Entwickungspolitisch multilateral statt schweizerisch bilateral
22. Juni 2004
In den letzten Jahren versucht die Schweiz - sowohl bilateral als auch im Rahmen der EFTA-Staaten (Schweiz, Liechtenstein, Norwegen, Island) - Entwicklungsländer mittels Freihandelsverträge auf Liberalisierungen zu verpflichten, die weit über das Ausmass innerhalb der WTO hinausgehen. So erklärte der Bundesrat in seiner Botschaft zum Freihandelsabkommen mit Chile vom 19. September 2003, die bilateralen Abkommen sollten eine Vorreiterrolle übernehmen, um die Regeln der WTO noch weiter entwickeln, sprich verschärfen zu können. Nebst WTO-Plus-Regeln beim Geistigen Eigentum verhandelt die Schweiz mit Entwicklungsländern auch Bereiche, die in der WTO sehr umstritten sind: Dienstleistungen, Investitionen, öffentliches Beschaffungswesen und Wettbewerbsregeln. Letztere drei werden auch New Issues genannt.
Wenn nicht in der WTO, dann halt bilateral
Bis Ende März 2003 hätten alle WTO-Mitglieder bei der WTO eingeben müssen, in welchen Dienstleistungssektoren sie bereit sind, zu liberalisieren und zu deregulieren, was heisst, ausländischen Investoren Marktzutritt zu gewähren und als Handelsschranken definierte Regulierungen abzuschaffen. Nur 42 aller WTO-Mitglieder und praktisch keine Entwicklungsländer haben dies bis heute getan. Sie befürchten aufgrund der strikten WTO-Prinzipien, den politischen Spielraum für eigene Entwicklungsstrategien zu verlieren, denn einmal gemachte völkerrechtsverbindliche WTO-Liberalisierungsverpflichtungen können kaum mehr rückgängig gemacht werden. Auch wurden die 1994 vereinbarten Untersuchungen, was denn ein liberalisierter Dienstleistungsbereich für die einzelnen Länder bedeutet, nicht gemacht. Aufgrund der wenigen Liberalisierungsofferten griff der Vorsitzende der Dienstleistungsverhandlungen in der WTO, Botschafter Alejandro Jara, zu drastischen Massnahmen: er ermunterte im März 2004 die Dienstleistungsindustrie, die säumigen Länder aufzufordern, so bald als möglich Liberalisierungsofferten einzugeben, um ein kritisches Mass an Liberalisierungsofferten zu erhalten. Die Dienstleistungsindustrie selbst soll also die zögernden Handelsdelegierten in Entwicklungsländern überzeugen, dass ein offener Dienstleistungsmarkt ihnen Wohlstand und Entwicklung bringen soll.
Während Entwicklungsländer am Nutzen der Öffnung ihrer zum Teil noch schwächeren Dienstleistungsmärkte zweifeln, hat sich die Schweiz unter anderem zum Ziel gesetzt, in für sie strategisch wichtigen Entwicklungsländern die Liberalisierung der Finanzmärkte zu erreichen. Dabei geht es der Schweiz einseitig um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen, entwicklungspolitische Aspekte spielen keine Rolle. So führt die Konkurrenz durch ausländische Banken nicht zwingend zu einer Vertiefung und Stärkung des Bankensektors, wie dies von Wirtschaftsverbänden immer wieder behauptet wird. Ebenso kann eine Schwächung und verstärkte Krisenanfälligkeit der einheimischen Banken die Folge sein. Auch führt die Präsenz ausländischer Banken nicht generell zu einem höheren Investitionsniveau und zur Bedienung von Klein- und Mittelbetrieben, Frauen und der ländlichen Bevölkerung mit günstigen Krediten. Verstärkte Kapitalflucht (auch zur Steuerhinterziehung) und Kapitalabfluss in die internationalen Finanzmärkte sind die wahrscheinlicheren Folgen des Marktzugangs.
Auch wenn beispielsweise Chile beim im Sommer 2003 abgeschlossenen EFTA- Abkommen seine Interessen diesbezüglich noch bewahren konnte, kommt das Land spätestens in zwei Jahren wieder unter Druck: dann nämlich sollen die grossen Vorbehalte Chiles wieder Gegenstand von Verhandlungen sein.
Investitionen: nur Rechte, aber keine Pflichten für Investoren
Die Investitionsregeln in den bilateralen Verträgen sowie im Rahmen der EFTA sollen den Schweizer Investoren den Marktzugang sowie die Gleichbehandlung mit lokalen Investoren sichern. Entwicklungsländer haben ein solches Abkommen in der WTO beinahe geschlossen abgelehnt. Sie erachten die drei Prinzipien Marktzugang, Inländerbehandlung sowie Meistbegünstigung nicht als die geeigneten Prinzipien, um entwicklungsfreundliche Investitionen zu regeln. Den Rechten von Investoren stehen nun auch in den bilateralen Verträgen keinerlei Pflichten gegenüber. Investoren darf auch hier nicht vorgeschrieben werden, sich an die fundamentalen Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zu halten und Verantwortung für eine umweltgerechte und soziale Entwicklung im Gastland zu übernehmen.
Weltweit formiert sich unter den Nichtregierungsorganisationen Widerstand gegen bilaterale Handels- und Investitionsverträge, die zum Teil weit über die aktuellen WTO-Bestimmungen hinausreichen.
Die Erklärung von Bern und die Arbeitsgemeinschaft Swissaid/Fastenopfer/Brot für alle/Helvetas/Caritas/Heks stellen an den Bundesrat folgende Forderungen:
Anstatt lediglich die eigenen wirtschaftlichen Interessen auf bilateralem Weg zu verfolgen, soll die Schweiz
- im Rahmen der WTO eine wahrhafte Entwicklungsrunde anstreben, die den einzelnen Ländern einen ihrem Entwicklungsstand gemässen grösstmöglichen Handlungsspielraum belässt,
- transparent und frühzeitig über ihre Vorhaben informieren.
Die Schweiz soll in ihren bilateralen und im Rahmen der EFTA-Staaten abgeschlossenen Abkommen mit Entwicklungsländern
- im Bereich des geistigen Eigentums unter keinen Umständen Regeln einführen, die über die Bestimmungen innerhalb der WTO hinausgehen (keine sogenannten TRIPs-Plus-Regeln),
- keinen Druck auf einzelne Entwicklungsländer ausüben, Dienstleistungen, im speziellen ihre Finanzmärkte und den Kapitalverkehr liberalisieren zu müssen,
- keine Themen forcieren, die zur Zeit innerhalb der WTO vom Tisch sind, wie Investitionen, öffentliches Beschaffungswesen oder Wettbewerbsregeln.