefen Kosten gehört Ägypten aber zu den beliebtesten Destinationen für klinische Versuche. Im Februar 2016 sind 57 aktive Versuche erfasst worden, wovon über die Hälfte Test von Krebsmedikamenten betreffen. Die Basler Pharmaunternehmen Roche und Novartis führen dabei das Feld an: Sie sind für 28 dieser Versuche verantwortlich. In den Jahren der politischen Wirren nach dem „arabischen Frühling“ 2011 ist die Zahl der klinischen Versuche nicht etwa zurückgegangen, sondern sogar noch gestiegen.
Der Nutzen der Versuche für die breite Bevölkerung ist dabei gering: Novartis und Roche beteuern, sie würden klinische Versuche nur in Ländern vornehmen, in denen das Medikament danach auch tatsächlich auf den Markt gebracht werden soll. Die Studie von Public Eye* zeigt jedoch, dass dies in Ägypten nicht der Fall ist. Ein Drittel der Medikamente, deren Test wir untersucht haben, sind in Ägypten im Gegensatz zu Europa oder den USA nicht zugelassen. Und viele der zugelassenen Medikamente kann sich kaum jemand leisten: Manche der Präparate von Novartis oder Roche kosten das 15- bis 20-fache des gesetzlichen Mindestlohns in Ägypten.
Klinische Versuche in einem instabilen Umfeld, von denen die lokale Bevölkerung danach kaum profitieren kann, verletzen internationale ethische Standards. Zudem ist der Schutz der Versuchsteilnehmenden nicht ausreichend: So wird etwa deren adäquate Nachbehandlung nach den Versuchen nicht sichergestellt. In Ägypten werden zudem ohne ersichtlichen Grund auch risikoreiche Frühphasentests durchgeführt, was ethisch fragwürdig ist. Die zu diesem Punkt befragten Unternehmen konnten keine überzeugenden Erklärungen liefern.
Die ägyptischen Behörden müssen dringend eine nationale Gesetzgebung und Überprüfungsmechanismen schaffen, die den Schutz der Teilnehmenden an klinischen Versuchen gewährleistet. Die Schweizerische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Heilmittel Swissmedic muss klinische Versuche in Entwicklungs- und Schwellenländern strenger auf ethische Gesichtspunkte hin kontrollieren. Und die Schweizer Pharmaunternehmen stehen in der Verantwortung, das Recht auf Gesundheit der Versuchsteilnehmenden zu gewährleisten, indem sie ethische Risiken ihrer Versuche evaluieren und Missstände möglichst beheben. Eine solche Sorgfaltsprüfung verlangt auch die von der EvB mitgetragene Konzernverantwortungsinitiative.
Weitere Informationen hier oder bei:
Patrick Durisch, Erklärung von Bern, +41 21 620 03 06; patrick.durisch[at]publiceye.ch
*Public Eye hat für die Recherche mit den holländischen Organisationen Wemos und SOMO sowie den ägyptischen Organisationen EIPR und Shamseya zusammengearbeitet.
Hintergrund:
2013 hat Public Eye (damals unter dem Namen Erklärung von Bern) anhand von Recherchen in Argentinien, Indien, Russland und der Ukraine aufgezeigt, welche ethischen Verstösse mit der zunehmenden Verlagerung klinischer Versuche in Schwellenländer einhergehen. Eine in der Schweiz durchgeführte Studie zeigte auf, wie ungenügend die von Swissmedic durchgeführten Kontrollen in Bezug auf die Bedingungen sind, unter denen klinische Versuche vorgenommen werden.